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Baumfällung per Kettensäge - hier ein Symbolbild.

© Symbolbild: Imago/imagobroker

„Bäume sind keine Möbelstücke“: Holzt Berlins größter Bezirk seine Parks zu leichtfertig ab?

In Pankow werden derzeit in Grünanlagen viele Bäume gefällt. Dem grünen Stadtrat schlägt Entrüstung aus der Anwohnerschaft entgegen - und Kritik aus der eigenen Partei.

Von Christian Hönicke

Derzeit ist Baumfällzeit, und die wird in Pankow ausgiebigst genutzt. Immer noch hallen die Nachbeben rund um die Baumfällungen/Aufwertungen im Paule-Park durch Pankow. Ein Teil der acht Bäume wurde dabei für die Anlage eines neuen Betonwegs hinter dem Rathaus-Center an der Breiten Straße gefällt, was dem Straßen- und Grünflächenamt (SGA) viel Kritik einbrachte. Mehr dazu weiter unten.

Aktuell ist der Mühlenkiez in Prenzlauer Berg von akuter Baumreduktion betroffen. "Was sind acht Bäume im Paule-Park gegen die Fällung von 49 Bäumen, die zum großen Teil über 40 Jahre alt sind", echauffiert sich Anwohner Werner M. Er bezieht sich auf die Ankündigung des Bezirksamts, wonach die Grünfläche im Bereich der Skulptur "Drei Grazien" an der Greifswalder Straße umgestaltet werden soll: "Insgesamt müssen dafür leider zwölf große Pappeln und 37 kleinere Bäume gefällt werden." Grund für die Fällungen sei eine derzeit zu dichte Bepflanzung, die sich auf durch Wildwuchs und nachträgliche Pflanzungen seitens der Anwohner entwickelt habe: "Die Bäume konkurrieren und behindern sich untereinander." 

Die Gestaltung zum "Mehrgenerationenplatz" sei ein "Witz", so M.: "Durch die Fällung fast aller Bäume gibt es fast gar keinen Sonnenschutz mehr und somit werden die älteren Bürger von der Nutzung der neuen Anlage automatisch ausgeschlossen." Die kurzfristige Rodung komme zudem äußerst überraschend: "Auf dem Flyer, den jeder Haushalt im Sommer bekommen haben soll, war von Baumfällarbeiten überhaupt keine Rede, sondern nur von einer Neugestaltung. Welche Bäume dann noch übrig bleiben, ist das Geheimnis des Bezirksamtes."

[Dieser Text stammt aus dem Pankow-Newsletter vom Tagesspiegel. Den kompletten Pankow-Newsletter gibt es kostenlos unter leute.tagesspiegel.de]

Stehen bleiben werden nur knapp die Hälfte, nämlich 43 Bäume. Das teilt der zuständige Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) auf Nachfrage mit. "Geplant sind zusätzlich sieben Neupflanzungen." Es sei aber "irreführend und aus fachlicher Sicht nicht sinnvoll", nur sich auf die reine Bilanzierung der Anzahl der gefällten Bäume im Vergleich zu Neupflanzungen zu konzentrieren. "Ziel ist die Entwicklung eines gesunden Baumbestands unter Berücksichtigung der Aufenthalts- und Erholungsfunktion für die Bewohner*innen des Quartiers sowie der Verkehrssicherheit und Barrierefreiheit."

Es werde auch weiterhin ausreichend schattige Plätze in der Grünanlage geben, versichert Kuhn. Dass Ältere "zukünftig ausgeschlossen werden, ist daher aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar". Dass die Baumfällungen noch nicht auf dem Plakat zur Ankündigung der Beteiligungsveranstaltungen vom letzten Sommer erwähnt waren, sei aber richtig. Doch auf den Bürgerveranstaltungen im Juni 2020 "wurden die Pläne zu den Fällungen dann sehr wohl kommuniziert". Und auch rechtzeitig vor Beginn der Baumfällungen sei die Anwohnerschaft durch Aushänge und Pressemitteilungen informiert worden.

Der nächste Fall ist die Werneuchener Wiese in Prenzlauer Berg. Die gehört im Gegensatz zum benachbarten Volkspark Friedrichshain zu Pankow - und soll bald bebaut werden. Dort ist eine "Schuldrehscheibe" geplant, eine temporäre Einrichtung für Schülerinnen und Schüler, deren Schulen gerade saniert werden. Doch auch hier regt sich Widerstand, diesmal legt sogar die Partei des Stadtentwicklungsrats Kuhn ein Veto ein: Die Grünen teilen mit, sie wollen die Bäume entlang der Kniprodestraße retten. Man habe sich die Pläne genau angesehen "und festgestellt: Die Bäume müssen nicht unbedingt weg, um eine Zuwegung zur Schule zu ermöglichen."

Unter anderem könne der Haupteingang zur neuen Schule so verlegt werden, dass er von der Margarete-Sommer-Straße erreicht werde – das sei auch für die Schüler deutlich sicherer, als von der vielbefahrenen Kniprodestraße zu kommen. Außerdem solle "durch eine ökologische Baubegleitung während der Baumaßnahmen sichergestellt wird, dass Wurzelschäden und andere Eingriffe in die Stadtnatur minimiert werden“. Das forderten die Grünen in der BVV, der Antrag wurde aber letztlich nicht beschlossen.

