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Es soll eine Strategie für das Teilen von Daten zwischen Unternehmen und der Stadt entwickelt werden.

© dpa/Matthias Balk

Datenpolitik: Kann die Luft in Berlin dank Künstlicher Intelligenz besser werden?

Berlin startet ein Experiment, in dem Unternehmen und die Stadtverwaltung Daten über die Qualität der Luft in der Stadt teilen sollen. Ziel ist, die Informationen für politische Entscheidungen zu nutzen.

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Daten könnten helfen, politische Entscheidungen zu treffen. Wenn es etwa um die Frage geht, wie die Luft in Berlin besser werden kann, helfen die Messwerte von Luftqualitäts-Sensoren. Füttert man Künstliche Intelligenz (KI) mit solchen Daten, könnte sie sogar ausrechnen, welche politischen Maßnahmen am meisten gegen schlechte Luft in Berlin helfen würden.

Siemens bietet das „City Performance Tool“ an

Mehrere Unternehmen verkaufen Software, die das leistet. Siemens bietet Städten zum Beispiel das sogenannte „City Performance Tool“ an. Die Anwendung arbeitet mit Daten über die aktuelle Luftbelastung, mit Stickoxid und Feinstaub. Aber kann die Stadt sich auf die Analyse eines solchen KI-Tools verlassen? Und unter welchen Bedingungen sollte sie die Luft-Daten überhaupt mit Unternehmen teilen – sollte sie im Gegenzug zum Beispiel vom Unternehmen verlangen, den Code offenzulegen?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich jetzt das Berliner Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) zusammen mit der Stadtverwaltung. Ziel ist, eine Strategie für das Teilen von Daten zwischen Unternehmen und Stadt zu entwickeln. In Zukunft soll diese Strategie auch auf andere Städte in Deutschland übertragen werden. Die Initiative ist eines der fünf Smart-City-Projekte, die Berlin im Rahmen der Smart-City-Förderung des Bundes umsetzt.

Projektstart zog sich sehr lange hin

Neben Wissenschaft, Verwaltung und Bürger:innen soll auch die Wirtschaft an dem Vorhaben beteiligt werden und mitgestalten. Aktuell laufen Verhandlungen mit drei Unternehmen, die Verträge sollen in den kommenden Wochen unterschrieben werden. Die Auswahl fiel auf den Freiburger Anbieter von Umweltinformationssystemen IVU Umwelt, auf die Berliner Betreibergesellschaft VMZ (Verkehr Mobilität Zukunft) und den Siemens-Konzern, der in Sachen Smart-City einer der wichtigsten Anbieter ist.

Das oben beschriebene Siemens-Tool war zwar Grundlage und Anlass-Fall für die Konzeption des Projekts, wird nun aber gar nicht konkret zum Einsatz kommen. Stattdessen wird mit der Technologie und den Modellen der anderen beiden Unternehmen gearbeitet, mit denen die Stadt Berlin bereits länger kooperiert. Siemens beteiligt sich allgemein an dem Forschungsprojekt.

Der Start lief zunächst schleppend. Seit den vergangenen Monaten laufen die Verhandlungen mit möglichen Technologiepartnern. Die Gespräche waren komplex, berichtet von Grafenstein. „Je größer Unternehmen sind, desto mehr unterschiedliche Abteilungen sind involviert“, sagt Maximilian von Grafenstein, Initiator des Projektes und Leiter des Forschungsprogramms „Governance datengetriebener Innovation und Cybersicherheit“ am HIIG.

Das Vorhaben soll sich auf drei Ebenen mit dem Thema Data Governance befassen. Erstes Ziel ist ein Organisations-Modell, das die Zusammenarbeit aller Beteiligten strukturiert: Welcher Akteur muss mit wem und wann im Prozess über was sprechen und was entscheiden? Denn beim Thema Luftqualität sind viele Akteure beteiligt. Federführend ist die Umweltverwaltung. Aber auch die Verkehrsverwaltung ist zentral, weil in diesem Bereich viele Schadstoffe anfallen. Dann gibt es noch die Bürger:innen, und schließlich die Unternehmen.

