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Archivbild eines Gorilla-Riders, der vor dem Streik im Sommer 2021 Ware ausliefert.

© Foto: AFP/TOBIAS SCHWARZ

„Das gesamte Streikrecht steht auf dem Prüfstand“: Arbeitskampf bei Gorillas beschäftigt Berliner Gericht

Nachdem drei Gorillas-Fahrern 2021 nach einem wilden Streik gekündigt wurde, zogen diese vor Gericht. Ihrem Anwalt geht es um grundlegende Veränderungen.

Der Anwalt Benedikt Hopmann poltert: „Völkerrechtlich bewegen wir uns im Nirvana.“ Der ehemalige Berliner Abgeordnete vertritt drei ehemalige Mitarbeiter des Lebensmittel-Lieferdienstes Gorillas in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht gegen ihren Ex-Arbeitgeber. Dieser hatte ihnen gekündigt, weil sie 2021 an einem sogenannten wilden Streik teilgenommen haben. Doch in dem Streitfall geht es um viel mehr als diesen Streik.

Das wird schon vor Verhandlungsbeginn deutlich. Vor dem Arbeitsgericht hat die „Kampagne für ein umfassendes Streikrecht“ eine Kundgebung angemeldet, Vertreter der Gewerkschaften IG Metall und GEW sind mit Transparenten gekommen. Rund 50 Unterstützer demonstrieren vor der Tür, ein Dutzend Pressevertreter sind ebenfalls dort.

Völkerrechtlich bewegen wir uns im Nirvana.

Benedikt Hopmann, Anwalt der Rider

Das Gericht muss sich in der Verhandlung mit der grundsätzlichen Frage befassen, unter welchen Umständen ein Streik in Deutschland rechtens ist. Der gängigen Rechtspraxis zufolge sind nur Streiks zulässig, die von einer Gewerkschaft organisiert werden mit dem Ziel einer tariflichen Einigung mit dem Arbeitgeber. Die Gorillas-Kuriere haben jedoch in Eigeninitiative zu einem sogenannten wilden Streik aufgerufen.

Streikrecht aus dem Nationalsozialismus

Darauf berufen sich die Anwälte des Unternehmens: Ein wilder Streik sei in jedem Fall illegal. Hopmann, der sich gestikulierend in Rage redet, hält dagegen. Das deutsche Streikrecht entspreche nicht mehr den gegenwärtigen Arbeitsbedingungen. Ein Großteil der Gorillas-Mitarbeiter habe zum Zeitpunkt des Streiks nur befristete Verträge gehabt. Bei den kurzen Arbeitsverhältnissen in der Branche sei es für Mitarbeiter „de facto unmöglich“ sich gewerkschaftlich zu organisieren.

Vor dem Arbeitsgericht halten Unterstützer der gekündigten Gorillas-Mitarbeiter eine Kundgebung ab.
Vor dem Arbeitsgericht halten Unterstützer der gekündigten Gorillas-Mitarbeiter eine Kundgebung ab.

© Foto: Malte Neumann 

Vor allem treibt Hopmann aber um, dass Streiks in Deutschland auf Tarifverhandlungen ausgerichtet sein müssen. Das Völkerrecht sehe das nicht vor. Die gängige Rechtspraxis widerspreche der Europäischen Sozialcharta. Dass das deutsche Streikrecht überhaupt so stark auf Gewerkschaften baue, begründet Hopmann mit seiner Entstehung im Nationalsozialismus. Das Streikrecht habe dazu gedient, die Arbeiter zu kontrollieren.

Am Nachmittag entscheidet das Gericht: Die drei Kündigungen haben Bestand. Doch damit ist der Rechtsstreit vermutlich nicht beendet. Das Verfahren kann im nächsten Schritt beim Bundesarbeitsgericht weiterverhandelt werden.

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