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Wenig Glanz: Die Parteizentrale des Berliner SPD-Landesverbands in der Müllerstraße in Wedding.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Die Berliner SPD nach der Wahl: Staatspartei oder Volkspartei? Die Irrlichter des Raed Saleh

Unseren Leser Dirk Jordan hat der letzte Gastbeitrag von Raed Saleh nicht losgelassen. Für ihn hat die Berliner SPD vor allem ein Glaubwürdigkeitsproblem. Seine Empfehlung: Richtiges Handeln statt vieler Worte. Ein Gastkommentar.

Raed Saleh hat in seinem Tagesspiegelbeitrag am 27.September geschrieben: „Die SPD ist in den vielen Jahren der Regierungsverantwortung im Bund, aber auch in Berlin, von einer Volkspartei zu einer Staatspartei geworden.“ Was meint er damit? Er schreibt weiter: „Die SPD darf nie Teil des Staatsapparats sein, sondern muss immer Teil der Gesellschaft sein.“ Der Staat als „Staatsapparat“ im Gegensatz zur Gesellschaft – welche Vorurteile über „die da oben“ bedient er damit? Sein dritter Programmsatz lautet: „Die Basis der Partei versteht sich noch immer als die größte Bürgerbewegung der Stadt, und dieses Verständnis, diese Haltung muss wieder deutlich werden. Unser Programm darf kein Nebenprodukt von Regierungslogik sein.“ Warum macht er seine Partei noch kleiner als sie schon ist und will nur noch Bürgerbewegung sein?

Am leichtesten ist es wohl, zuerst über die „Größe“ der SPD in Berlin zu sprechen. Raed Saleh nennt sie „die größte Bürgerbewegung der Stadt“. Wenn er die Mitgliederzahlen seiner Organisation mit der anderer Organisationen vergleicht, die sich sicher auch als „Bürgerbewegung“ bezeichnen könnten, dann trifft selbst diese quantitative Größenabschätzung nicht zu. Die evangelische Kirche in Berlin hat über 600.000 Mitglieder – mehr als die SPD im ganzen Bundesgebiet! Die DGB-Gewerkschaften in Berlin haben auch mehr Mitglieder als die SPD hier, von den Sportvereinen ganz zu schweigen.

Nein, „die größte Bürgerbewegung der Stadt“ ist die SPD sicher nicht, aber wieso will Raed Saleh überhaupt seine Partei als „Bürgerbewegung“ definieren? Vermutlich gibt es einen einfachen Grund: „Bürgerbewegungen“ sind in der Bevölkerung besser angesehen als Parteien, ihnen wird eher Uneigennützigkeit, Sachorientierung, Engagement zugetraut als Parteien.

Das Engagement von Bürgerbewegungen hilft oft dem Gemeinwesen

So pauschal trifft das sicher nicht für alle „Bürgerbewegungen“ zu, aber auch im positiven Fall wollen Bürgerbewegungen sich nur für ihr spezifisches Anliegen stark machen, sie treten aber nicht an, um Gesamtverantwortung für ein Gemeinwesen mitzutragen. Ihr Engagement hilft sicher in vielen Fällen dem Gemeinwesen, sie sind für unsere Demokratie wichtig und unverzichtbar, aber den Interessenausgleich, das Gemeinwohl insgesamt haben sie grundsätzlich nicht im Programm, müssen sie auch nicht, würde sie in der Regel auch überfordern.

Dirk Jordan war lange Jahre Volksbildungsstadtrat in Kreuzberg und lebt in Zehlendorf.
Dirk Jordan war lange Jahre Volksbildungsstadtrat in Kreuzberg und lebt in Zehlendorf.

© Thilo Rückeis

Parteien haben aber diesen Auftrag und nehmen ihn mehr oder minder wahr. „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“, heißt es im Grundgesetz im Artikel 21(1). Wir haben einen Parteienstaat, die demokratische Legitimation von staatlichem Handeln erfolgt durch die Entscheidungen der Parteivertreter in den Parlamenten. Parteien, die nicht mehr an der politischen Willensbildung des Volkes teilnehmen wollen, sondern nur wie Bürgerbewegungen auf die Meinungsbildung in Parteien Einfluss nehmen wollen oder über die Mittel der direkten Demokratie zu einzelnen Punkten Entscheidungen erzwingen wollen, geben sich als Partei auf. Ob Raed Saleh das will?

