zum Hauptinhalt
Schule wird in Berlin sehr unterschiedlich buchstabiert.

© dpa

Update

Rot-rot-grünes Gesetzesvorhaben: „Berlins Schule kann so nicht mehr geführt werden“

Missverständliche Passagen, unkalkulierbare Folgen: Die Kritik am Schulgesetzentwurf reißt nicht ab. Am Donnerstag soll es beschlossen werden.

Je näher das letzte Plenum dieser Legislatur rückt, desto vehementer wird die Kritik an den Schulgesetzänderungen, die am Donnerstag beschlossen werden sollen. Insbesondere der Unterrichtsausfall durch den wöchentlichen Klassenrat und die neuen Hürden bei der Organisation der Schulen bringen die Schulleitungen aus der Fassung.

Wie berichtet hatten bereits die fünf großen Schulleitervereinigungen - der Berufsschulen, Gymnasien, Sekundarschulen, GEW-Schulleiter sowie die Interessensvertretung Berliner Schulleitungen -  protestiert, nun schloss sich auch der Berliner Landesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung der „kategorischen“ Ablehnung an.

Mit den geplanten umfangreichen Änderungen setze die Koalition „fulminant die falschen Schwerpunkte“. Berlin belegten „in nahezu sämtlichen Bildungsvergleichen einen der letzten beiden Plätze“ – genau dazu finde sich aber nichts im Gesetzentwurf und auch nichts zum „eklatanten Lehrermangel“.

Darüber hinaus lehnt der Verband „die in der Gesetzesvorlage gewünschte Stimmberechtigung von Erst- bis Sechstklässlern in Bezug auf Haushaltsangelegenheiten in der Schulkonferenz ab“.

In diesem Punkt ist die Gesetzesvorlage allerdings missverständlich: In einer Gesetzespassage (§77) wurde die bisher vorhandene Beschränkung der Stimmberechtigung auf Jugendliche ab Klassenstufe 7 gestrichen, so dass auch der Tagesspiegel vergangene Woche berichtete, dass bereits Erstklässler den Haushalt mitbestimmen könnten.

Den Schulgesetzentwurf mit allen Erläuterungen zu den Änderungen finden Sie zum Nachlesen hier.

Erstklässler? Fünftklässler? Wer entscheidet über den Haushalt?

Allerdings wurde später darauf hingewiesen, dass es ja noch den Paragrafen 84 gebe, wonach nur Schüler ab Klasse 5 in der Schulkonferenz mitbestimmen sollen. Die bildungspolitischen Sprecherinnen der Fraktionen, Maja Lasic (SPD), Regina Kittler (Linke) und Marianne Burkert-Eulitz (Grüne), erläuterten auf Nachfrage nicht, wie diese widersprüchlichen Passagen zu verstehen seien.

Aber auch wenn nicht Erstklässler, sondern erst Schüler:innen ab der fünften Klasse in der Schulkonferenz über den Haushalt planmäßig mitbestimmen können, ist in den Augen der Schulleiterverbände nicht viel gewonnen. Sie prangern vielmehr an, dass die „organisatorische Arbeit einer Schule komplett lahmgelegt“ wird, wenn die Schulkonferenz, die nur viermal im Jahr tagt, über die Verwendung der Personal- und Sachmittel entscheidet.

„Hier zeigt sich auch, wie unglaublich schlecht die Vorlage ist“, mahnt Arnd Niedermöller von der Vereinigung der Oberstudiendirektorinnen und Oberstudiendirektoren Berlin (VOB). Die betreffenden Passagen seien missverständlich zusammengefügt: „Man kann jetzt rätseln, welche Absätze wohl gemeint sein sollen“, findet Niedermöller.

"Ein nicht praktikables Konstrukt"

Wenn er es aber richtig verstehe, dann entscheide künftig die Schulkonferenz über Einstellungen von Vertretungslehrkräften: „ Da hängen so viele Entscheidungen im Vorfeld dran, dass ich keine Idee habe, wie dies in der Praxis umgesetzt werden kann. Die Schule kann so nicht mehr geführt werden“, steht für Niedermöller, der das Lichtenberger Immanuel-Kant-Gymnasium leitet, fest.

In Bezug auf den Klassenrat erneuerte er die Kritik der Schulleiterverbände, wonach dieses „eigentlich gute Instrument zu einem nicht praktikablen Konstrukt“ werde. Wie berichtet, tagt der Klassenrat bisher einmal im Monat. Künftig soll es wöchentlich sein, wobei die Koalition nicht gesagt hat, welches Unterrichtsfach dafür Stunden opfern soll.

Zudem wird kritisiert, dass die Schulleitungen und Lehrkräfte „verpflichtet“ werden sollen, im Klassenrat zu erscheinen, wenn die Schüler:innen dies wünschen.

An diesem Punkt haben einige Koalitionäre dem Vernehmen nach schon bemerkt, dass sie über das Ziel hinausgeschossen sein könnten. Geändert werden soll die Textstelle aber erstmal nicht - das könne man ja in der neuen Legislatur machen, heißt es, weil der Punkt wohl erst zum kommenden Schuljahr umgesetzt werden soll.

"Es entsteht ein riesiger Vertretungsbedarf"

„Die Lehrkräfte und die Schulleitung kümmern sich nun um die klasseninternen Probleme, anstatt um die Schule oder ihren Unterricht“, warnt Niedermöller. Es entstehe zudem „ein riesiger Vertretungsbedarf“, da ja eingeladene Lehrkräfte auch noch anderen Unterricht hätten: „Die Schulen sind dann mit sich selbst beschäftigt und können sich nicht mehr um die eigentliche Unterrichtsentwicklung kümmern. Die Berliner Schulen fallen weiter gegenüber den Schulen in anderen Bundesländern zurück“, lautet seine Erwartung.

