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Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD).

© Jens Kalaene/dpa

Berliner Tafel: Brote und Croissants von Sawsan Chebli

Regelmäßig engagiert sich die Staatssekretärin nach eigener Aussage bei der Tafel, von der sie als Kind selbst Essen bekam. Ein Besuch in Staaken.

Am besten geht Toast, aber der ist gerade aus. „Sorry“, sagt Sawsan Chebli, aber von dem geschnittenen Vollkornbrot sei noch genug da, dazu vielleicht noch etwas Süßes? „Warten Sie mal einen Augenblick, ich zeig‘ Ihnen die Croissants“, und dann beugt sie sich auch schon unter den Tisch und zieht einen Karton hervor, instinktiv und zielsicher, als habe sie noch nie etwas anderes gemacht, als die Kundschaft mit Backwaren zu bedienen, mittags im Großen Saal der Evangelischen Kirchengemeinde zu Staaken.

Sawsan Chebli führt den etwas sperrigen Titel einer „Bevollmächtigten beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales“, was nur auf den ersten Blick nichts mit Croissants und Vollkornbroten zu tun hat.

Der Große Saal am Pillnitzer Weg in Staaken ist kein Nachbarschaftscafé, sondern eine von 45 Ausgabestellen der Berliner Tafel, jener gemeinnützigen Organisation, die Bedürftige mit Lebensmittelspenden versorgt. Tafeln gibt es in ganz Deutschland, sie sind ein wenig in Verruf gekommen, als vor einem Jahr der Essener Ableger verkündete, er nehme wegen eines „schleichenden Verdrängungsprozess“ nur noch Neukunden mit deutscher Staatsbürgerschaft auf.

„Wir wollen, dass auch die deutsche Oma weiter zu uns kommt“, sprach der Chef der Essener Tafel, und die Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement tippte in ihr Mobiltelefon: „Mir läuft es eiskalt den Rücken runter. Essen nur für Deutsche. Migranten ausgeschlossen.“

Anfeindungen im Netz, Shitstorm wegen Rolex

Dieser Tweet hat, wie so oft bei der twitterfreudigen Sozialdemokratin, allerlei Reaktionen provoziert, die nettesten klangen so: „Die sitzt als moderate Muslimin im roten Filz und bereitet dem Islam den Boden.“ – „Diese Frau ist einfach nur widerlich!“ Oder: „Chebli und Kollegen können nur anprangern ohne selbst anzupacken. Man könnte sich ja die falschen Fingernägel ruinieren.“

Beleidigungen gegen Sawsan Chebli werden oft mit dem Hinweis auf ihre äußerliche Erscheinung garniert, als vertrage sich soziales Engagement nicht mit dem Auflegen von Makeup und Lippenstift. Darum hat sie sich noch nie geschert.

Als im vergangenen Jahr ein älteres Foto auftauchte, das Chebli mit einer Rolex am Handgelenk zeigt, konterte sie den zuverlässig aufbrausenden Shitstorm via Twitter: „Wer von Euch Hatern hat mit 12 Geschwistern in 2 Zimmern gewohnt, auf dem Boden geschlafen und gegessen, am Wochenende Holz gehackt, weil Kohle zu teuer war? Wer musste Monate für Holzbuntstifte warten? Mir sagt keiner, was Armut ist.“

Als ihr Auto um kurz vor halb zwölf vor dem Staakener Gemeindehaus am Pillnitzer Weg parkt, wuseln im Großen Saal schon ehrenamtliche Helfer und Helferinnen herum. Frauen wie Irmi Schadach, die bis zur Pensionierung Schuldirektorin war und den langen Weg aus Kladow gekommen ist und die auf 170 Haushalte angewachsene Kundenkartei pflegt. Männer wie Gerd Lötzsch, er ist schon seit sieben Uhr auf den Beinen, Discounter abklappern und Kisten schleppen, wenn er Glück hat, ist er abends um sechs wieder zu Hause.

„Alle sechs Wochen besuche ich eine Ausgabestelle“

Chebli ist mit den meisten schnell per Du, sie stellt sich kurz vor und rühmt das Engagement der guten Seelen von Staaken: „Der Staat kann nicht alles machen, er ist angewiesen auf Leute wie Sie und die großartige Arbeit, die Sie machen.“ Für weitere Ausführungen ist keine Zeit, denn es will noch allerlei Obst und Gemüse und Brot sortiert werden.

Die Staatssekretärin bekommt schwarze Plastikhandschuhe und eine blaue Weste, obwohl sie ja lieber eine rote hätte, „verdammt!“, kurzes Lachen, „ich glaube, die Senatsverwaltung muss Ihnen mal ein paar neue Sachen finanzieren.“ Dann tritt sie auch schon ihren Job am Brotstand an.

Gegen eins kommen die ersten Kunden. Alleinerziehende Mütter, oft mit mehreren Kindern von mehreren Männern. Rentner, deren Rente nicht mehr reicht. Neu-Berliner aus der ganzen Welt, aus Afrika, vom Balkan oder aus Afghanistan, „sehr viele Russlanddeutsche“, sagt Irmi Schadach. Woche für Woche gibt es mindestens fünf Neuanmeldungen. Die Armut ist ein Wachstumsfaktor im westlichen Außenposten Berlins.

Spätestens nach dem Wirbel um die Essener Tafel fand sie, es sei mal an der Zeit, bei den Berliner Tafeln vorbeizuschauen. „Alle sechs Wochen besuche ich eine Ausgabestelle“, der Besuch in Staaken ist ihr siebter Außentermin. Ob man sie dabei begleiten dürfe? Hm, eigentlich sei ihr das nicht so recht, „das soll kein PR-Termin sein“, aber gut, das Engagement der Ehrenamtlichen müsse ja auch mal gewürdigt werden. Nur einen Fotografen mag sie nicht dabeihaben.

Ihr Vater hat selbst Essen von der Tafel bekommen

Chebli erzählt von früher, von den Nudeln und Brötchen und Kartoffeln auf dem Küchentisch und dass sie immer gedacht habe, der Vater habe sie im Supermarkt gekauft. „Dabei hat er sie von der Tafel bekommen. Ich war Teenager, da bekommt man schon mit, wie demütigend das ist.“ Dabei will keiner fotografiert werden.

Der Saal füllt sich. Schweigsame Männer und Frauen, die älteren schieben Einkaufstrolleys auf zwei Rädern, die jüngeren Kinderwagen. Am Brotstand hat Chebli gut zu tun, erst recht, nachdem kein Toast mehr da ist. Ab und zu sprechen Frauen sie auf Arabisch an, sie spricht es so fließend wie Deutsch oder ihr amerikanisch eingefärbtes Englisch. Aber niemand erkennt in ihr die Staatssekretärin, das ist mal eine neue Erfahrung, „denn sonst wollen viele immer ein Selfie mit mir machen“.

Um kurz nach zwei endet in Staaken die erste Schicht. Knapp hundert Staakener haben ihre Einkaufstrolleys gefüllt, viele werden auch in der zweiten Schicht erwartet, aber erst mal legen die guten Seelen von Staaken eine Pause ein.

Die Staatssekretärin verabschiedet sich zum nächsten Termin. Einmal quer durch die Stadt Richtung Rotes Rathaus, es wird noch ein längerer Tag, aber jetzt muss sie erst einmal etwas essen. Hätte sie nicht einfach ein Croissant aus dem Karton unterm Tisch...? Chebli lacht. „Hab‘ ich auch kurz dran gedacht, aber das hätte schon ein bisschen komisch ausgesehen, oder?“

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