
© picture alliance / Paul Zinken/d
Für eine bessere Verwaltung: Berlins Bezirke bekämen durch eine Verfassungsreform mehr Verantwortung
Berlins ist vielseitig – aber wer entscheidet und wer trägt dann die Verantwortung? Eine Verfassungsreform würde die Bezirke stärken. Ein Gastbeitrag.
Stand:
Tobias Wolf (Grüne) ist Finanzwissenschaftler und Vorsitzender des Haushaltsausschusses in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg.
Mit seinen zwölf Bezirken – jeder für sich genommen eine eigenständige Großstadt – ist Berlin so vielfältig und facettenreich, dass die Suche nach einer Referenzstadt oder vergleichbaren Verwaltung oft hinkt. Statt notdürftiger Vergleiche braucht die Einheitskommune Berlin eine Verfassungsreform, die eine Frage klar beantwortet: Wer entscheidet im Land Berlin und den zwölf Bezirken, und wer trägt anschließend die Verantwortung für die Folgen dieser Entscheidungen?
Soll es, wie von einigen Konservativen favorisiert, ein Algorithmus sein, der „datenbasiert und ideologiefrei“, das heißt ohne Mitsprache der Berliner*innen, das vermeintlich Effiziente tut? Wohl kaum! Ein Algorithmus ist, ähnlich wie ein Kochrezept, eine eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems. Nur welches Gericht wollen wir kochen? Welches Problem soll die Berliner Verwaltung lösen können?
Die Probleme sind – ähnlich wie die Gerichte in Berlins Küchen – vielfältig, ändern sich oder es kommen neue hinzu. Wir brauchen daher einen Algorithmus, der es uns erlaubt, immer wieder neu zu entscheiden, was wir heute essen wollen – welches Problem wir heute lösen müssen. Und die gute Nachricht ist, diesen Algorithmus haben wir bereits implementiert: Er heißt Demokratie und er braucht ein Update.
Der vorherrschende Algorithmus über die letzten Jahrhunderte war zumeist einer, bei dem die Berliner*innen selbst wenig über ihre Belange entscheiden konnten. Schon seit der preußischen Herrschaft in der Residenzstadt Berlin und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein haben unterschiedliche Machthaber und Obrigkeiten zentrale Entscheidungen über Berlin ohne seine Bewohner*innen gefällt. Ihr Algorithmus war die Hierarchie: Oben wurde befohlen, Unten sollte gehorchen.
Heute können wir – der kommunalen Selbstverwaltung sei Dank – selbst entscheiden, wie unsere zweigliedrige Verwaltung aus Bezirken und Senatsverwaltung zusammenarbeiten soll. Es gibt zwei Grundprinzipien, die wir bei einer Verfassungsreform neu austarieren müssen, zwei sich ergänzende Algorithmen: Demokratie und Hierarchie.
Wer entscheidet was?
Es ist keinesfalls ein Berliner Unikum, dass hierarchische Verwaltungen durch ihre Größe, internen Verhandlungen und Schnittstellen drohen, Verantwortlichkeiten unsichtbar zu machen. Hierarchien allgemein, ob in Großkonzernen, Bundes- oder Landesbehörden kennen dieses Phänomen.
Und auch der Reformimpuls auf dieses Informationsproblem – wer entscheidet was? – sieht in Hierarchien immer ähnlich aus: Mehr Kontrolle von oben. In diesem Sinne sind Vorschläge wie die Vereinheitlichung der Abteilungsstrukturen aller Bezirke oder erweiterte Eingriffsmöglichkeiten der Fachaufsicht zu verstehen. Soll heißen: Die ministerielle Senatsverwaltung könne durch mehr Kontrollmöglichkeiten die Umsetzung kommunaler Aufgaben besser steuern als die Bezirksämter. Ein Trugschluss, der sich regelmäßig in fehlenden Ausführungsvorschriften oder ministerieller Unkenntnis der kommunalen Abläufe ausdrückt.

© FU Berlin
[Lesen Sie auch hier die Vorschläge zur Verwaltungsreform der CDU sowie von der Berliner Wirtschaft]
Vielversprechender als zentralplanerische Hierarchien mit zusätzlichen Kontrollen sind Zielvereinbarungen zwischen Bezirks- und Hauptverwaltung. Im Sinne einer Demokratisierung der Verwaltungsbeziehung bieten sie die Chance auf mehr Augenhöhe in der zweigliedrigen Verwaltung. Augenhöhe heißt dabei, dass die eine Seite die Ziele vorgibt und damit auch die Verantwortung für die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen zur Zielerreichung übernimmt. Was in der Kneipe gilt, gilt auch für Zielvereinbarungen: Wer die Runde bestellt, muss sie am Ende auch zahlen.
Ideen wie die Richtlinienkompetenz für Bezirksbürgermeister*innen wirken direkt auf die bezirkliche Demokratie. Proteste von Einwohner*innen oder gar Fehlentscheidungen der Verwaltungsspitze dürften sich häufen, wenn einer gestärkten Bezirksbürgermeister*in keine erweiterte demokratische Kontrolle gegenüber steht. Zentral wird sein, ob es gelingt, das politische Bezirksamt einzuführen. Mit einem politischen Bezirksamt gäbe es in jeder Bezirksverordnetenversammlung Regierungsfraktionen und, genauso wichtig, echte Oppositionsfraktionen, die die Bezirksverwaltung kontrollieren.
Es gehört zur politischen Realität, dass Entscheidungen oft durch fiskalische Steuerung getroffen werden. Statt auf Basis demokratischer Entscheidungen oder hierarchischer Anweisungen wird letztendlich durch den Finanzzufluss bestimmt, was tatsächlich umgesetzt wird.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Besonders betroffen sind die fiskalischen Schnittstellen zwischen Senat und Bezirken. Längst nicht alle Teile des bezirklichen Budgets können von den verantwortlichen Bezirksparlamenten transparent und öffentlich auf den Prüfstand gestellt und im Zweifel in den Haushaltsberatungen umgeschichtet werden. Zwar gibt es transparente Bezirksbudgets, daneben aber auch eine Vielzahl von Sonderprogrammen und weiteren Absprachen zwischen dem Bezirksamt und einzelnen Senatsverwaltungen. Darüber gibt es keine Transparenz und erst recht keine Partizipation der Bezirksparlamente und Öffentlichkeit. Hier sind Fehlallokationen vorprogrammiert.
Es wäre sinnvoll, alle Sonderprogramme in die Bezirksbudgets zu überführen und den Mut aufzubringen, den Bezirksparlamenten deutlich mehr Finanzhoheit – auch in Form eines Teils des lokalen Steueraufkommens – direkt zu überlassen. Mehr demokratische Entscheidungen in fiskalischen Fragen reduziert die Gefahr fehlerhafter Steuerungsideen, die die Bezirksbevölkerung nicht möchte oder die nicht in die Tat umgesetzt werden können.
Die Berliner Bezirke sind vielfältig, die Zusammensetzung der Bezirksparlamente spiegelt diese Vielfalt politisch wider. Kommunale Politik ist am nächsten an den Menschen in den Kiezen.
Verwaltungsmodernisierung im Stadtstaat Berlin sollte immer daran gemessen werden, ob es gelingt, die Verwaltungshierarchie und ihre Schnittstellenprobleme durch mehr Transparenz und demokratische Kontrolle einzudämmen. Wenn wir es schaffen, mit der Verfassungsreform mehr kommunale Demokratie zu wagen, dann stehen die Chancen gut, dass wir Berliner*innen uns am Ende selbst besser mittels des lernenden Algorithmus Demokratie steuern werden.
Tobias Wolf
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: