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© imago images/Shotshop/imago classic

Wird der Berliner Wohnungsmarkt falsch reguliert?: „Die Oma soll angemessen bezahlen für ihre große Wohnung oder ausziehen“

Wer in Berlin eine Wohnung neu mietet, zahlt meist deutlich mehr als seine Nachbarn. Ein Immobilienanalyst sagt: Schuld sind ausgerechnet Regeln, die Mieter schützen sollen.

Stand:

Wer zu spät kommt, den bestraft der Mietmarkt. Denn Mieter:innen mit einem alten Vertrag zahlen im Schnitt deutlich weniger als jemand, der frisch einzieht – auch wenn sich die Wohnungen in Größe, Ausstattung und Lage gleichen. Das zeigen Zahlen des Forschungs- und Beratungsinstituts Empirica Regio und des Statistischen Bundesamts. Zum Vergleich: Nimmt man an, dass eine Person eine Bestandswohnung neu anmietet und dafür 1000 Euro im Monat zahlt, würde demnach in einer Großstadt wie Berlin eine Person in einer ähnlichen Wohnung, die aber bereits vor vier Jahren eingezogen ist, nur 860 Euro zahlen.

Wer zwischen vier und zwölf Jahren in der Wohnung lebt, würde demnach 730 Euro zahlen und wer schon mehr als zwölf Jahre lang mietet, nur 630 Euro. Am teuersten wäre eine ähnlich ausgestattete Wohnung in einem Neubau: Wer hier frisch einzieht, müsste im Schnitt 1380 Euro zahlen. In Berlin dürften die Unterschiede besonders groß sein. Denn nirgendwo steigen die Angebotsmieten so stark wie in der Hauptstadt.

Diesen Vergleich hat der Wohnungsmarktanalyst und Empirica Regio-Geschäftsführer Reiner Braun vor Kurzem für den Blog Wirtschaftliche Freiheit zusammengestellt. Demnach steigen die Großstadt-Mieten in Altverträgen ab zwölf Jahren Wohndauer nicht einmal halb so schnell wie in Neuverträgen. Speziell für Berlin liegen die Zahlen nicht vor.

Mieten wird für alle immer teurer? Von wegen, so Braun: Bereinigt man die Mietpreisentwicklung um die Inflation, sind solche sehr alten Verträge in deutschen Großstädten demnach zwischen 2010 und 2023 im Verhältnis ein wenig günstiger geworden (minus zwei Prozent) – während Neubaumieten um ein Viertel und Wiedervermietungen um ein Fünftel zugelegt haben.

Das ist ungerecht, sagt der Diplom-Volkswirt – und will als einen Grund für die Preiskluft ausgerechnet ein Zuviel an Mieterschutz ausgemacht haben.

Herr Braun, alle schimpfen über die Mietpreise. Sie sagen, die Mieten in Deutschland seien gar nicht so stark gestiegen. Gilt das auch für die Hauptstadt?
Ich will nicht in Abrede stellen, dass Mieten in den vergangenen 15 Jahren real teurer geworden ist. Aber nicht alle Mieten sind besonders stark gestiegen, sieht man sich die Anstiege inflationsbereinigt und im Verhältnis zu den gestiegenen Einkommen an. Stattdessen wächst die Kluft bei der Mietbelastung zwischen Alt- und Neumietern drastisch – am meisten zahlen die, die in einen Neubau ziehen. Das gilt besonders in Berlin. Es sind also auch hier nicht alle Mieten zu hoch…

…sondern nur die der kürzlich Eingezogenen?

Ja, Altmieter profitieren von erheblichen Preisabschlägen im Vergleich zu Neuvertragsmieten. Das ist ungerecht. Warum sollte jemand viel mehr für die gleiche Wohnung bezahlen, nur weil er zwanzig Jahre später eingezogen ist?

Und das ist ein neues Phänomen?
Eine gewisse Marktspaltung gab es immer. In Phasen, in denen wenig gebaut wird, wird bei Neuvermietung stets mehr Miete verlangt – dann wird der finanzielle Vorteil von Altverträgen größer. In der anschließenden Entlastungsphase, in der viele Wohnungen auf den Markt kommen, nähern sich die Mieten wieder an. Aber in der alten Bundesrepublik hat so ein Zyklus sieben Jahre gedauert. Der aktuelle Zyklus hält seit 15 Jahren an, deshalb ist auch die Lücke so groß.

Es braucht Mieterschutz, aber es gibt ein Optimum. Und da sind wir jetzt drüber.

Reiner Braun, Geschäftsführer von Empirica Regio

Berlin hat die eigenen Wohnungsbauziele regelmäßig verfehlt, gleichzeitig ziehen viele Menschen zu. Sie sagen: Zu wenige Wohnungen sind nicht der einzige Grund, weshalb Angebote knapp sind?
Die Wohnungen sind noch dazu ineffizient verteilt, weil Berlins Wohnungspolitik die Bestandsmieten überreguliert. Die sind bei laufenden Verträgen gleich doppelt begrenzt, und bei Wiedervermietungen im Bestand greift die Mietpreisbremse. Diese Mieten werden trotz Knappheit künstlich günstig gehalten. Nur die Neubaumieten dürfen frei vereinbart werden. Nur sie spiegeln annähernd den wahren Marktpreis wider von zu wenig gebauten Wohnungen bei immer größerer Nachfrage und hohen Baukosten. Aber wenn neue und alte Mieten zu weit auseinanderdriften, kommt es zu Lock-In-Effekten…

…wer einmal eine Wohnung in Berlin gefunden hat, zieht nicht mehr aus.
Ja, auch wenn er so viel Wohnfläche längst nicht mehr braucht. Wenn Kinder ausziehen, könnten Eltern in eine kleinere Wohnung wechseln. Die werden sie in ihrer Nachbarschaft aber kaum finden. Das liegt an zu wenig Neubau. Aber selbst wenn sie eine Wohnung finden, wäre die neue Miete so viel höher als die in der größeren Wohnung, dass sie doof wären, auszuziehen. Es braucht Mieterschutz, aber es gibt ein Optimum. Und da sind wir jetzt drüber.

Sie wollen die Kappungs- und die Mietpreisbremse abschaffen?
Damit würde sich die Lücke schnell schließen, das wäre Milei [Anm.: Gemeint ist der ultralibertäre argentinische Präsident Javier Milei, der radikal Regulierungen abbauen will] auf dem Mietmarkt. Ich denke aber pragmatischer als diese Forderung. Ein Politiker, der die Regulatorik von heute auf morgen abschafft, legt sich mit allen Bestandsmietern an. Der wird nicht wiedergewählt, das wagt also keiner.

Daher schlage ich einen Deregulierungsprozess vor: Jedes Jahr könnte die Regulierung ein wenig entschärft werden. Zunächst dürften Vermieter sehr niedrige Bestandsmieten stärker erhöhen, aber noch nicht bis zur Marktmiete und so weiter. Die Marktspaltung hat sich über 15 Jahre lang aufgebaut, es wird ähnlich lange dauern, sie zu beseitigen.

Das Bild der Rentnerin, die allein auf vier Zimmern wohnt, wird in der Debatte um Wohnungsmangel oft bemüht (Symbolfoto). Wer und wie viele Personen tatsächlich in Berlin sehr große Wohnungen mieten, ist aber nicht erfasst. Reiner Braun kritisiert, dass die Mietpreisbremse hohen Flächenverbrauch in Bestandswohnungen durch Einzelne schütze.

© stock.adobe.com/Ingo Bartussek

Dann könnten sich schleichend immer mehr Berliner ihre Wohnungen nicht mehr leisten. Wo sollen die hin? Die bezahlbaren Alternativen fehlen.
Wir reden bei Bestandsmieten nicht nur von Mieten, die knapp unter dem Mietspiegel liegen – sondern von Mieten von fünf Euro pro Quadratmeter. Ein Anwalt, ein Arzt, ein Professor kann sich locker das Dreifache leisten – und diese Gruppe dürfte groß sein. Das müsste man untersuchen. Das Dreifache ist womöglich aber nicht einmal nötig. Die Bestandsmieten sind einstellig.

