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Blick in das Oberstufenzentrum (OSZ) Informations- und Medizintechnik in der Haarlemer Straße in Berlin-Neukölln.

© Kitty Kleist-Heinrich TSP

Update

Mehr Zuwanderung, weniger Teilzeit: 19 Berliner Verbände rufen Senat zur Arbeitsmarkt-Revolution auf

Insgesamt 19 Vereine, Verbände und Kammern der lokalen Wirtschaft fordern von der Berliner Landespolitik, „gemeinsam die Fachkräftelücke zu schließen“. Die vorgeschlagenen Schritte kommen nicht überall gut an.

Vor dem Hintergrund der laufenden Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD haben sich führende Branchenverbände, Vereine und Kammern der Wirtschaft in Berlin zusammengeschlossen, um die Politik zum gemeinsamen Kampf gegen den Fachkräftemangel, der mittlerweile fast jede Branche betrifft, aufzurufen.

Die Suche nach Fachleuten sei eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, argumentieren die 19 Organisationen in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung unter der Überschrift „Jetzt gemeinsam Fachkräftelücke schließen!“. Der Standort Berlin riskiere mit unbesetzten Stellen nicht nur Stilllegungen und Wegzüge von Betrieben, sondern auch, dass die kritische Infrastruktur und Versorgung der Bürgerinnen und Bürger nicht sichergestellt sei.

„Weichen, die daher heute beim Thema Fachkräfte nicht gestellt werden, ziehen morgen gravierende Folgen nach sich“, schreiben die Autoren. Diese Verantwortung gelte es aus Sicht der Unterzeichner der Erklärung, vonseiten der Politik und Wirtschaft anzunehmen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten und diese jetzt umzusetzen.

90.000 Fachkräfte fehlen bereits

Die Initiative sei auf einem Verbändetreffen von der Industrie- und Handelskammer (IHK) ausgegangen, teilte die Kammer auf Anfrage mit. Dort sind alle Berliner Unternehmen automatisch Mitglied. Der Kreis der Unterzeichner zeigt gleichwohl, wie sehr das Thema mittlerweile nicht mehr nur eines in der Industrie und dem verarbeitenden Gewerbe ist: Der Aufruf wurde von Verbänden der Architekten, der Wohnungswirtschaft (BBU) und Bauindustrie unterzeichnet sowie von denen des Handels und der Gastwirtschaft (HBB und Dehoga), dem Bankenverband, dem Verband der chemischen Industrie (VCI) und der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Auch die Tourismuswirtschaft (Intoura) hat unterzeichnet.

Den Angaben zufolge fehlen in Berlin bereits heute rund 90.000 Fachkräfte, im Jahr 2035 dürften es mehr als 400.000 Stellen sein.

Bei einigen der konkreten Forderungen (Zuwanderung ermöglichen) scheint eindeutig die Politik – vor allem auf Bundesebene – gefragt, bei anderen (Beschäftigung von Älteren steigern) scheinen hingegen eher die Unternehmen selbst die Lösung in der Hand zu haben.

DGB moniert mangelnde Ausbildungsbereitschaft

In einer ausführlicheren Fassung des Papiers stellen die Unterzeichner fest: „Der Berliner Arbeitsmarkt hat sich zu einem Bewerberinnen- und Bewerbermarkt entwickelt“. Das ist allerdings Entwicklung, die aus Sicht vieler Arbeitnehmer und Jobsuchender durchaus zu begrüßen ist, da sie ihre Verhandlungsposition stärkt. Die Unterzeichner schreiben aber explizit, sie stünden bereit, dem „entgegenzuwirken“. Beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) sieht man auch die Unternehmen, die nun nach Hilfe rufen, in der Verantwortung. „Vor der Fachkräftelücke, die die Berliner Wirtschaft heute beklagt, haben wir DGB-Gewerkschaften jahrelang gewarnt“, sagt Katja Karger, die Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg, dem Tagesspiegel. „Mehr Fachkräfte gibt es, wenn das vorhandene Potenzial gehoben wird: zu viele Frauen sind in Minijobs oder Teilzeit, hier muss umgesteuert werden.“ Berlin habe eine Erwerbslosenquote von neun Prozent, rechnet die Gewerkschafterin vor. Davon könnten viele in den Arbeitsmarkt integriert werden. Beim Übergang von der Schule in den Beruf müsse dafür gesorgt werden, dass niemand verloren geht. Betriebe müssten ihren Nachwuchs selber ausbilden – aber seit Jahren sinkt die Anzahl der Betriebe, die ausbilden, aktuell auf elf Prozent. „Deswegen wollen wir Gewerkschaften die Ausbildungsumlage, damit Ausbildungsbetriebe unterstützt werden“, sagt Katja Karger. „Wichtig ist auch, attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten und gute Löhne zu zahlen – das ist Trumpf auf dem heutigen Arbeitsmarkt.“ Tarifverträge seien hier das Gütesiegel und ein echter Wettbewerbsvorteil. „Das sollten Unternehmen und Wirtschaftsverbänden stärker nutzen, um Fachkräfte zu gewinnen.“

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