
© Paul Zinken/dpa
Linke Szene kündigte heftigen Widerstand an: Berliner Gericht lehnt Aussetzung der „Liebig-34“-Räumung ab
Das Kammergericht hat einen Antrag zurückgewiesen, die Vollstreckung des Räumungsurteils vorerst auszusetzen. In der Nacht kam es erneut zu Gewalt.
Stand:
Der bevorstehenden Räumung des besetzten Hauses „Liebig 34“ in Berlin-Friedrichshain am Freitag steht rechtlich nichts mehr im Weg. Das Kammergericht wies einen Antrag des Anwalts der Bewohnerinnen zurück, die Vollstreckung des Räumungsurteils vorerst auszusetzen. Das habe das Gericht bereits am Dienstag entschieden, wie aktuell mitgeteilt wurde.
Zur Begründung hieß es vom Gericht, bei der Abwägung des Falls hätten die Interessen des Eigentümers laut Gesetz Vorrang. Besondere Umstände, nach denen die Interessen der Mieter ausnahmsweise überwiegen würden, „seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich“.
Am Donnerstag wollte die Polizei mit der Absperrung der direkten Umgebung der Liebigstraße 34 und der Rigaer Straße für Demonstrationen und Autos beginnen. Es werden Gitter aufgestellt. Zutritt zu dem Gebiet haben dann nur noch Anwohner. Parkende Autos müssen entfernt werden.
Weil die linke Szene heftigen Widerstand gegen die Räumung ankündigte, plant die Berliner Polizei einen Großeinsatz mit Tausenden Beamten und Unterstützung aus anderen Bundesländern. Die genaue Zahl der Polizisten soll erst am Freitagmorgen bekannt gegeben werden. Erwartet werden in der Umgebung des Hauses ab Donnerstagabend zahlreiche Demonstranten, zum Teil auch aus anderen Städten und dem Ausland.
Das Haus, dessen Bewohner sich als „anarcha-queer-feministisches Hausprojekt Liebig 34“ bezeichnen, ist eines der letzten linksradikalen Symbolprojekte in Berlin. Die Bewohner hatten über einen Verein einen zehnjährigen Gewerbemietvertrag, der vor zwei Jahren endete. Das Gericht bestätigte letztlich die Übergabe des Hauses an den Eigentümer.
Berliner Linke für Aussetzung der Räumung angesichts der Coronapandemie
Der Landesverband der Berliner Linke hat Polizei und Innenverwaltung aufgefordert, die geplante Räumung zu verschieben. „Einen absehbar überdimensionierten Polizeieinsatz sehen wir auch aufgrund der rasant steigenden Zahlen von Corona-Infektionen in Berlin mit Sorge“, teilte die Partei am Mittwoch mit. „Die Einhaltung von grundlegenden Hygieneregeln wird unter diesen Umständen kaum zu gewährleisten sein. Wir erwarten daher von Polizei und Innensenator angesichts der derzeitigen Pandemiesituation, die Räumung vorerst auszusetzen.“
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Die Partei betrachtet demnach zudem die zweitägige Absperrung des Kiezes als „unverhältnismäßig“. Man erwarte vom Innensenator, „dass er friedlichen Protest in Sicht- und Hörweite zur Liebig34 zulässt und das nachbarschaftliche Leben nicht tagelang außer Kraft setzt.“
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Gewaltsame Auseinandersetzungen lehne man ab, Brandstiftungen und Sachbeschädigungen „auf dem Rücken von Menschen, die auf öffentliche Infrastrukturen wie die Berliner S-Bahn angewiesen sind, sind im Sinne von berechtigtem Protest völlig kontraproduktiv und nicht zu tolerieren“, hieß es ferner.
In der Erklärung werden Geisel und die Polizeiführung aufgefordert, „in dieser zugespitzten Lage abzurüsten“. Demoverbotszonen und Sondereinsatzkommandos seien das Gegenteil davon und „ein Einsatz vergleichbar mit G20 in Hamburg ist inakzeptabel“.
„Mit der angekündigten Räumung des anarcha-queer-feministischen Kollektivs aus der Liebig34 würde Berlin einen weiteren Teil dessen verlieren, was diese Stadt in den letzten 30 Jahren auch ausgemacht hat“, heißt es in der Mitteilung außerdem. „Zu Berlin gehörte und gehört immer auch der Kampf für Freiräume, der alternativen Szenen und des Widerstands gegen eine um sich greifende Inwertsetzung aller Lebensbereiche.“ In einer Zeit, als Finanzinvestoren um Berlin noch einen großen Bogen gemacht hätten, seien es oft die Hausbesetzer gewesen, die leerstehende Häuser instandgesetzt und alternative Wohn- und Lebensformen entwickelt hätten, so die Partei.
Steinwürfe und brennende Reifen kurz vor „Liebig 34“-Räumung
Kurz vor der geplanten Liebig34-Räumung kam es in der Nacht zu Donnerstag es zu kleineren Gewaltausbrüchen in der Nähe des Gebäudes.
Randalierer hätten in der Nacht zu Donnerstag gegen 0.30 Uhr in der Rigaer Straße Steine und Farbbehälter geworfen, wie ein Polizeisprecher sagte. Ein Polizeiauto sei beschädigt worden. Verletzte gab es nicht.
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Eine Gruppe von 20 Menschen habe zudem nahe dem teilweise besetzten Haus Rigaer Straße 94 Autoreifen auf die Straße gelegt und angezündet. Nachts hatten Anwohner einen kreisenden Polizeihubschrauber gehört. Die „B.Z.“ hatte zuerst darüber berichtet.
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Eine Demonstration von mehreren hundert Unterstützern durch die Straßen rund um die Liebigstraße war am Mittwochabend friedlich verlaufen.
In der Nacht zu Donnerstag wurden laut Polizei an mehreren Stellen in Kreuzberg und Prenzlauer Berg Schriftzüge „Liebig34 bleibt“ und „L34 bleibt“ entdeckt. Im Hönower Weg in Lichtenberg wurde ein Transporter einer Wohnungsbaufirma mutmaßlich von Linksextremisten angezündet. Nach Angaben der Feuerwehr wurden weitere Fahrzeuge beschädigt.
Im Internet wird seit längerem zum gewaltsamen Widerstand gegen die Räumung aufgerufen. In den vergangenen Tagen gab es eine Serie von linksextremen Brandanschlägen und anderen Zerstörungen an Kabeln der S-Bahn, einer Polizeiwache in Lichtenberg, dem Amtsgericht in Kreuzberg und anderen Einrichtungen sowie entsprechende Bekennerschreiben. (Tsp, dpa)
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