Auch der zweite Programmsatz von ihm versucht sich meines Erachtens aus der Verantwortung zu stehlen und Unterschlupf in der „Gesellschaft“ zu finden. Auch dieser Begriff ist weniger negativ konnotiert wie „Staat“ bzw. dem von ihm sicher bewusst genutzten Begriff des „Staatsapparats“, der noch viel mehr Vorurteile produziert. Apparate sind anonym, mechanisch und starr und nicht flexibel, es gibt „Apparatschiks“ usw.

Saleh kommt populistisch daher

Wenn Saleh damit zum Ausdruck bringen will, dass in der Berliner SPD (zu) viele Mitglieder sind, deren zentrales oder gar einziges soziales Bezugssystem der organisatorische Apparat des Staats ist, dem sie ihre gesellschaftliche Stellung verdanken, dann kritisiert er das, was die Einstellungs- und Beförderungspraxis in der Berliner Verwaltung seit langem bestimmt, die Parteibuchwirtschaft. Meint er das wirklich?

Sein erster Programmsatz scheint das ja auch auszusprechen. Die SPD ist eine Staatspartei geworden und diesen Begriff setzt er wieder in Gegensatz zum Begriff der Volkspartei, als ob es zwingend ist, im Staat fern vom Volk zu sein. Wie viele negative Ressentiments projiziert er auf den Staat, wohlgemerkt nicht auf die aktuelle Regierungspolitik, sondern auf den Staat an sich?

Mein Eindruck ist, dass Raed Saleh sich an die gängige Kritik „der Politik“, „der da oben“  usw. anbiedert und überaus populistisch daherkommt. Auffällig ist auch, dass er solch negativ aufgeladen Begriffe für seine Analyse nutzt, aber kaum etwas oder nur sehr allgemein sagt, was nun die SPD anders machen soll.

Saleh und die SPD haben ein Glaubwürdigkeitsproblem

Als einziges positives Beispiel aus seiner Arbeit als Fraktionsvorsitzender fällt ihm die Reduzierung der Spielhallen ein - als ob dies das zentrale Problem Berlin wäre. Gab es eine kritische Bemerkung von ihm zu der Senatorenerlaubnis seines Parteifreundes Geisel am Potsdamer Platz? Gab es eine kritische Bemerkung zu der „Vergesslichkeit“ seiner Parteifreundin Scheres bezüglich der ausreichenden Zahl von Lehrerausbildungsplätzen an den Unis? Gab es eine kritische Bemerkung zu der Hilfsbedürftigkeit der Senatorin Kolat bei der Erarbeitung des Masterplans Integration? Sollte Herr Saleh nicht erstmal anders handeln, bevor er solche Breitseiten abfeuert?

Ich weiß nicht, wie viele Leserinnen und Leser noch an die Versprechungen von Herrn Saleh und der SPD glauben, mir scheint, sie haben vor allem ein Glaubwürdigkeitsproblem und das löst man nicht durch viele Worte, sondern durch richtiges Handeln. Darauf warten viele in dieser Stadt.

Eine erste Probe wird die Partei bei der jetzt anstehenden Koalitionsbildung abliefern können: Werden sie noch schnell vor Toresschluss, Posten besetzen und Wahlverlierer versorgen oder lassen sie ordentliche Verfahren zu, in denen es nach Fähigkeit und Leistung geht? Werden sie die maximale Zahl von Senatsposten ausschöpfen oder reichen auch ihnen drei Senatsposten neben dem Regierenden Bürgermeister. Die Berliner Verwaltung würde nicht schlechter, wenn es nur neun statt zehn Ressorts gäbe, allerdings die SPD hätte dann einen Posten weniger. Was glauben Sie, was passieren wird?

Dirk Jordan war früher Volksbildungsstadtrat in Kreuzberg und hat für den Tagesspiegel Steglitz-Zehlendorf unter anderem eine Serie über die "Stillen Helden" im Nationalsozialismus geschrieben. 

Wenn auch Sie Anregungen haben oder selbst etwas für den Tagesspiegel Steglitz-Zehlendorf schreiben wollen, wenden Sie sich gerne an steglitz-zehlendorf@tagesspiegel.de und folgen Sie der Redaktion Steglitz-Zehlendorf gerne auch auf Twitter und Facebook.

Dirk Jordan

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