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Die Gedenkstätte in Moabit erinnert an die mehr als 30.000 Berliner Jüdinnen und Juden, die zwischen 1942 und 1944 von hier aus in Ghettos und Vernichtungslager deportiert wurden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Update

Parkplatzerweiterung auf Deportationsrampe: Berliner Lidl plant Neubau am Rand eines Mahnmals

Die BVV fordert am Donnerstagabend, Verantwortung für den Gedenkort an die Senatskulturverwaltung zu übertragen. Umbaupläne sollen nicht genehmigt werden.

Es war ein Ort des Schreckens. Von der Deportationsrampe des Güterbahnhofs Moabit gingen vor sieben Jahrzehnten die Transporte der jüdischen Berliner in die Ghettos und Lager im Osten. Etwa 32.000 Männer, Frauen und Kinder wurden von dem Bahnsteig, der inmitten der Stadt und doch ein wenig versteckt lag, zwischen 1941 und 1943 deportiert. So viele, wie von keinem anderen Ort dieser Stadt.

Berlin hat diese Geschichte ein wenig vergessen. Deshalb konnte vor 20 Jahren der Discounter Lidl ein Grundstück dort erwerben, einen Supermarkt und einen großen Parkplatz anlegen. Von der anderen Seite begrenzt der Baumarkt von Hellweg den historischen Ort. Vor allem Lidl berührt denkmalgeschütztes Gelände, Teile des früheren Bahnsteigs sind von dem Parkplatz überbaut. Sie verfallen und verrosten. Wenn nicht schnell etwas geschieht, werden auch sie Geschichte sein.

Doch nicht nur dieser Verfall zeigt, dass weder das Bezirksamt Mitte, noch der Discounter oder der Denkmalschutz sichtbar für den Erhalt und die Pflege des authentischen Ortes wirken: Lidl soll an dieser Stelle einen Neubau und eine Erweiterung der Parkflächen planen, erneut auf denkmalgeschütztem Gelände.

Ein Bauantrag dafür ist am 9. November 2020 gestellt worden - also am Jahrestag der Reichspogromnacht. An jenem Tag im Jahr 1938 brannten in Deutschland Synagogen und jüdische Geschäfte. Nazi-Schlägertrupps misshandelten, verhafteten und töteten Tausende Juden. Lidl teilte am Freitag mit, dass der Bauantrag am 5. November 2020 vom Unternehmen abgeschickt worden sei.

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Auf dem Antrag ist zu erkennen, dass der Supermarkt sein neues Gebäude direkt und erhöht an den schmalen Weg setzen will, in den die Menschen von der Quitzowstraße aus einbiegen mussten, um sich dann auf dem Bahnsteig aufzustellen. Es würde bedeuten, dass – je nach Höhe des Neubaus – der schmale Weg in dessen Schatten liegen würde. Quasi stein-gewordenes Zeichen der Gewichtung von authentischem Ort und Marktmacht.

Ein weiterer Teil der Rampe könnte verschwinden

Außerdem zeigt die Planung, dass ein zusätzliches, ebenfalls denkmalgeschütztes Flurstück (Nr. 254) größtenteils überbaut werden soll. Damit würde ein weiterer Teil der früheren Rampe, die jetzt noch als ein etwa 140 Meter langes Teilstück erkennbar ist, verschwinden.

Dass es an diesem verkehrsumtosten Platz seit dem Jahr 2017 überhaupt eine Gedenkstelle gibt, ist vor allem dem Engagement Moabiter Bürger:innen und anderer geschichtsinteressierter Menschen zu verdanken. Der Verein Gleis 69 kümmert sich seit 2018 um das Gelände und darum, es ins Bewusstsein der Berliner Bevölkerung und der Politik zu rücken.

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Am Ende der schmalen, in die Zuständigkeit des Bezirksamt Mitte fallenden Fläche zwischen Quitzow- und Ellen-Epstein-Straße finden sich eine Stele und 20 junge Kiefern, die an die Menschen erinnern sollen, die aus der Mitte ihrer Stadt deportiert wurden. Wer hier innehalten will, muss widerstandsfähig sein: Es ist laut, der Verkehr braust, die Autos auf dem Parkplatz starten ihre Motoren und häufig liegt Müll herum. Hunde werden hier Gassi geführt, auch Menschen entleeren sich dort gelegentlich.

Bezirksverordnete bestätigen Dringlichkeitsantrag von Grünen und FDP

Thomas Abel, Mitbegründer des Vereins, hat unter anderem für sein Engagement am ehemaligen Güterbahnhof Moabit kürzlich das Bundesverdienstkreuz erhalten. Über die Umbau- und Erweiterungspläne von Lidl ist er entsetzt. Damit würde der Gedenkort weiter beeinträchtigt und der Erhalt der Deportationsrampe zusätzlich gefährdet, sagt er. Und: „Es bleibt ein missachteter Ort.“

Das könnte sich ändern. Am Donnerstagabend hat die Bezirksverordnetenversammlung von Mitte einstimmig bei einer Enthaltung einem Dringlichkeitsantrag von Grünen, und FPD zugestimmt, in dem es um den Schutz des Güterbahnhofs Moabit als Gedenkort und dessen Bewahrung vor weiterer Zerstörung geht. Das Bezirksamt wird aufgefordert, sich gegenüber der Senatsverwaltung Kultur dafür einzusetzen, dass "der Gedenkort Güterbahnhof Moabit in das Fachvermögen und die Verantwortung der zuständigen Senatsverwaltung zu übertragen" sei. Dazu sollten "umgehend" Verhandlungen aufgenommen werden. Die Verantwortung für den Gedenkort müsse "in einer Hand liegen".

Stadtrat: Lidl-Pläne werden nicht genehmigt

Den Plänen von Lidl, auf dem Grundstück einen Neubau und Parkplatzerweiterungen vorzunehmen, erteilte der Stadtrat für Stadtentwicklung und stellvertretende Bezirksbürgermeister Ephraim Gothe (SPD) in der digitalen BVV am Donnerstag eine Absage. Das Unternehmen werde dort nicht umbauen dürfen. Er wolle beim Land Berlin und Lidl dafür werben, dass das Grundstück in Landesbesitz übergehe. Gothe sprach sogar von der Option, dass das Unternehmen des Standort komplett verlassen und ein Ersatzstandort gefunden werden könnte.

Auf Tagesspiegel-Anfrage hatte Lidl am Donnerstagnachmittag mitgeteilt: "Wir bitten um Verständnis, dass wir zu unserem Standort in der Quitzowstraße zum jetzigen Zeitpunkt keine näheren Angaben machen können, da wir uns noch in der Planungsphase befinden. Darüber hinaus stehen wir seit jeher in engem Kontakt zur Denkmalschutzbehörde des Bezirksamtes Mitte und stimmen alle baulichen Maßnahmen auf dem Grundstück mit der Behörde ab."

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