
© Alix Faßmann
Berliner TikTok-Belegschaft demonstriert: „KI macht immer, was man ihr sagt“
Berlins Content-Moderator:innen bei der Plattform TikTok kämpfen für eine faire Abfindung. Aber auch gegen den Verlust an Kontrolle und Sicherheit auf der Social-Media-Plattform.
Stand:
Vor dem Arbeitsgericht in Berlin-Mitte haben sich am Montag rund 50 Beschäftigte der TikTok-Content-Moderation versammelt – laut und wütend. Es war der zweite Streiktag der rund 150 Beschäftigten, deren Jobs bei TikTok Germany in Berlin auf dem Spiel stehen.
Sie sollen durch Künstliche Intelligenz oder Niedriglohnarbeit aus dem Ausland ersetzt werden. Verhandlungen mit Verdi lehnt die Geschäftsführung bislang ab – stattdessen strebt sie eine Einigungsstelle über das Arbeitsgericht an.
Es geht um eine faire Abfindung
„Wir haben eure Maschinen trainiert – bezahlt uns, was wir verdienen!“, ruft die Protest-Gruppe im Chor den Slogan ihres Streiks. Sarah ist eine von ihnen, die seit Jahren Gewaltvideos, Hasskommentare und Pornografie von der Plattform filtert. Der Job ist emotional fordernd, oft belastend – und nun scheinbar überflüssig. Sarah greift sich das Mikrofon und ruft: „Ich trage mit Stolz diese gelbe Weste.“

© Alix Faßmann
Kämpferisches Pathos, das man so insbesondere in der Digitalwirtschaft selten erlebt. Ein Novum unter den Social Media Plattformen in Deutschland. Die Forderung der Streikenden ist klar: drei Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr.
Doch TikTok bot dem Betriebsrat bisher lediglich zwei Monatsgehälter plus einen Monat je Beschäftigungsjahr – eine Minimalofferte, wie Beschäftigte berichten. Viele von ihnen kamen aus dem Ausland nach Berlin – angelockt von einem Zukunftsversprechen bei einem globalen Tech-Konzern.
Weichenentscheidung für den Einsatz von KI
Doch es gehe um mehr als einen Job und eine faire Abfindung. „Eine Künstliche Intelligenz widerspricht nicht. Sie macht einfach, was man ihr sagt“, erklärt ein Mitarbeiter mit Base-Cap. Damit entfalle ein zentraler Kontrollmechanismus. „Entscheidungen der Geschäftsführung bezüglich der Content-Moderation würden künftig nicht mehr hinterfragt – oder überhaupt bemerkt.“
Für viele ist der Berliner Konflikt mehr als ein Betriebsstreit. „Die Tech-Branche schaut ganz genau hin“, sagt Kathlen Eggerling, Verhandlungsführerin bei Verdi. „Zum ersten Mal kommt es wegen KI-Einsatz zu einer Massenkündigung.“ Was hier entschieden wird, könnte also Schule machen.
TikTok verweigert bislang direkte Verhandlungen mit der Gewerkschaft Verdi und strebt stattdessen eine Einigungsstelle vor dem Arbeitsgericht an. Das Unternehmen ließ auf Anfrage mitteilen, dass sie eine „faire Lösung“ anstreben. Verdi hingegen vermutet hinter dem Einsatz einer Einigungsstelle ein beschleunigtses Kündigungsverfahren ohne fairen Sozialplan.
Solidarität aus der Wissenschaft
Unterstützung kommt der Forschung. Milagrosz Miseli von der Data Worker Inquiry warnt: „TikTok weiß, dass menschliche Moderatoren unerlässlich sind – aber sie nutzen KI als Drohkulisse.“ Ziel sei oft nicht der Ersatz durch Technik, sondern Druck und Disziplinierung – oder die Verlagerung der Arbeit in Billiglohnländer wie Kenia oder Kolumbien.
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