Würde die Politik nun alle Mieten freigeben, würde sich die neue Marktmiete darüber, aber unter der alten einpendeln – also vielleicht bei 14 Euro. Denn die Fluktuation würde steigen, die Flächen würden besser verteilt, die Knappheit würde abnehmen und damit die Neuvertragsmieten sinken. Natürlich haben manche Bestandsmieter auch ein Problem mit einer etwas höheren Miete – die Oma mit der schmalen Rente zum Beispiel. Diesen Mietern müsste man im Übergang helfen.

Welche Hilfe schlagen Sie vor?
Vielleicht ein Sonderwohngeld. Es gibt den Vorschlag einer Extra-Steuer auf Mieteinnahmen, mit der das zu finanzieren wäre. Aber ohnehin stiegen bei höheren Mieten ja die Steuereinnahmen.

Wenn ich Wohnungen effizienter verteile, nimmt die Verdrängung ab und nicht zu.

Reiner Braun, Geschäftsführer von Empirica Regio

„Die Fluktuation würde steigen“ heißt auch: Die steigenden Mietpreise würden manche Mieter verdrängen.
In Moment haben wir doch Verdrängung in Gebieten wie dem Prenzlauer Berg, weil sich sozial Schwächere die Mieten dort nicht leisten können. Die finden nur Bezahlbares in Randbezirken oder im Umland. Wenn ich Wohnungen effizienter verteile, nimmt die Verdrängung ab und nicht zu. Die Oma soll angemessen bezahlen für ihre große Wohnung oder ausziehen – aber dann soll sie im gleichen Quartier eine kleinere Wohnung finden. Das ist ein Unterschied.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mieter:innen auch nur innerhalb des gleichen Bezirks eine bezahlbare Wohnung finden würden.
Zu Deregulierung allein rate ich auch nicht, das wäre ein harter Weg. Damit es in einer Übergangsphase nicht zu sozialen Verwerfungen kommt, muss die Marktmiete sehr schnell und sehr stark sinken. Deswegen braucht es zugleich eine Neubauoffensive – dafür muss Berlin mehr Bauland ausweisen, damit der Preis sinkt, und Genehmigungen schneller umsetzen.

In einem Beitrag schreiben Sie über Bestandsmieter:innen als Mietadel…
… der Begriff kommt aus Österreich. Dort können Mietverträge vererbt werden, das ist in Deutschland nicht so einfach. Deshalb gibt es auch in Wien, das oft als Mustermietstadt gelobt wird, unglaubliche Lock-In-Effekte.

Aber Mieter:innen sind im Gegensatz zu Eigentümer:innen etwa bei der Altersabsicherung deutlich schlechter gestellt. Ist es nicht ungerecht, in der Wohnungskrise bei ihnen anzusetzen?
Es gibt keinen goldenen Ausweg. Wohnen ist teurer geworden und wird es weiterhin: Weil wir möglichst kein neues Bauland wollen, um nicht noch mehr zu versiegeln. Und weil wir eine CO₂-Steuer auf Beton haben, energetische Standards. Warum sollte eine einzige Gruppe von der Verteuerung ausgenommen werden, nur weil sie schon seit 40 Jahren ihre Wohnung mietet?

Wir beobachten teilweise absurde Phänomene: Menschen ziehen vorübergehend in eine andere Stadt, vermieten ihre Wohnung aber heimlich und oft teurer unter oder als Airbnb, weil sie nach zwei Jahren keine neue suchen wollen. Paare wohnen faktisch zusammen, beide mieten aber ihre Wohnungen weiter. Das verkleinert das Angebot weiter und treibt damit die Marktmieten nach oben.

Die Mietpreise in Neu- und Altbauwohnungen sind bislang unterschiedlich reguliert. Für Gebäude, die nach 2014 errichtet wurden, gilt die Mietpreisbremse bislang nicht. Über eine Ausweitung wird aber diskutiert.