Der grüne Stadtrat Kuhn will sich die Sache trotzdem noch einmal anschauen. Nach Vorstellung der ersten Pläne habe es "in meiner Fraktion und mit den ansässigen Bürgerinitiativen sowie der Fahrrad-Community" dazu "erheblichen Diskussionsbedarf" gegeben. Größter Kritikpunkt sei gewesen, dass viele Bäume "wegen der erforderlichen Fuß- und Radwege" gefällt werden müssten.

[Dieser Text stammt aus dem Pankow-Newsletter vom Tagesspiegel. Den kompletten Pankow-Newsletter gibt es kostenlos unter leute.tagesspiegel.de]

Die Vorgaben für den Haupteingang seien allerdings vom Schulamt des Stadtrats Torsten Kühne (CDU) gekommen. Dennoch habe man "die verständliche Kritik" nun aufgegriffen. Das zuständige Planungsbüro solle nun andere Varianten "vertieft  untersuchen mit dem Ziel, so viele Bäume wie möglich zu erhalten". Allerdings seien einige Bäume in einem schlechten Zustand, weil sie auf altem Trümmerschutt gepflanzt worden seien. Hier sollen weitere Baumgutachten eingeholt werden, so Kuhn.

Und auch im Ernst-Thälmann-Park wird weiter Bäumchen-wechsel-dich gespielt. Nachdem wir in der vergangenen Woche die Umbaupläne für den Westteil geschildert haben, ist diesmal ist der Ostteil des Parks entlang der Greifswalder Straße dran. Das Straßen- und Grünflächenamt (SGA) "bereitet derzeit den Start von zwei Maßnahmen" vor, heißt es in einer Mitteilung. "Dabei sind leider einige Baumfällungen unumgänglich." Die eigentlichen Bauarbeiten beginnen ab Juni 2021, die Baumfällungen starten aktuell und sollen bis Ende Februar abgeschlossen sein.

Konkret soll im Bereich des Kiezteiches ein Bodenfilter eingebaut werden, dafür sollen "drei kleine Bäume" fallen. Außerdem werden Wege instandgesetzt, neue Sitzbänke sowie "Spiel- und Bewegungselemente" eingebaut. "Im Zuge dessen ist die Fällung von insgesamt 23 kleineren Bäumen erforderlich." 

Laut SGA ist das auch aus Denkmalschutzgründen nötig (der Ostteil des Parks ist seit 2014 geschützt), denn die Bäume seien als "Wildwuchs" entstanden. "Der Wildwuchs hat seinen Ursprung insbesondere in den Jahren massiven Ressourcenmangels im SGA, in denen die notwendige Unterhaltspflege nicht im erforderlichen Maße durchgeführt werden konnte." Der Gesamtcharakter des Parks solle aber erhalten und "die Nutzbarkeit verbessert werden". Hoffentlich wird er danach besser gepflegt, so dass nicht wieder wild Bäume wachsen.

Noch einmal zurück zum Paule-Park. Hier hat sich Pankows Grünstadtrat nun per Brief an die Anwohnerin Franziska Pilz gewandt. Sie hatte Kuhn vorgeworfen, die Ablehnung von Baumfällungen während der offiziellen Bürgerbeteiligung im Juni 2020 ignoriert zu haben. Kuhn erklärte jetzt, die Wünsche der BürgerInnen seien "weitmöglichst in die Planungen eingeflossen". Allerdings waren die nun kritisierten Baumfällungen in den Planungen nie thematisiert worden, wie Kuhn selbst zugegeben hatte. 

Pilz hatte zudem Kuhns Aussagen angezweifelt, wonach ältere AnwohnerInnen sich einen neuen Weg gewünscht hätten und die Baumfällungen daher notwendig geworden seien. Dafür gebe es keine Belege. Dem widerspricht Kuhn nun. "Ich kann Ihnen persönliche Beschwerdeschreiben und Eingaben von Senior*innen auch aus Datenschutzgründen nicht zur Verfügung stellen", erklärt er im Brief dazu. Er könne "aber nochmal bestätigen, dass zwei der Petenten in meiner Bürgersprechstunde am 9. Januar 2019 deswegen vorstellig geworden waren". Insgesamt sei "eine Fällung (...) hier leider nicht zu vermeiden" gewesen.

Auch den geforderten Fäll- und Baustopp lehnte Kuhn ab: Dies könne das Bezirksamt "auch wegen der dann fälligen Regressforderungen nicht befürworten". Die Bäume seien zudem "nach sorgfältiger Prüfung der Experten des SGA-Baumreviers" gefällt worden. Er könne aber verstehen, "dass gerade Sie und andere Engagierte vor Ort ein besonders Interesse an einer verstärkten Einbindung bei der Bepflanzung haben möchten und sichere Ihnen zu, dass wir Sie rechtzeitig einbinden werden". Ersatzpflanzungen sollen dann "unter Einbeziehung auch von Ihnen bei der Auswahl" im Herbst durchgeführt werden.

Das Schlusswort zum Pankower Rodungs-Rodeo kommt aus Kuhns eigener Partei. "Die Planung muss der Natur angepasst werden – nicht umgekehrt", sagt Axel Lüssow, der für die Pankower Grünen im BVV-Umweltausschuss sitzt. Er kritisiert, dass das SGA häufig aus Kostengründen allzu schnell zur Kettensäge greift. Dabei müsse der Baumschutz oberste Priorität haben: "Bäume sind keine Möbelstücke und können nicht beliebig verschoben oder getauscht werden."

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