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Blick auf eine gefälschte Internet-Seite zur Soforthilfe in NRW

© dpa/Martin Gerten

Betrug mit Soforthilfe in der Corona-Krise: Nordrhein-Westfalen kämpft gegen Fake-Seiten

Die NRW-Landesregierung will Freitag das Online-Formular für bedürftige Kleinunternehmen wieder freischalten. Doch Betrüger agieren weiter. Mit 120 Websites.

Von Frank Jansen

Die Betrüger attackieren massiv über das Internet, Nordrhein-Westfalen versucht gegenzuhalten. Wirtschafts- und Innenministerium wollen jetzt die Vergabe der staatlichen Soforthilfe an Kleinunternehmen und Soloselbstständige besser sichern, um den Abfluss der Gelder über Fake-Seiten zu verhindern.

Es würden nur noch Anträge mit einer Iban-Kontonummer entgegengenommen, die dem Finanzamt bekannt ist, sagte Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) am Dienstag bei einer Video-Pressekonferenz in Düsseldorf.

Notbremse erregte über NRW hinaus Aufsehen

Er kündigte an, am Freitag werde das Online-Formular auf der offiziellen Website wieder freigeschaltet. Das Ministerium hatte vergangenen Donnerstag angesichts der wachsenden Betrugsgefahr die Auszahlung der Gelder und die Bewilligung von Anträgen gestoppt. Die Notbremsung mitten in der Coronakrise hatte über NRW  hinaus Aufsehen erregt.

Die Dimension des Angriffs der Kriminellen scheint zudem noch größer zu sein, als bislang bekannt war. Innenminister Herbert Reul (CDU) nannte 104 Fake-Seiten, von denen allerdings nur sieben einen Bezug zu  Nordrhein-Westfalen hätten. Fünf Fake-Domains hätten abgeschaltet werden können, zwei seien weiter aktiv.

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Auch Berlin, Bayern und Baden-Württemberg betroffen

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)  sagte auf Anfrage des Tagesspiegels, es seien  sogar 120 Seiten festgestellt worden, bei denen der Verdacht auf betrügerische Aktivitäten im Zusammenhang mit staatlicher Corona-Soforthilfe bestehe. In Sicherheitskreisen war zu hören, auch Berlin, Bayern und Baden-Württemberg seien betroffen, aber vermutlich nicht in dem Ausmaß wie Nordrhein-Westfalen.

Einige Fake-Seiten seien auf den Seychellen gehostet, hieß es im BSI. Minister Reul sprach von Servern in den USA und in der Slowakei. Bei einem Server in den USA sei es innerhalb von Stunden gelungen, beim Betreiber die Abschaltung einer Fake-Seite zu erreichen.

Bei der Polizei gingen 372 Anzeigen ein

Wie viele Kleinunternehmen und Soloselbstständige in NRW getroffen wurden, bleibt unklar. Bei der Polizei seien bislang 372 Anzeigen eingegangen, sagte Reul. Es gebe eine Website im Darknet, „die sich rühmt, 3500 bis 4000 Datensätze ausspioniert zu haben“. Das könne zum Teil Prahlerei sein, meinte der Minister. Vergangene Woche war allerdings auch offiziell von bis zu 4000 Antragstellern die Rede, die auf die Fake-Seiten hereingefallen sein könnten. Wirtschaftsminister Pinkwart sagte am Dienstag, es seien 20.000 Anträge auf Soforthilfe zurückgestellt worden. Es gehe allerdings nicht nur um möglichen Betrug über die Fake-Seiten. Vor allem bei Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) seien viele „Doubletten“ festgestellt worden. In einem Fall hätten 50 Gesellschafter je einen Antrag auf Soforthilfe gestellt.

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Kontonummern über das Darknet ausgeliehen

Die Methode der Betrüger, die über Fake-Seiten agieren, ist simpel, aber  effektiv. Die Kriminellen präsentieren Websites mit Adressen, die denen der staatlichen Soforthilfe täuschend ähnlich sind. Die Antragsteller finden dort das reinkopierte offizielle Formular und  tragen ihre Daten ein. Haben die Betrüger den  Antrag, ersetzen sie die Kontonummer durch eine, die sie im Darknet ausgeliehen haben. Dort stellen Privatleute gegen ein Entgelt ihre Konten für allerlei Geschäfte zur Verfügung. Im aktuellen Fall drohen solchen Leuten  Verfahren wegen Beihilfe zum Betrug und Geldwäsche.

Der Stopp der Zahlungen hat  Unternehmen enorm  verunsichert. „Viele warten dringend auf das Geld“, sagte Carina Peretzke, Sprecherin des Handelsverbands Nordrhein-Westfalen, dem Tagesspiegel. „Firmen aller Größen haben sich bei uns gemeldet, weil die Zeit sehr kritisch ist.“ Gerade bei Modehändlern seien die Lager voll. Dass die Soforthilfe erstmal ausbleibe, „trägt nicht zur Beruhigung der Nerven bei“. Sie lobte allerdings die Kommunikation der Landesregierung, „das war sehr transparent“.

"Gut möglich, dass viel Geld abgeflossen ist"

Bei den vom Betrug getroffenen Antragstellern gebe es eine „Riesenaufregung“, sagte Christoph Hebbecker, Sprecher der Zentral- und Anlaufstelle Cybercrime (ZAC) bei der Kölner Staatsanwaltschaft. Sie ermittelt im Fall der Fake-Seiten.  Da das Land Anträge auf Soforthilfe rasch bearbeitet habe, „ist es gut möglich, dass viel Geld abgeflossen ist“. Denkbar sei ein Schaden „im siebenstelligen Bereich“. Minister Reul hofft jedoch, gerade wegen der raschen Bearbeitung der Anträge könnte sich der Schaden in Grenzen halten. Er sagte allerdings auch, die Täter seien noch nicht ermittelt. Außerdem könnten ausgeschaltete Fake-Seiten auch wieder eingeschaltet werden. 

In Baden-Württemberg hatte das Landeskriminalamt schon Ende März vor Fake-Seiten mit einer ähnlichen Masche gewarnt. Die Betrüger riefen sogar gezielt Unternehmen an, um sie auf eine Website zu locken.

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