© imago/Christoph Hardt

Um die Kluft zu schließen, könnte man auch Preise für Neumieter stärker regulieren. Laut Bausenator Christian Gaebler (SPD) gibt es Gespräche, die Mietpreisbremse auf Neubauten auszuweiten.
Rechnerisch ist es egal, ob ich die unteren Mieten erhöhe oder die höheren Mieten senke. Die Frage ist aber, was das für den Wohnungsmarkt bedeutet. Stellen wir uns vor, die Mietpreisbremse gilt für Neubauer. Die dürften nur noch für 20 Euro pro Quadratmeter vermieten. Was aber passiert, würden sich meine Wohnungen erst ab 22 Euro rentieren, denn das Bauland ist teuer und die Baukosten hoch? Ich baue nicht. Wir können es uns in Berlin nicht leisten, Investoren abzuschrecken.

Eine Regulierung im Nachhinein schreckt neue Investoren vom Bauen ab.

Reiner Braun, Geschäftsführer von Empirica Regio

Auch für Gebäude, die bereits seit 2014 fertiggestellt wurden, gilt die Mietpreisbremse nicht.
Damit käme die Kalkulation mancher Investoren nicht mehr hin. Auch eine Regulierung im Nachhinein schreckt zudem neue Investoren vom Bauen ab: Ich muss befürchten, dass irgendwann wieder eine Ausweitung kommt und dann auch meine Miete begrenzt wird, selbst wenn sie jetzt noch ausgenommen ist.

Ihr Szenario setzt voraus, dass Investoren knapp kalkulieren und die hohen Neubaumieten nur reale Knappheit und Baukosten widerspiegeln – nicht massive Profiterwartungen und Bodenspekulation.
Es gibt sicherlich welche, die vermieten für 24 Euro und würden auch mit 20 Euro noch Gewinn machen. Manche Investoren geben sich mit weniger Gewinn zufrieden, der andere ist vielleicht international tätig und will mehr sehen. Der sagt: Wenn ich in Berlin nur drei Prozent Rendite habe, baue ich eben in Hongkong mit fünf. Ein anderer überlegt nur, ob er in Berlin oder Leipzig baut und der Dritte baut überhaupt nur in Berlin. Ich sage nicht, wenn man die Mietpreisbremse auf den Neubau ausweitet, wird keiner mehr bauen. Es wird aber auf jeden Fall weniger.

Könnte man die Lock-In-Effekte nicht mit positiven Anreizen zum Umzug bekämpfen? Umzugsprämien, Wohnungstausch mit Steuererleichterungen fördern – die Möglichkeiten sind bislang doch nicht ausgeschöpft.
Der Wohnungstausch wird schon lange probiert, die Erfolge sind an wenigen Fingern abzählbar. Das soll man gerne machen. Aber wir reden nicht von 100 Wohnungen, die wir nur ein bisschen hin- und herschieben müssen, sondern von Zehntausenden Fällen von Fehlbelegung. Außerdem braucht auch der Wohnungstausch in der Regel eine leerstehende Wohnung, weil die Wohnung vor dem Tausch oft erst saniert werden muss.

Und selbst wenn die Oma dank Anreize der kommunalen Gesellschaften den Nettoquadratmeterpreis in der kleineren Wohnung behalten dürfte – und andernfalls zieht sie sicherlich nicht um –, besitzen nun mal private Vermieter die Mehrheit der Wohnungen in Berlin.

Für wie realistisch halten Sie es, dass Berlins Regierung auf Deregulierung und Neubauoffensive setzt?
Überhaupt nicht. Nicht, weil es nicht machbar ist, sondern weil man nur in Regulierung denkt. Bei marktwirtschaftlichen Lösungen ist gleich von Abzocke die Rede. Ich kann aber nur abzocken, wenn eine Knappheit da ist. Die würde mittelfristig verkleinert und alle wären zufriedener. Stattdessen stehen in Berlin alle Zeichen darauf, die Mietpreishöhen weiter zu verschärfen. Dann finden noch mehr junge Familien, junge Menschen, die gerade ausziehen und die, die nach Berlin ziehen wollen, keine Wohnungen mehr. Das Umland freut sich, dort wird mehr gebaut, die profitieren dann auch von den Einkommenssteueranteilen. Und Berlin bekommt dieses Geld eben nicht.

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