Datenpolitik in drei Dimensionen

Im zweiten Schritt sollen konkrete Formate entwickelt werden, in denen dieser Austausch stattfinden kann. Unter anderem ist ein Dashboard geplant, dass die Auswirkungen von politischen Maßnahmen auf Luftqualität visualisiert und als Grundlage für Bürgerbeteiligung dienen soll. Drittens sollen Kriterien entwickelt werden, anhand derer Städte entscheiden können sollen, ob sie eine bestimmte digitale Lösung selbst entwickeln, einen Dienstleister beauftragen, oder eine fertige Lösung einkaufen.

Dass diese Kriterien an einem konkreten Beispiel entwickelt werden, ist für von Grafenstein besonders wichtig. Denn auf der theoretischen Ebene sei man sich einig – jeder wolle Transparenz, Lock-in-Effekte vermeiden und fairen Wettbewerb ermöglichen. „Aber der Teufel liegt im Detail“, sagt von Grafenstein. „Spannend wird es erst, wenn wir uns einen konkreten Anwendungsfall nehmen und schauen, welche Probleme auftreten.“ Dieser Anwendungsfall ist nun die Luftqualität in Berlin.

KI erklären und Bürger einbeziehen

Bei der Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Konzernen in Smart-City-Projekten sind Datenschutz und Geschäftsgeheimnisse bekannte Probleme – bei ihrer Lösung soll das Data-Governance-Modell helfen. Es soll sich auch mit dem sogenannten „Explainability-Problem“ von KI befassen: Wie genau KI-Tools ihre Vorhersagen berechnen, ist für die Endnutzer:innen nämlich oft nicht nachvollziehbar, oder zumindest nur schwer zu verstehen.

Spannend wird es erst, wenn wir uns einen konkreten Anwendungsfall nehmen und schauen, welche Probleme auftreten.

 Maximilian von Grafenstein, Initiator des Projektes und Leiter des Forschungsprogramms „Governance datengetriebener Innovation und Cybersicherheit“ am HIIG.

Ziel des Projekts ist es, neben verschiedenen Abteilungen der Stadt auch Bürger:innen mitreden zu lassen, „um ihre Perspektive und mögliche Konfliktpotenziale beim Einsatz solcher Technologien frühzeitig erkennen und Lösungsansätze entwickeln zu können“, erklärt von Grafenstein. Um das zu ermöglichen, sind gute Erklärungen und transparente Algorithmen gefragt.

Auch aus rechtlicher Perspektive gibt es Klärungsbedarf: In Deutschland gilt das sogenannte Rationalitätsgebot in der Verwaltung. Es besagt, dass Eingriffe in Rechte von Bürger:innen mit Geboten der Vernunft begründet werden sollen. Wenn nun aber eine KI Szenarien errechnet, die wiederum die Grundlage politischer Entscheidungen darstellen, ist fraglich, ob das Gebot eingehalten wird. Ob etwas vernünftig ist, kann schließlich nur beurteilt werden, wenn die Entscheidungsgrundlage gänzlich nachvollziehbar ist.

Darüber hinaus sollen neue Bewegungen wie Citizen Science mitgedacht werden. Dabei geht es unter anderem darum, dass Bürger:innen selbst Daten sammeln und so Teil der Forschung werden. In Berlin und weltweit bringen engagierte Bürger:innen etwa Sensoren an Balkonen oder anderen Orten an, um die Luftqualität vor ihrer Haustür oder im eigenen Garten zu messen. So entsteht ein viel dichteres Netz an Sensoren, als es die städtische Verwaltung mit ihren Messstationen alleine umsetzen könnte. Eine umfassende Data Governance in einer Stadt könnte auch solche Daten mit einbeziehen. Ob die oft selbst gebauten Sensoren die nötigen Standards erfüllen, ist zwar fraglich. Trotzdem: „Die Citizen-Science-Bewegung kann politischen Druck auslösen“, glaubt von Grafenstein, „die Verwaltung muss auf veränderte Erwartungshaltungen reagieren.“

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