
© AfD Berlin
AfD-Abgeordnete mit 0,89 Promille erwischt: Berlins Justiz missachtete Aurichts Immunität – unter Protest des Parlaments
Die AfD-Abgeordnete Jeannette Auricht fuhr betrunken Auto, ein Staatsanwalt musste den 6000-Euro-Strafbefehl zurückziehen. Nun wird die Immunität aufgehoben.
Stand:
Der Rechtsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses wird am Mittwoch auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Immunität der AfD-Abgeordneten Jeannette Auricht aufheben – weil sie betrunken Auto fuhr. Der Fall hat zu ernsthaften Spannungen zwischen Abgeordnetenhaus und Senat geführt – ein Vorgang, der nicht alltäglich ist.
Das Parlament sah sich gezwungen, bei der Spitze der von Dirk Behrendt (Grüne) geführten Justizverwaltung zu intervenieren. Denn Staatsanwaltschaft hatte zunächst die Immunitätsregeln verletzt, die immerhin Verfassungsrang haben und klar in der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses geregelt sind.
In der Tagesordnung des Rechtsausschusses für Mittwoch heißt zu einem nichtöffentlichen Punkt: „Antrag auf Entscheidung über die Aufhebung einer Immunität eines Mitglieds des Abgeordnetenhauses zur Ermöglichung der Durchführung eines Strafverfahrens vor dem Amtsgericht Tiergarten auf Antrag des Leitenden Oberstaatsanwalts in Berlin“, Aktenzeichen 237 Js 678/21.
Der Beschluss ist zwingend, denn nach der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses soll bei „Verstößen gegen die Verkehrsvorschriften (...) die Immunität grundsätzlich aufgehoben werden“.
Auricht, die dem offiziell aufgelösten rechtsextremen „Flügel“ der AfD zugerechnet wird und Landesvizechefin der Partei ist, gab die Trunkenheitsfahrt vor wenigen Tagen in einer Mitteilung zu. „Ich bin am 4. März 2021 in Biesdorf mit 0,89 Promille Alkohol im Blut Auto gefahren. Dies wurde von der Polizei im Rahmen eine Routinekontrolle festgestellt“, erklärte die 51-Jährige.
Die Staatsanwaltschaft agierte nach dem Vorfall jedenfalls schnell, sie informierte Ende März das Parlament über das Ermittlungsverfahren gegen Auricht. Ende April ordnete das Amtsgericht Tiergarten an, Aurichts Führerschein zu beschlagnahmen.
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Anfang Juni eskalierte der Fall. Die Staatsanwaltschaft informierte das Parlament, dass sie einen Strafbefehl bei Gericht beantragt habe. So geschah es am 17. Juni. Der Antrag sah eine Strafe von 6000 Euro – 40 Tagessätze je 150 Euro – und ein Jahr Fahrverbot vor.
Das Abgeordnetenhaus legte Protest ein
Doch die Staatsanwaltschaft musste den Antrag auf Strafbefehl wieder zurückziehen. Denn das Abgeordnetenhaus legte energisch Protest ein und belehrte die Anklagebehörde: Ermittlungen seien trotz Immunität bei Verkehrsdelikten zwar erlaubt, jedoch nicht strafprozessuale Maßnahmen wie der Strafbefehl.
Dafür müsse erst die Immunität der betroffenen Abgeordneten aufgehoben werden. Die Staatsanwaltschaft unterlag, wie sich zeigte, einem Irrtum. Sie glaubte, wenn eine Abgeordnete bei einem Verkehrsdelikt festgenommen werden kann, sich der Eingriff in die Immunität auch auf den Strafbefehl erstreckt.
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Doch eigentlich weiß die Staatsanwaltschaft ganz genau, wie sie verfahren muss – so war es etwa beim Abgeordneten Hakan Taş (Linke). Der war im Dezember 2018 betrunken gegen einen Laternenmast gekracht und weitergefahren. Polizisten beobachteten den Unfall und stellten den Politiker – mit 0,9 Promille Alkohol.

© Thilo Rückei
Ende Juni 2019 beantragte die Staatsanwaltschaft die Aufhebung der Immunität des Linke-Abgeordneten, der Beschluss kam im August, im Oktober erging der Strafbefehl gegen Taş: 70 Tagessätze à 80 Euro, also 5600 Euro wegen Unfallflucht und der Trunkenheitsfahrt.
Auricht könnte nun Einspruch gegen den Strafbefehl einlegen, dann käme es zum öffentlichen Prozess. Die Staatsanwaltschaft beruft sich auf Aussagen von Beamten. Eine Atemalkoholkontrolle sei unmöglich gewesen, sie habe gelallt, Wortfindungsprobleme gehabt und Ausfallschritte gemacht. Sie kam in die Gefangenensammelstelle.
Der Arztbericht bescheinigte Auricht klares Bewusstsein
Für Aurichts Anwalt ist die Beweislage nicht so klar. Angebliche Ausfallerscheinungen widersprächen dem ärztlichen Befundbericht, darin notiert sind ein sicherer Gang, deutliche Sprache, klares Bewusstsein und vollständige Orientierung. So steht es im Bericht des Arztes, der Blutprobe genommen hat.
Zudem hätten Polizisten unterschiedliche, sich teils widersprüchliche Angaben gemacht, erklärte der Anwalt. So hätten einige Beamte „keine alkoholbedingten Auffälligkeiten“ festgestellt – oder ihre Aussagen ließen keinen Rückschluss darauf zu.
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Bis 1,1 Promille und ohne schwere Beeinträchtigungen käme nach Ansicht des Anwalts statt einer Straftat auch eine Ordnungswidrigkeit in Frage. 500 Euro Geldbuße, zwei Punkte im Flensburger Zentralregister und ein Monat Fahrverbot sieht der Bußgeldkatalog dafür vor. Die Immunität müsste dafür nicht aufgehoben werden.
Auricht selbst sagt: „Es kam zu keinem Unfall oder anderen Auffälligkeiten. Ein Polizeiarzt bescheinigte keine Fahrtuntauglichkeit. Dennoch liegt ohne Frage ein Fehlverhalten vor, für das ich mich entschuldige und dessen Konsequenzen ich selbstverständlich tragen werde.“
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Trotz des Patzers der Justiz im Fall Auricht ist auf den Fluren des Abgeordnetenhauses auch Häme zu vernehmen. Denn die hatte sich im Juni 2020 über Hakan Taş lustig gemacht. In einem Video hatte die AfD eine mit Halbwahrheiten und Lügen gefülltes Video veröffentlicht.
Darin hatte die Partei unterstellt, dass es in Berlin eine Zwei-Klassen-Justiz gebe von der der Abgeordnete Taş profitiert hätte. So sei Taş nach einem Verkehrsunfall unter Alkoholeinfluss Ende 2018 anders behandelt worden als andere Bürger.
Tatsächlich gab Taş damals – wenn auch wegen eines drohenden Einziehungsbeschlusses des Gerichts – seinen Führerschein ab, er zog sich als innenpolitischer Sprecher seiner Partei zurück. Die AfD behauptete in dem Video dagegen, die Fahrt sei für Taş folgenlos geblieben und erfand dazu eine Verfolgungsjagd mit der Polizei.
Der Berliner Linken-Politiker Hakan Tas ging dagegen juristisch vor und reichte Unterlassungsklage ein – mit Erfolg. Ein Gericht verhängte eine einstweilige Verfügung, nach der die AfD das Video aus dem Internet nehmen musste.
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