
© Jana Scholz
Baumgesichter in Berlin-Steglitz: Wo die wilden Bäume wohnen
Unbekannte geben Baumstümpfen an Steglitzer Straßenrändern Gesichter – als Protest vielleicht, oder als Kunst? Die Anwohner rätseln. Eine Schnitzeljagd durch Steglitz.
Stand:
Zwei Holzscheiben und ein langer Ast – fertig ist das Baumgesicht! In Steglitzer Straßen finden sich neuerdings, wie in vielen anderen Teilen Berlins auch, Baumstümpfe, denen Unbekannte ein Gesicht gegeben haben.
„So was Hübsches“, sagt Claudia H. Die Steglitzerin bemerkte die künstlerisch bearbeiteten Baumstämme mit ihrem Mann beim Autofahren. Sie vermutet, dass jemand die gefällten Bäume auf ihre alten Tage aufhübschen wollte: „Wir Berliner lieben ja unsere Bäume“, sagt sie. Aber die Urheber der Aktion sind bisher noch unbekannt. Zeit für eine Schnitzeljagd durch den Ortsteil.
Das Baumgesicht in der Lauenburger Straße lugt zwischen wild wucherndem, jungem Geäst hervor. Sein Blick ist schwer zu deuten: Schaut er traurig? Frech? Monierend? Dem Anwohner Andreas Keller ist das Baumgesicht vor einem Monat aufgefallen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion muss jemand Nase und Augen mit Schrauben am Baum befestigt haben. „Ich habe überhaupt keine Ahnung, wer dahinter stecken könnte“, sagt der Steglitzer.
"Blairwitch Project" oder doch die Grünen?
In der Lessingstraße hat jemand dort, wo eigentlich ein Baum stehen sollte, viele dünne Äste auf dem Boden verteilt. Hängt diese Aktion mit den Baumgesichtern zusammen oder wollte hier jemand den Horrorfilm „Blairwitch Project“ im Berliner Großstadtdschungel nachspielen?
Weiter geht es zur Bergstraße, Ecke Filandastraße. Hier stehen gleich drei Baumgesichter in einer Reihe und blicken stumm auf die laute Straße. Die Passantin Katarina Hruschka hat eine Idee: „Für mich ist das Protest. Die Bäume machen uns Vorwürfe, dass sie gefällt wurden“, sagt die Steglitzerin. Die drei Baumstümpfe, denen der Mund fehlt, erinnern sie an Märchengestalten. „Vielleicht stecken die Grünen dahinter“, überlegt Hruschka. „Es muss jemand sein, der für Bäume viel übrig hat.“ Dass die Bäume krank waren und deswegen gefällt werden mussten, glaubt sie nicht. Denn dann sähe das Holz ganz anders aus.
In der Siemensstraße steht ein weiterer abgehauener Baumstamm mit Gesicht, der Verkehr braust an ihm vorbei. Um die Ecke, in der ruhigen Straße Unter den Rüstern, erwarten die Passanten erneut drei Baumgesichter. Und noch jemand ist hier, die über Steglitzer Bäume einiges weiß: Christel Weging. Sie sitzt vor ihrem Haus und liest.
Die Bürger gießen die Bäume selbst - das Grünflächenamt kommt zu selten
Weging erzählt, dass vor ein paar Jahren fünf Bäume in der Straße gefällt wurden. Danach warteten sie und ihre Nachbarin jedoch vergeblich auf neue Bäume, die die alten ersetzen. Mit ihrer Nachbarin ging sie zum Bürgeramt Steglitz-Zehlendorf und forderte Neupflanzungen. Dort hieß es jedoch, dass dafür kein Geld da sei. Schließlich fanden sich private Sponsoren, die Geld für neue Bäume in der kleinen Straße spendeten. „Wir gießen die Bäume regelmäßig und lockern auch den Boden auf“, sagt Weging. Denn das Grünflächenamt komme nicht oft genug zur Pflege der jungen Linden.
Weging, die seit rund 35 Jahren in Steglitz lebt, ist sicher, dass die anonymen Baumkünstler einer ganz ähnlichen Motivation folgen wie sie selbst. Vom Hörensagen wisse sie, dass eine private Initiative für die Baumbearbeitung verantwortlich sei. „Sie wollen darauf aufmerksam machen, dass für jeden gefällten Baum ein neuer kommen sollte.“ Wie diese Vereinigung heißt, weiß sie jedoch nicht. Die Baumgesichter gebe es aber nicht nur in Steglitz, sondern in ganz Berlin. „Die kämpfen um jeden einzelnen Baum“, sagt die Berlinerin.
Liebe Baumfreunde, meldet Euch!
Kein Blairwitch Project also, zum Glück: Offenbar sind Baumfreunde für die Baumgesichter verantwortlich. Beim Grünflächenamt Steglitz-Zehlendorf heißt es, dass der Bezirk Straßenbäume je nach „Verfügbarkeit der finanziellen Mittel“ nachpflanze. Um den „hohen Baumbestand“ zu erhalten, ruft der Bezirk die Berliner deshalb zu Spenden auf: Für einen neuen Baum werden durchschnittlich 1000 Euro benötigt. 2015 hat das Grünflächenamt in Steglitz-Zehlendorf bereits 480 Bäume gefällt, die Gründe hierfür waren etwa Pilzbefall, Sturmschäden, Faulstellen und Altersabgang. Da das Entfernen der Stümpfe teuer ist, lässt das Amt sie oftmals vorübergehend stehen.
Um das Rätsel um die Baumgesichter ganz zu lösen, möchten wir nun wissen: Liebe Baumfreunde, wer seid Ihr, woher kommt Ihr, wie viele Baumstümpfe wollt Ihr noch verschönern? Die Redaktion freut sich über Hinweise - zum Beispiel per E-Mail.
Der Text erscheint auf dem Tagesspiegel-Zehlendorf, dem digitalen Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten.
Jana Scholz
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: