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Interview mit Professor Bernd Hirschl und Jürgen Pöschk im Büro der Agentur Pöschk, in Berlin.

© David Heerde / David Heerde

Wie schafft Berlin die Klimawende?: „Ignorieren oder verschieben geht nicht mehr“

Professor Bernd Hirschl, Sprecher des Berliner Klimaschutzrates, spricht im Interview über Optionen und Zwänge für eine praktikable Energiewende in der Großstadt.

Von Jürgen Pöschk

Professor Hirschl, in der Klimadebatte wird aktuell viel über Ziele und Fristen gestritten. Was bringt uns das konkret?
Natürlich sind angesichts der weit fortgeschrittenen Klimakrise ambitionierte und angemessene Ziele wichtig. Wichtiger ist aber zu erkennen, dass wir bereits heute massive Probleme haben, die bestehenden Ziele zu erreichen ­­– das Land Berlin will bis 2030 70 Prozent weniger CO₂-Emissionen gegenüber 1990 ausstoßen, was das Reduktionsziel auf Bundesebene um 5 Prozent übertrifft, und das bei aktuell stagnierenden Trendentwicklungen.

Um also überhaupt das bestehende Ziel zu erreichen, müssen wir ab sofort alle Kräfte und Energien in Gesellschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Politik bündeln, damit die Vielfalt der Hemmnisse und Zielkonflikte überwunden werden kann und wir endlich in der Breite auf einen Klimaneutralitätspfad kommen.

Wir haben schlicht nicht mehr die Zeit, um vermeintlich günstigere Dinge zuerst zu machen und andere dann später.

Bernd Hirschl, Sprecher des Berliner Klimaschutzrates

Braucht es dafür spezifische Sektorziele – also getrennte für Gebäude, Verkehr und so weiter – oder eher ein einheitliches Globalziel?
Die Debatte zum Globalziel erinnert stark an die langjährige Diskussion zum CO₂-Emissionshandel: laut Lehrbuch angeblich sehr effizient, in der Praxis aber dann mit vielen – menschengemachten – Schwächen in der Ausgestaltung. Für differenzierte Sektorziele sprechen heute zudem primär zwei Faktoren: die klare Verantwortungsverteilung auf mehrere Schultern und der Faktor Zeit. Wir haben schlicht nicht mehr die Zeit, um vermeintlich günstigere Dinge zuerst zu machen und andere dann später – wir müssen vieles in allen Sektoren gleichzeitig voranbringen, und gerade aufwändigere Dinge wie der Um- oder Aufbau von Infrastrukturen können einfach nicht mehr auf die lange Bank der Theorie geschoben werden.

Zustimmung! Eine heute installierte Heizung wird ja aller Voraussicht nach bis circa 2040 laufen, eine Wärmedämmung noch wesentlich länger an der Wand sein. Können wir es uns in 2023 eigentlich noch leisten, nicht komplett klimaneutral zu bauen oder zu sanieren?
Überall dort, wo es bereits technische Lösungen gibt, sollten diese auf klimaneutralem Niveau erfolgen; das gilt für den kompletten Neubau und auch für viele Fälle der Sanierung und Modernisierung. Allerdings haben wir auch noch einige blinde Flecken, sei es beim Austausch von Erdgasetagenheizungen in Wohneigentümergemeinschaften – kein seltener Fall in einer Stadt wie Berlin –, aber auch beim Hoffnungsträger Fernwärme. Hierfür müssen schnellstmöglich Best Practices und Umsetzungspläne entwickelt werden, dazu einfache Beratungsstrukturen auch für komplizierte Fälle und Rahmenbedingungen, die die Maßnahmen konsequent wirtschaftlich und sozialverträglich machen.

Zeitlich drängend ist ja auch die Infrastrukturplanung, also die von Strom-, Wärme- und Gasnetzen. Das dauert alles Jahre bis Jahrzehnte. Wie bekommen wir hier deutlich mehr Tempo rein?
Tempo und Infrastrukturumbau sind ein schwieriges Paar. Hier muss es also um Prioritäten und gezielte Schwerpunktsetzung gehen, aber auch um Synergien. Die Transformation der Fernwärme muss Priorität haben, dazu der Wasserstoffanschluss von Kraftwerken und Industrie, aber auch die Ertüchtigung des Stromnetzes. Bei vielen wichtigen Aspekten im Energiesystem, etwa der Ermöglichung von Flexibilität und Sektorkopplung oder von Energiegemeinschaften und attraktiven Mieterstrommodellen, ist allerdings der Bund in der Pflicht, der hier unter Druck zu setzen ist.

Professor Bernd Hirschl (links) im Gespräch mit dem Journalisten und Agentur-Chef Jürgen Pöschk in Berlin-Kreuzberg.
Professor Bernd Hirschl (links) im Gespräch mit dem Journalisten und Agentur-Chef Jürgen Pöschk in Berlin-Kreuzberg.

© David Heerde / David Heerde

Nach dem Motto – in diesem Gebiet Wärmepumpen, dort Fernwärme – wird Berlin die Wärmeversorgung aufgrund bundesrechtlicher Bestimmungen auf eine neue Grundlage stellen und Strukturen ohne fossile Brennstoffe planen: Sehen Sie für die kommunale Wärmeplanung den notwendigen Schwung?
Die kommunale Wärmeplanung wird auf jeden Fall ein Schlüsselinstrument für Infrastrukturentscheidungen oder Quartierskonzepte werden. Sie sollte in einer großen Stadt wie Berlin mit einem komplexen und heterogenen Wärmemarkt mit vielen Wettbewerbern allerdings auch nicht überbewertet werden. Sie ersetzt nicht den erforderlichen klaren Rahmen und Zielwerte für die Wärmewende.

Da waren wir eben ja schon bei der Governance: Welches sind Ihrer Meinung nach die Top-3 Fragestellungen und Aufgaben, denen sich ein neuer Senat widmen sollte?
Die erste Erkenntnis ist leider, dass mit nur drei zentralen Schwerpunktsetzungen Klimaneutralität nicht zu erreichen sein wird – es ist vielschichtiger. Damit ist aber auch der zentrale Punkt benannt: ohne konsequentes politisches Handeln zum Erreichen der Klimaneutralität werden wir scheitern. Das muss insgesamt so ernsthaft priorisiert werden, dass es nicht ständig hinten herunterfällt, wenn es schwierig wird oder andere politische Ziele vermeintlich wichtiger sind. Wir dürfen den Schutz der Mietenden, den Schutz vor finanzieller Belastung in der aktuellen Energiekrise, den Schutz des Grundwassers oder den Denkmalschutz nicht permanent gegen den Klimaschutz ausspielen.

Aber wie kann das ganz konkret gelingen?
Wir brauchen hierfür überall Aushandlungsprozesse, Strukturen und letztlich klare Entscheidungen, die den Weg zur Klimaneutralität gemeinsam mit der Erreichung anderer politischer Ziele ermöglichen. Was die Kommissionen zum Kohleausstieg und davor zum Atomausstieg auf Bundesebene geschafft haben, braucht es auch in anderen Sektoren und Themenfeldern, in allen Bundesländern und Kommunen für alle größeren Zielkonflikte. Die Probleme müssen angegangen, Lösungen gefunden und Entscheidungen im Sinne der KIimaneutralität getroffen werden – ignorieren oder verschieben geht nicht mehr.

Programmatisch stehen sich ja ein kleinteiliges Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK), das auf weiche beziehungsweise freiwillige Maßnahmen setzt, und verpflichtende ordnungsrechtliche Vorgaben gegenüber – im richtigen Verhältnis?
Angesichts der kurzen Zeit, die noch bleibt, wird es ohne ordnungsrechtliche Flankierung nicht mehr gehen, und in vielen Fällen schafft diese ja auch Richtungssicherheit für Investitionen. Sie wird dann leichter akzeptiert, wenn die Klimaschutzmaßnahmen sich rechnen – und das ist in vielen Fällen mit geeigneten Rahmenbedingungen gestaltbar: wenn Klimaschäden adäquat eingepreist werden und die Kosten, aber auch der Nutzen, fairer und sozialverträglich verteilt werden. Ein BEK mit vielen konkreten und differenzierten Maßnahmen braucht es dann immer noch; allerdings muss die Umsetzung eine staatliche Aufgabe sein, so wie es aktuell auch zumindest angelegt ist. Dafür braucht es allerdings ein Set an verbindlichen Zielindikatoren in allen Sektoren, die auch tatsächlich überprüft werden können – und keine methodisch fragwürdigen Berechnungen vermeintlicher CO₂-Wirkungen einzelner Maßnahmen.

Photovoltaikanlage mit Dünnschichtmodulen auf dem Dach eines Kaufhauses in Berlin-Mitte. Hirschel fordert spezifische Ausbauzielwerte für alle Arten von PV-Anlagen.
Photovoltaikanlage mit Dünnschichtmodulen auf dem Dach eines Kaufhauses in Berlin-Mitte. Hirschel fordert spezifische Ausbauzielwerte für alle Arten von PV-Anlagen.

© picture alliance / imageBROKER / Rolf Schulten

Aber jetzt mal ganz praktisch: Ist die Verwaltung in Berlin personell ausreichend oder gar gut für die anstehenden Aufgaben in Energiewende und Klimaschutz ausgestattet?
Wenn wir uns die schiere Größe der Aufgabe anschauen, dann dürfte schnell klar werden, dass dem nicht so ist. Der angesprochene Um- und Ausbau der Infrastrukturen, Genehmigungen großer Wärmepumpen- oder Geothermieanlagen – all das braucht zunehmend Personal, das auch noch gut ausgebildet sein muss – möglichst runter bis auf die bezirkliche Ebene. Wobei hier sehr wahrscheinlich die Zentralisierung und Standardisierung einiger Prozesse und Regelungen auf Ebene des Landes die effizientere Lösung sein wird.

Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der Privatisierung weist die Rekommunalisierung einige Vorteile hinsichtlich der Steuerbarkeit der Transformation auf.

Bernd Hirschl, Sprecher des Berliner Klimaschutzrates

Die geplante Neuordnung der Berliner Energiewirtschaft: komplett rekommunalisieren, gemischtes Modell oder alles privatwirtschaftlich belassen?
Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der Privatisierung weist die Rekommunalisierung einige Vorteile hinsichtlich der Steuerbarkeit der Transformation auf. Und wenn man ein Finanzierungsmodell wählt, das den Haushalt nicht zu stark belastet und gleichzeitig einen Klimaschutz-Fonds speist, entsteht ein weiterer positiver Effekt. Ein gemischtes Modell kann ich mir nur mit einem Partner vorstellen, mit dem man glaubhaft Klimaneutralität erreichen und vertrauensvoll zusammenarbeiten kann. Aber egal wie es kommt, alle Gas- und Fernwärmeanbieter brauchen ja ohnehin klare regulative Vorgaben zur Klimaneutralität, sodass diese Frage nicht mehr die Brisanz früherer Tage aufweist. Generell muss auch jenseits der Energiewirtschaft gelten, dass die öffentliche Hand und alle öffentlichen Unternehmen ihrer Vorbildrolle gerecht werden.

Wie sollten wir eigentlich die Stromwende für Berlin gestalten?
Für die Solarwende sollten wir uns für alle relevanten PV-Segmente spezifische Ausbauzielwerte vornehmen und dafür konsequent die Hemmnisse abbauen – von der netzseitigen Genehmigung bis hin zu den Vorschriften der Bauordnungen. Wichtig ist aber auch, dass Berlin über genügend Windstrom aus dem Umland verfügt, denn den brauchen wir dringend im Winter. Berlin sollte sich deshalb aktiv dafür einsetzen, dass die betroffenen Standortkommunen – beispielsweise in Brandenburg – massiv von einem weiteren Windkraftausbau profitieren. Und dass dieser Windstrom günstig in die Stromsenke Berlin gelangen kann, wenn er gebraucht wird, anstatt ihn wie heute allzu oft abzuregeln.

Interview mit Professor Bernd Hirschl und Jürgen Pöschk im Büro der Agentur Pöschk, in Berlin.
Interview mit Professor Bernd Hirschl und Jürgen Pöschk im Büro der Agentur Pöschk, in Berlin.

© David Heerde / David Heerde

Und wer soll all die Anlagen eigentlich planen, installieren und betreuen?
Die Fachkräfteproblematik ist mindestens ebenso lange ignoriert worden, wie wirksamer Klimaschutz. Wir müssen hier kurzfristig tatsächlich alle Register ziehen: von guter Entlohnung und attraktiveren Arbeitsbedingungen, von Angeboten der Klimaschutzbranche für das freiwillige ökologische Jahr, auch um mehr Abiturient:innen in Handwerksberufe zu bekommen, bis hin zur Aktivierung von Geringqualifizierten und eingewanderten Menschen. Es braucht hier eine nachhaltige Strategie und keine Strohfeuer-Kampagnen.

Der Klimabewegung geht das alles viel zu langsam. Anderen zu schnell. Das polarisiert die Gesellschaft.
Ich befürchte, wir stehen erst am Anfang der Polarisierung. Denn es ist auf der einen Seite ja richtig, dass wir bisher politisch viel zu langsam und nicht konsequent genug agiert haben. Auf der anderen Seite ist die aktuelle fossile Energiepreiskrise ja erst der Auftakt, der gerade mit viel Geld sozial abgefedert werden muss. Aber es werden ja einige weitere Herausforderungen und Belastungen auf die Bevölkerung zukommen, das ist ja erst der Anfang der Transformation.

Wo sehen Sie da einen Ausweg?
Eine befriedende Antwort sehe ich im Grunde nur in glaubhafter Klimaschutzpolitik, die allerdings gleichzeitig die Zielkonflikte und notwendigen Aushandlungsprozesse transparent macht. Nur dann sehen alle Beteiligten, denen es zu schnell oder nicht schnell genug geht, dass verschiedene und im Regelfall ja berechtigte Ziele zu beachten und nicht einfach streichbar sind. Ganz wichtig wird bei allen Fragen die Sozialverträglichkeit sein. So wie bei der Kohlekommission 2019, auch wenn diese unter den heutigen Vorzeichen zu anderen Ergebnissen kommen würde. Entscheidend aber war damals, dass das lange schwelende Problem endlich konzentriert behandelt und abgeräumt wurde.

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