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Baustelle der Europacity in Berlin.

© imago images/Sabine Gudath / Sabine Gudath via www.imago-images.de

Ohne neu zu bauen: Gibt es Wohnraumreserven in Berlin?

Bei einer Veranstaltung von Bau- und Architektenkammer stellte der Ökonom Daniel Fuhrhop Konzepte vor, wie „Wohnraumreserven“ genutzt werden könnten.

Ein Drittel der Wohnungen, die aktuell als Neubau gefordert werden, könnte man den schon bestehenden Häusern aus den Rippen schneiden. 450.000 Menschen könnten in Berlin Wohnraum finden, ohne dass dafür neu gebaut wird. Diese Thesen mögen abenteuerlich klingen. Daniel Fuhrhop, Ökonom, Autor und ehemaliger parteiloser Oberbürgermeisterkandidat für Bündnis 90/Die Grünen in Oldenburg hat sie durchgerechnet. Am vergangenen Donnerstag präsentierte er sie in einer von Bau- und Architektenkammer gemeinsam organisierten Diskussionsveranstaltung.

„Kennen Sie eine Person, die allein in einem ganzen Haus wohnt?” Fast das ganze Publikum hebt die Hand. Es ist kein seltenes Phänomen: Kinder ziehen aus dem Familienheim aus. Zurück bleiben ein oder mehrere Elternteile auf einer viel zu üppigen Wohnfläche, während die Kinder für sich selbst keine eigene Wohnung finden, weil der Wohnraum offenbar so knapp ist. Laut Fuhrhop gibt es in Berlin 117.000 Einpersonenhaushalte, die über mehr als 80 Quadratmeter verfügen, etwa 99.000 Zweipersonenhaushalte mit mehr als 100 Quadratmeter Wohnfläche. Da hätte jeweils noch eine weitere Person Platz, meint er. Die Frage ist nur: Wie „aktiviert“ man diese Wohnraumreserven?

450.000
Menschen mehr könnten in Berlin wohnen, ohne neu zu bauen, meint Fuhrhop

Fuhrhop hat mehrere Vorschläge im Gepäck: In manchen Fällen könnte man bauliche Veränderungen vornehmen und Einliegerwohnungen abtrennen. Das geht natürlich nur, wenn die Eigentümer mitmachen. In einer Stadt wie Berlin, in der 80 Prozent der Bevölkerung zur Miete wohnen, ist das wohl nicht die wichtigste Quelle für aktivierbaren Wohnraum.

„Wohnen für Hilfe“ und Wohnraumvermittlung

Das Konzept „Wohnen für Hilfe” ist vielversprechender für Berlin: Ältere, alleinstehende Menschen könnten Auszubildende oder Studierende bei sich aufnehmen. Die Jungen bekämen den dringend benötigten Wohnraum, die Älteren Unterstützung und Sozialkontakt. In Brüssel werden laut Fuhrhop bereits 350 solcher Wohnpaare pro Jahr zusammengebracht. Auf Berlin übertragen sieht Fuhrhop ein Potenzial, 1000 junge Menschen pro Jahr durch ein solches Programm unterzubringen, deutschlandweit sogar 15.000. Notwendig, um dieses Potenzial tatsächlich zu aktivieren, wären Vermittlungsstellen, die die Wohnpaare zusammenbringen.

Überhaupt ist Vermittlung ein zentrales Stichwort für den gesamten Ansatz von Fuhrhop. Eine „Soziale Wohnraumvermittlung” schwebt ihm für private Vermieter mit einzelnen Wohnungen vor, die sie wegen schlechter Erfahrungen zum Beispiel mit säumigen Mietern lieber leer stehen zu lassen als sie wieder auf den Markt zu bringen. Die „Soziale Wohnraumvermittlung“ würde diese Wohnungen als Sozialwohnungen vermitteln und Vermietern dabei verlässlich die Miete garantieren, auch wenn die Mieter diese einmal nicht zahlen können sollten. Die Agentur würde Sozialarbeiter zur Betreuung schwieriger Mieter stellen und könnte gegebenenfalls sogar Renovierungszuschüsse gewähren. In Karlsruhe kämen pro Jahr 60 leerstehende Wohnungen über ein solches Programm wieder auf den Markt. Auf Berlin hochgerechnet sieht Fuhrhop ein Potenzial von 600 bis 700 Wohnungen pro Jahr.

Funktioniert nicht: die Wohnungstauschbörse

Für Berlin wichtig sei auch eine funktionierende Wohnungstauschbörse: Haushalte, die sich in puncto Wohnraum verkleinern und solche, die mehr Platz benötigen, könnten so in Kontakt gebracht werden. In Berlin existiert so etwas bereits seit vier Jahren für die Landeseigenen, nur funktioniert es offenbar nicht richtig. Denn: Angeregte Verfahren gibt es laut David Eberhart vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. (BBU) 221.000, aber Vermittlungserfolge kaum. Nur 1000 Tauschpaare hätten sich in den vier Jahren, in denen das Portal am Netz ist, gefunden. „Die Leute wollen es einfach nicht“, resümiert Eberhart. Für ihn bleiben Vorschläge zur Aktivierung von Wohnraumreserven wie die von Fuhrhop idealistisch und keine Alternative zum Neubau.

Fakt ist, dass zu wenig große Wohnungen im Portal angeboten werden, mittelgroße Wohnungen finden sich dort hingegen viele. Andreas Otto, Sprecher für Baupolitik bei Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus, meint, dass finanzielle Anreize Menschen aus größeren Wohnungen zum Wohnungstausch motivieren könnten.

Wohnungsberater Christian Gaebler

Christian Gaebler (SPD), Staatssekretär für Bauen und Wohnen, weist am Beispiel seiner 86-jährigen Mutter auf die emotionale Dimension hin: „Sie wohnt in einer 70-Quadratmeter-Wohnung, drei Zimmer.” Zu ihr sei die Hausverwaltung gekommen und habe gesagt: „Wir würden gerne da unten Ihre Wohnung abreißen, weil wir da eine Durchfahrt haben wollen, Sie können in den fünften Stock ziehen.” Rational sei das kein Problem, meint Gaebler: „Eigentlich, die Grundidee zu sagen, ich brauche gar keine drei Zimmer, ich kann mich auch auf zwei konzentrieren! Aber emotional eben schon.” Nachdem er es in Ruhe mit ihr durchgesprochen hätte, sei es auch in Ordnung gewesen.

Nur steht Gaebler natürlich nicht jeder betroffenen Person für eine solche Beratung zur Verfügung. Für Fuhrhop ist die Geschichte ein weiterer Beleg dafür, dass die Aktivierung von Wohnraumreserven mit guten Beratungs- und Vermittlungsangeboten steht und fällt. Am liebsten sähe er eine Wohnraumberatungs-Agentur, die etwa ältere Menschen berät, wie sie ihre große Wohnfläche sinnvoll nutzen könnten, und mit den Beratungsnehmern die unterschiedlichen Modelle durchspielt: ob nun „Wohnen gegen Hilfe”, der Wohnungstausch oder das Abtrennen einer Einliegerwohnung am passendsten sein könnte. Volkswirtschaftlich entstünde so eine massive Wertschöpfung, wenn Wohnraum geschaffen wird, ohne das Geld für Hausbau und Infrastruktur in die Hand zu nehmen: „Da wird ein richtiger Wert geschaffen, wenn sich Leute verkleinern.”

Aber genau weil dafür kein Geld in die Hand genommen wird, zweifelt Reiner Wild aus dem Präsidium des Deutschen Mieterbundes: Wir sind hier nämlich bei solchen Modellen, die sehr auf Vermittlung abstellen, auf Kontakte Knüpfen, ausführlich Beraten und so. Aber da wird eben nicht mitverdient. Das habe sich auch im Bündnis für Wohnungsneubau in Berlin gezeigt. Der Mieterverein habe mögliche Vermittlungsangebote thematisiert aber: „Da ist das Problem, dass die private Wohnungswirtschaft nicht mitspielt. Wir brauchen aber die Einbeziehung der Privaten”. Sonst habe man nicht genug Angebote.

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