
© Alix Faßmann
Delegation der EU in Köpenick: Eine kleine Chemie-Firma zeigt, wie man die Wirkstoffproduktion zurück nach Europa holen kann
Sonja Jost, Gründerin der Pharma-Firma Dude Chem aus dem Berliner Südosten, bekam am Montag Besuch aus Brüssel. Ihr Geschäftsmodell passt offenbar gut zur aktuellen EU-Strategie, die Industrie unabhängiger zu machen.
Stand:
Die Anfrage aus Brüssel kam erst vergangene Woche. Kurzfristig, fast spontan – aber mit klarer Zielrichtung: Die EU-Kommission will wissen, wie man kritische Wirkstoffe künftig in Europa produzieren kann, sicherer, unabhängiger, nachhaltiger. Und das Berliner Start-up Dude Chem scheint eine Antwort zu haben.
Das Interesse kommt nicht von ungefähr: Die EU-Kommission will Europa unabhängiger machen – gerade bei kritischen Produkten wie Medikamenten. Lieferengpässe, Abhängigkeiten und geopolitische Risiken haben in den vergangenen Jahren deutlich gemacht, wie verwundbar globale Lieferketten sind. Start-ups wie Dude Chem passen genau in diese strategische Agenda.
Chemie-Startup Dude Chem war seiner Zeit voraus
Dude Chem wurde 2019 gegründet – also lange bevor Medikamenten-Engpässe europaweit zum politischen Thema wurden. Gründerin Sonja Jost und ihr Team entwickeln Verfahren zur Herstellung pharmazeutischer Wirkstoffe, die weniger Abfall produzieren, auf umweltschädliche Lösungsmittel verzichten und in Europa hergestellt werden können. Die Prozesse werden in Berlin im Labormaßstab getestet, digital skaliert und dann über ein Netzwerk von derzeit etwa 30 europäischen Partnern in die Produktion gebracht.

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Im Vortragssaal auf dem Gelände skizzierte Jost das Modell. „Wir liefern die chemischen Baupläne – unsere Partner kochen dann danach.“ Dass das in vielen Fällen günstiger ist als bei bisherigen Produzenten wie zum Beispiel in Indien, berichtet Jost stolz. Das sei für viele Kunden inzwischen entscheidend – neben Nachhaltigkeit und Lieferfähigkeit.

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Der vom Terminplan getaktete Schnellschritt-Spaziergang vom Vortragsgebäude führt die „Straße am Wald“ im Innovationspark Wuhlheide entlang zum Gebäude in Straße E, wo sich Dude Chems Büros und Laboratorien befinden. Angekommen im Flur erklärt Jost die zwölf Prinzipien der Grünen Chemie, die sich entlang eines geklebten grünen Tapes an der Wand verfolgen lassen. Da steht zum Beispiel „Vermeidung von Abfall“ oder „Einsatz sicherer Lösungsmittel“. Ein blaues Tape verläuft so, wie es in der konventionellen Chemieindustrie schon immer gemacht wurde. Der neue Weg, mit all seinen Abweichungen, wird sichtbar, und führt vorbei an einer Kittel-Garderobe ins Labor.

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Dort erklärt Jost, was sie meint. Im Labor bleibt die Gruppe vor einem gläsernen Gerät stehen. Die Gründerin greift durch zwei lange schwarze Handschuhe hinter die Glasscheibe in die abgeschlossene Kammer und zieht ein Fläschchen hervor. Sie erklärt, wie in der mit einem Nobelpreis ausgezeichneten Technologie komplexe Reaktionen ablaufen, die früher nur in giftigen Lösungsmitteln möglich waren – heute aber auch in Wasser.
Das senkt nicht nur die Umweltbelastung, sondern spart auch Kosten.
Sonja Jost über die Suche nach Lösungen zur konsequenten Abfallvermeidung
Die Männer aus Brüssel nicken. Die konsequente Vermeidung von Abfall also – Prozesse werden so gestaltet, dass möglichst keine Rückstände entstehen – und der Einsatz sicherer Lösungsmittel, etwa Wasser statt giftiger, erdölbasierter Chemikalien. „Das senkt nicht nur die Umweltbelastung, sondern spart auch Kosten“, erklärt Jost. Die Männer aus Brüssel nicken wieder.

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Mit dem Besuch setzt EU-Vizepräsident Stephane Séjourné nicht nur politisch ein Zeichen – er schaut sich auch ein Berliner Unternehmen an, in das die EU über den Europäischen Investitionsfonds (EIF) bereits investiert ist. Der EIF – die Wagniskapital-Tochter der Europäischen Investitionsbank – ist indirekt über mehrere Fonds an Dude Chem beteiligt. Darunter sind etwa Auxxo und der Borski Fund, die gezielt Gründerinnen in der Tech-Branche unterstützen. Beide beteiligten sich im Februar 2024 an einer Seed-Finanzierungsrunde über 6,5 Millionen Euro. Weitere Geldgeber waren b2venture, Vorwerk Ventures und Frontline Capital.
Für den EIF erfüllt Dude Chem gleich mehrere Förderziele: Klimaschutz, Digitalisierung, industrielle Resilienz – und ein weiblich geführtes Hightech-Unternehmen. Laut eigenen Angaben kann Dude Chem den Abfall in der Produktion um bis zu 70 Prozent und die CO₂-Emissionen um 40 Prozent gegenüber dem Branchenstandard reduzieren.
Zulassungen müssten schneller klappen
Doch es gibt auch Hürden, bei denen die EU hilfreich sein könnte, wie Jost schildert: Selbst wenn ein Verfahren technisch ausgereift ist, dauert die Zulassung häufig bis zu zwei Jahre. „Wir könnten schneller liefern – aber regulatorisch fehlt oft der Spielraum“, sagt sie. Gerade angesichts von über 1000 dokumentierten Medikamentenengpässen in Europa wirke das aus der Praxis heraus schwer nachvollziehbar.
Was erhofft sich Jost also von dem kurzfristigen Besuch? „Dass wir schneller zur Anwendung kommen dürfen“, sagt sie. Konkrete Zusagen gab es keine – aber ein klares Bekenntnis.
„Oft sind es Start-ups, die sehr innovativ sind und künftig deutlich mehr Wert in Europa schaffen. Diese Stimmen müssen mit an den Tisch“, sagt Stéphane Séjourné. Ob sich die kurzfristige Aufregung also gelohnt hat? Jost antwortet diplomatisch: „Wir hatten die Chance zu zeigen, was geht.“ Der EU-Mann macht allerdings Hoffnung bezüglich des politischen Tempos und bekräftigt: „Es gibt ein Momentum – und das müssen wir jetzt nutzen.“
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