Warnung vor der neuen "Whitelist"

Das ist aber nach Meinung der Schulleiterverbände nicht die einzige missverständliche oder problematische Regelung. So unterstrich der VOB auch die Warnung aller fünf Verbände, dass eine „Whitelist“ die Schulen hemme, da die entsprechende Regelung im Schulgesetz „die digitale Schulentwicklung komplett lahmlegen wird“. Denn künftig müsse „jedes Update einer Software in der Schule von der Senatsverwaltung überprüft werden, bevor die Schulen eine Software weiter nutzen dürfen“.

Über allen von den Schulen bisher angeschafften Softwareprodukten schwebe somit „das Damoklesschwert einer Nichtzulassung“. Die Schulen hätten keine Möglichkeit mehr eine Software selbstständig auszuwählen. So könne „Bürokratie Entwicklung verhindern“.

Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD).
Bildungssenatorin Scheeres (SPD) musste jetzt die Ausgabensperre verfügen.

© Britta Pedersen/dpa

Enttäuschung an den Gymnasien

Wie berichtet, hat die Koalition für ihre Änderungswünsche keinen eigenen Entwurf geschrieben, sondern einen Entwurf zweckentfremdet, den Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) vor Monaten eingebracht hatte. Dort ging es aber um ganz andere Inhalte. Elementar war Scheeres' Vorhaben, den Gymnasien die Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss (MSA) zu erlassen. Dies hatte einer Empfehlung der Expertenkommission um den Kieler Professor Olaf Köller entsprochen.

Der Grund: Die Gymnasien sind in Klasse 10 schon mit dem Stoff der Oberstufe beschäftigt, weil ihnen - anders als den Sekundarschüler:innen - die Orientierungsstufe (Klasse 11) fehlt.

Berlin-Brandenburgische Sonderregelung

Nur Berlin und Brandenburg verlangen, dass die Gymnasien diese Prüfungen schreiben lassen müssen, was bedeutet, dass die Zehntklässler den Stoff der neunten Klasse rekapitulieren müssen und zudem tagelang Unterricht verlieren durch die Klausuren. Zudem verlieren die Lehrkräfte Zeit, weil sie - allein in Berlin - rund 36.000 Klausuren korrigieren müssen - drei je Schüler:in. Hinzu kommen die 12.000 mündlichen Prüfungen.

Die Gymnasien hatten jahrelang um den Wegfall der MSA-Prüfungen gerungen, ebenso lang tagten Arbeitsgruppen in der Verwaltung, aber Scheeres und ihr damaliger Staatssekretär Mark Rackles (SPD) lehnten die Arbeitsersparnis für die Gymnasien ab. Intern hieß es, man wolle die Schulformen Gymnasium und Sekundarschule angleichen und alles unterlassen, was die Unterschiede nach außen manifestiere.

Was die GEW-Schulleitungen vorschlagen

Ebenso wie der VOB meldete sich auch die Schulleitervereinigung der GEW am Montag erneut mit Kritik zu Wort. Die Vorsitzende Gunilla Neukirchen forderte wie Niedermöller, dass der Entwurf nicht in der aktuellen Version beschlossen werden dürfe. Zudem machte sie Gegenvorschläge:

  • Schulen sollen über ein Gesamtbudget verfügen können, anstatt ihnen nur einzelnen Nutzungen zugeordnete Teilbudgets zuzuteilen: "Dann kämen Schulen nicht mehr in die absurde Situation, dass sie zwar noch Geld haben, dieses aber nur für Bücher verwenden dürfen, weil dieses Teilbudget noch nicht aufgebraucht ist, diese Bücher aber gar nicht benötigen - das Geld aber nicht für Tische und Stühle nutzen dürfen, die gerade zu Bruch gegangen sind, weil dieses Teilbudget bereits erschöpft ist."
  • Anstatt den Klassenrat wöchentlich aufkosten des Unterrichts tagen zu lassen, solle jede Klasse eine zusätzliche Stunde im Sinne einer Sozialen Stunde erhalten, "die je nach Klassensituation und anstehenden Themen verwendet wird, und die Schulen entsprechend personell auszustatten. Das Konzept dieser Sozialen Stunde legen die Schulen in ihrem Schulprogramm fest".
  • Die schriftlichen Prüfungen im Mittteren Bildungsabschluss sollen an den Gymnasien gestrichen werden, aber - anders als im Ursprungsentwurf von Scheeres- im Zusammenhang mit einer Lösung für die Sekundars- und Gemeinschaftsschulen, "die den ideologischen Vorbehalten von Teilen der Koalition entgegenkommt". Die Präsentationsprüfung solle beibehalten werden, "weil sie, im Unterschied zu dem schriftlichen Prüfungsteil, auch die SchülerInnen wirklich fordert und fördert, die zum Abitur weitergehen".

Die Bildungsexpertinnen der Koalitionsfraktionen hatten seit über einem Jahr am eigenen Entwurf gearbeitet und sich zunächst geeinigt. Es ging auch um Themen wie die Förderung der Herkunftssprachen und mehr Kinderschutz. Die entsprechenden Regelungen finden sich ebenfalls im aktuellen Entwurf und sind vergleichsweise unstrittig. Nicht Mehrheitsfähig war eine Reform der Privatschulfinanzierung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false