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Überall Probleme. Viele Waldflächen sind noch nicht an die neuen Herausforderungen angepasst.

© Maurizio Gambarini/dpa

Berliner Wald leidet unter dem Klimawandel: Nur acht Prozent der Bäume sind gesund

Der Klimawandel macht dem Berliner Wald zu schaffen. Die Förster richten sich darauf ein. Ein Problem: Sie wissen nicht, was ihr Einsatz am Ende bewirkt.

Es tut schon weh, wenn man so eine Eiche fällen muss. Die ist über hundert Jahre alt“, sagt Dirk Riestenpatt und zeigt auf einen dicken Baum neben der Straße. Die Feinverzweigung der Krone sei schütter und die Rinde falle ab. „Irgendwann kippt sie.“ Der Betriebsleiter der Berliner Forsten eilt zum Stamm und prüft, ob der Baum schon markiert ist. Ein rosa Strich, passt. Bereit zum Fällen.

Riestenpatt führt durch ein Waldstück in Friedrichshagen, das repräsentativ für die Lage der Berliner Wälder sei. Direkt daran grenzt die Straße nach Schöneeiche. Nicht wirklich treffend: Denn dort, wo man schöne Eichen erwartet, stehen gebrechliche Kiefern und kaum prächtige Eichen. Einige Bäume liegen bereits, weitere sind mit einem rosa Strich markiert.

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Der Berliner Waldzustandsbericht 2019 bestätigt das Bild vor Ort: Nur acht Prozent des Berliner Walds sind gesund, 36 Prozent weisen deutliche Schäden auf. Vor den Hitzejahren 2018 und 2019 waren noch 34 Prozent der Bestände intakt. Ein Waldsterben in Berlin?

Der Oberförster zweifelt am Waldsterben

Der Oberförster bezweifelt das; die Sache sei komplexer. Riestenpatt ist ein nüchterner Typ, neigt nicht zur Dramatisierung. Selbst bezeichnet er sich als „bekennenden Büroförster“. In seinem Büro stapeln sich Ordner und Fachpublikationen. Am Schreibtisch erklärt er, wie er die Situation sieht: Ein flächendeckendes Waldsterben in Berlin gebe es nicht. Davon seien extrem anfällige Fichtenwälder betroffen, andernorts in Reinkultur gepflanzt – wegen der Profite. „Willst du einen Wald vernichten, pflanze Fichten, Fichten, Fichten“, ergänzt die Justiziarin, die ebenfalls im Büro sitzt. Beide lachen. Schnell wird Riestenpatt wieder ernst.

Die Situation sei dennoch angespannt, sagt er. Die anhaltende Hitze gefährde den Wald besonders dort, wo sich kein stabiles Ökosystem etabliert hat, das den Boden vor schnellem Austrocknen schützt – also vor allem in Monokulturen.

Kieferpflanzungen ohne ökologische Weitsicht

Das Problem: Rund 60 Prozent des Berliner Walds bestehen aus Kiefern – vor Jahrzehnten wegen hoher Erträge häufig in Reinform gepflanzt, ohne ökologische Weitsicht. Hinzu kommen oft Sandböden, die Wasser schlecht speichern. Immerhin, die Berliner Forsten haben den gesetzlichen Auftrag, den Erholungswald zu erhalten. Sie müssen nicht wirtschaftlich agieren und massig Holz schlagen, sondern können den Wald schonen. Trotzdem besteht Handlungsbedarf: 10 000 der insgesamt 28 000 Hektar Berliner Wald müssen den Klimaveränderungen angepasst werden, etwa ein Neuntel der Stadtfläche. Berlins größte Baustelle, wenn man so will.

Um zu sehen, wie die Berliner Forsten das angehen, muss man tief in den Friedrichshagener Forst fahren. Dort stoppt Dirk Riestenpatt seinen Wagen neben einem eingezäunten Waldstück. Die Fläche gehört zum Mischwaldprogramm, einem Baustein der Berliner Waldstrategie, die seit 2012 läuft und jährlich 1,5 Millionen Euro kostet. Dicht an dicht stehen hier hüfthohe Jungbäume. Hauptsächlich Buchen, aber auch Eichen – heimische Arten, die zur hiesigen Ökologie passen. Sie alle wurden in mühsamer Arbeit händisch gepflanzt. Auch Totholz liegt dazwischen – liegen gelassen für Insekten und eine größere Biodiversität.

Invasive Arten werden zum Problem

„Über Jahre entsteht hier ein Mischwald, wie wir ihn haben wollen. Ein stabiles, standortgerechtes Ökosystem“, sagt Riestenpatt. Das sei arbeitsintensiv, 100 Hektar schaffe man pro Jahr. „Es ist eben nicht damit getan, einmal Bäume zu pflanzen.“ Man müsse die Fläche gegen invasive Pflanzen und vor allem Wildverbiss schützen, sonst hätten die Sämlinge keine Chance – daher der Zaun. Der Zeithorizont, um so die erforderliche Fläche zu bearbeiten: circa 100 Jahre. Langsam, angesichts des Klimawandels – die Europäische Umweltagentur prognostiziert im schlimmsten Fall einen Anstieg der mittleren Temperatur um 5,5 Grad in Europa bis zum Jahr 2100.

Doch der Leiter des Forstbetriebs hat ein Ass im Ärmel. Um das zu sehen, muss man ihn nach Gorin am nördlichen Stadtrand begleiten, ins Revier von Förster Ingmar Preuße. Nirgends in Berlin entwickle sich der Wald so gut wie hier, kündigt Riestenpatt bereits im Auto an. Und tatsächlich: Der erste Eindruck bestätigt das. Vom Boden bis in die Wipfel scheint die Vegetation dicht und divers zu sein. Dicke alte Kiefern im Oberstand, darunter vitale Laubbaumarten.

Vor 20 Jahren noch Monokultur statt Mischwald

Riestenpatt geht kurz zum Auto. Er will etwas zeigen. Als er zurückkommt, hat er ein großformatiges Foto derselben Stelle in den Händen. Es ist zwanzig Jahre alt. Die beiden Förster begutachten das Bild: Kiefern in Monokultur, Gras am Boden – keine anderen Pflanzen. Wie ist der Wandel gelungen?

„Der Wald wächst eigentlich von selbst. Jede Pflanze zieht weitere Pflanzen nach sich“, sagt Preuße, der den Forstbetrieb noch aus DDR-Zeiten kennt. Man müsse nichts pflanzen, nur steuernd eingreifen – Naturverjüngung im Fachjargon. Heißt: unliebsame Pflanzen entfernen und verstärkt Wild jagen. Das sei unbedingt nötig. Sechs Tiere lässt er hier jährlich pro 100 Hektar schießen. Die Zuwachsraten von Schwarzwild seien rapide gestiegen, weil die Tiere immer früher werfen. „In etwa so, als würden alle Menschen mit zwölf Jahren Zwillinge bekommen.“

Von der Jagd wollen viele Berliner nichts wissen

Im Stadtgebiet sind große Gesellschaftsjagden wie in Gorin undenkbar – schwer umzusetzen und vor allem politisch nicht opportun. „Von der Jagd wollen viele Berliner nichts wissen“, sagt Riestenpatt. „Wenn wir nicht jagen, wächst aber nichts nach.“ Zäune seien schlichtweg nicht so effizient. Die Jagd – für die beiden Förster ein notwendiges Mittel. Nach eigenen Aussagen seien sie auch keine passionierten Jäger.

Wieder im Auto wirkt Dirk Riestenpatt nachdenklich. Er befindet sich in einer Zwickmühle: Den Weg des Waldumbaus, den er für richtig hält, kann er nicht überall in der Stadt gehen. Nach ein paar Minuten wiederholt er eine Aussage, die er bereits öfter an diesem Tag gemacht hat. Als Förster könne man sich nur auf seine Erfahrungen verlassen. „Niemand weiß, wie ein Ökosystem genau funktioniert“, sagt er. „Man waltet wie die Sau im Uhrwerk.“

Lukas Haas

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