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Lächeln ohne Löcher. Nach der Behandlung durch Zahnärztin Anne Speda zeigt Assistentin Kirsten Gehlert der jungen Patientin, wie schön ihre Zähne jetzt wieder aussehen.

© Andreas Schwarz

Praxis Plastikstuhl: Berliner Zahnärzte helfen in Südafrika

Mediziner und Assistenten einer Praxis am Kurfürstendamm nehmen Urlaub, um im Fischerdorf Paternoster Kinder und Jugendliche gratis zu behandeln. Dabei müssen sie Improvisationstalent beweisen.

Mit offenem Mund blickt der Junge in die Kamera und zeigt seine strahlend weißen Zähne. Es gibt noch ein anderes Bild, das zuvor aufgenommen wurde: Auf diesem sind große, braun-schwarze Stellen an den oberen Schneidezähnen zu sehen. Zwischen den beiden Fotos liegt eine gründliche zahnärztliche Behandlung. Und die ist in so kleinen südafrikanischen Orten wie dem Fischerdorf Paternoster alles andere als selbstverständlich. Der Junge im Teenageralter musste sich auch erst einmal an den Gedanken gewöhnen, andere an seine Zähne zu lassen. Aber das Team um den Berliner Zahnarzt Stephan Ziegler konnte ihn überzeugen, dass ein komplettes Gebiss doch nicht das Schlechteste ist. Der Junge streckte sich also auf der Strandliege aus, und der Zahnarzt nahm den Akkubohrer zur Hand – ohne Improvisationstalent geht in Südafrika nichts.

Das Team bricht jetzt zum dritten Mal auf

Schon zweimal waren Ziegler und seine Mitarbeiter der Charlottenburger Praxis KU64 in den vergangenen Jahren in Paternoster. Am 20. Januar bricht das Team zum dritten Einsatz auf, um die rund 300 Kinder der dortigen Schule zu behandeln. „Wir wollen nachhaltig arbeiten“, sagt Ziegler.

Der Kontakt kam über eine Patientin zustande. Simone Jacke, die durch ihren Mann, einen gebürtigen Südafrikaner, eine besondere Beziehung zu der Region hat, rief dort das Projekt Westcoast Kids ins Leben. „Paternoster ist ein abgeschiedener Ort“, sagt Simone Jacke. Die nächste Stadt ist 15 Kilometer entfernt; Ärzte gibt es nicht in dem Dorf, dessen Einwohner fast ausschließlich von der Fischerei leben. Der Ort liegt rund 160 Kilometer nördlich von Kapstadt an der Atlantikküste, wegen des kühlen Klimas eignet sich die Gegend aber nicht für einen Badeurlaub und profitiert deswegen nicht vom Tourismus in der Kap-Region.

Die Eltern sind oft drogenabhängig, an Aids erkrankt

Die 45-jährige Managerin erzählte vor einigen Jahren ihrem Zahnarzt von der Not der Jungen und Mädchen in Paternoster: Deren Eltern sind oftmals alkohol- oder drogenabhängig, an Aids erkrankt und kümmern sich nicht um ihren Nachwuchs. Etliche Kinder haben Gewalt erfahren und wurden missbraucht. Die medizinische Versorgung ist mangelhaft. Jacke, die inzwischen seit zwei Jahren dauerhaft in Südafrika lebt, war auch darüber schockiert, dass viele Kinder und Jugendliche schlechte Zähne und Gebisse voller Lücken haben. „Vielen wurden die Zähne schmerzhaft ohne Betäubung irgendwo auf einem Hinterhof gezogen“, sagt Jacke. Ein solch lückenhaftes Gebiss stigmatisiere sie zeitlebens als arm; an eine Ausbildung beispielsweise in der Tourismusbranche sei so nicht zu denken. Ziegler wollte gerne helfen.

„Einfach nur Geld zu spenden, war mir zu wenig“, sagt der Zahnarzt, der am Kurfürstendamm die Praxis KU64 aufgebaut hat. Also bot er an, medizinische Unterstützung zu leisten, und konnte Zahnärzte und Assistenten aus der Praxis für die Idee gewinnen, eine Woche ihres Urlaubs zu nehmen und in dieser Zeit die Kinder zu behandeln. 2009 war das Berliner Team das erste Mal in Südafrika.

Ärzte haben hier oft nur Zangen - zum Zähneziehen

Fast alle Jungen und Mädchen der örtlichen Schule haben kariöse Zähne und Löcher. Laut Zahnarzt Ziegler ist Prophylaxe dort unbekannt. Der einzige Distriktzahnarzt ist für eine große Region zuständig und lässt sich nur selten in Paternoster blicken; in seinem Werkzeugkoffer befinden sich fast nur Zangen zum Zähneziehen. Macht ein Zahn Probleme und schmerzt, entfernt der Dentist ihn einfach. Füllungen und zahnerhaltende Maßnahmen gibt es in der Regel nicht.

Vor dem Einsatz der Zahnärzte in Südafrika hat Ziegler etliche bürokratische Hürden zu nehmen. Ins Englische übersetzte polizeiliche Führungszeugnisse müssen vorgelegt werden; die Zahnmedizinische Hochschule muss die Qualifikation der Mediziner bestätigen. „Die Behörden sind schon misstrauisch“, sagt Ziegler. Wenn keine schriftliche Einverständniserklärung der Eltern vorliegt, dürfen die deutschen Zahnmediziner die Kinder nicht behandeln.

Der Bohrer sirrt im Akkubetrieb - falls der Strom ausfällt

Das zehnköpfige Team – darunter drei Zahnärzte – reist mit schwerem Gepäck nach Südafrika. Eine Spedition übernimmt den Transport der drei großen Koffer, die je eine mobile Zahnarztausrüstung mit Bohrern, Saugern und Kompressor enthalten. Die Geräte können alle mit Akkus betrieben werden. Das ist wichtig, wenn bei der Behandlung wieder einmal der Strom ausfällt. Dazu kommen andere Instrumente, Medikamente, Füllmaterialien, Tupfer und vieles mehr, was man für eine mobile Praxis benötigt. Außerdem haben die Mitarbeiter Hunderte Zahnbürsten, Zahnpastatuben und ausreichend Zahnseide mit dabei. Denn jedes Kind soll auch, wenn die Ärzte wieder weg sind, sich die Zähne so putzen können, wie es ihnen Assistentin Julia Malloci an dem großen Stoff-Dino gezeigt hat.

Einen Raum der örtlichen Kirche funktionieren die Berliner zum Behandlungszimmer um. Auf einem Podest unter Wandbildern von Leuchtturm und Meerestieren arbeiten die Zahnärzte an drei Plätzen gleichzeitig – das ist schon ein Kontrast zu den Arbeitsbedingungen in der Berliner Praxis am Kurfürstendamm. Diese wurde von dem bekannten Architekturbüro Graft gestaltet; die hochmodern ausgerüsteten Räume, in denen knapp 20 Zahnmediziner arbeiten, erstrecken sich auf 1500 Quadratmeter über zwei Etagen.

Die Kinder strecken sich auf Strandliegen aus

In Paternoster hingegen sitzen Ärzte und Assistenten auf Hockern und Plastikstühlen neben den jungen Patienten auf ihren Strandliegen. Tische werden zusammengeschoben, damit dort die medizinischen Materialien aufgebaut werden können. Vor der Behandlung legt sich auch Ziegler schon mal auf die Liege, um den jungen Patienten die Angst zu nehmen. „Die Ärzte machen das mit viel Einfühlungsvermögen“, sagt Simone Jacke. Und nachher können die Kinder beim Lächeln stolz ihre Zähne zeigen.

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