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Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe.

© picture alliance/dpa

BGH entscheidet über Eigenbedarfskündigung: 80-jährige Demenzkranke soll raus aus ihrer Wohnung

„Nicht zu rechtfertigende Härte” gegen „berechtigtes Interesse des Vermieters”: Bis Mai will der Bundesgerichtshof entscheiden, wann Eigenbedarf rechtens ist.

Schicksale wie diese zieht die Wohnungsnot nach sich. Sie ist über 80, lebt seit 45 Jahren in einer drei Zimmer und 73 Quadratmeter großen Wohnung zusammen mit ihren beiden erwachsenen Söhnen. Sie ist dement. Trotzdem soll sie raus. Das jedenfalls will der Eigentümer und Vermieter ihrer Wohnung. Weil er die Wohnung selbst braucht. Für sich, seine Frau und seine Kinder. Bis Mai muss der Bundesgerichtshof entscheiden, wo die Not größer ist – und wie der Rechtsstaat damit umgeht.

Zwei Mal war der Fall bereits von Berliner Gerichten ausgetragen worden. Zuletzt entschieden die Richter zugunsten des Eigentümers der Wohnung – also gegen die schwer erkrankte Seniorin. Die bisher letzte Instanz, das Landgericht, hatte allerdings einen juristischen Ausweg aus dem Dilemma gewählt: Weil die betagte Dame Widerspruch einlegte und diesen mit dem bei ihr vorliegenden „Härtefall“ begründete, befanden die Richter: Das Mietverhältnis wird auf unbestimmte Zeit fortgesetzt. Eine Räumung blieb der Dame und ihren Söhnen also erspart. Erst einmal.

Denn der BGH entscheidet neu über diesen Fall. Am 22. Mai soll es ein Urteil geben. Und sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht sind der Überzeugung, dass „die Eigenbedarfskündigung zur Beendigung des Mietverhältnisse geführt hat“. Der Eigentümer der Wohnung habe dies „mit zutreffender Begründung“ dargelegt. Lediglich die „nicht zu rechtfertigende Härte“ stand der Räumung im Wege, so das Landgericht weiter.

Dies überwog gleichsam die „berechtigten Interessen des Vermieters“. Die Demenzerkrankung, die über 40-jährige Mietdauer, infolge der sie in dem Wohnhaus und dem Quartier verwurzelt ist, wegen dieser Umstände sei bei einer Räumung mit der „Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes“ zu rechnen. Zumal Ersatzwohnraum zu einer bezahlbaren Miete im Quartier wegen der „gerichtsbekannten“ Wohnungsnot“ kaum zu finden sei.

"Treuwidriges Verhalten"

Und noch etwas gaben die Richter dem Vermieter mit auf den Weg: Dieser habe die Wohnung bereits „im vermieteten Zustand“ gekauft „mit dem Ziel der Eigenbedarfskündigung." Der Erwerber hatte bei der Besichtigung der Wohnung die über 80-jährige Dame kennengelernt und deshalb schon damals wissen können, dass ihr wegen der zu erwartenden gesundheitlichen und soziale Härte nur schwerlich zu kündigen ist. Erschwerend kam hinzu, dass die Maklerin sogar erklärt habe, dass eine Kündigung gar nicht beabsichtigt sei. Das habe der Käufer nicht richtig gestellt. Die Richter sehen darin ein „treuwidriges und widersprüchliches Verhalten des Klägers“, das „zu seinen Lasten geht“.

Ich habe vor einigen Jahren eine vermietete Eigentumswohnung erworben. Ich vertrete klar die Position, wer eine vermietete Eigentumswohnung kauft, sollte kein Recht auf Eigenbedarfskündigung haben, denn er weiß ja, worauf er sich beim Kauf einlässt.

schreibt NutzerIn chomsky

Die Richter am BGH werden es nicht leicht haben, ein gerechtes Urteil zu fällen. Letztlich steht die Frage im Raum: Wie sozial muss der (regulierte) Wohnungsmarkt sein oder wie weit reicht das Recht, über das Eigentum frei zu verfügen. Zumal das Grundgesetz Eigentum schützt, aber eben nicht nur das, sondern ebenso die Interessen des Mieters. Aus Sicht des Landgerichts „beschränken beide Grundrechte einander gegenseitig“. Anders ausgedrückt: Ein marktliberal gesinnter Richter könnte ebensogut zugunsten des Käufers urteilen, wie ein der Verteilungsgerechtigkeit verpflichteter zugunsten des „Sozialfalls“.

Kein Einzelfall

„Kündigungen wegen Eigenbedarfs sind an der Tagesordnung“, sagt der Chef des Berliner Mietervereins Reiner Wild. Die gerichtlich verhandelten Fälle gingen weit überwiegend zugunsten der Wohnungseigentümer aus. Eine „soziale Härte“ zum Schutz vor Eigenbedarf müsse schon sehr gut begründet sein wie im aktuellen BGH-Fall. Allein das Alter sei bisher selten ausschlaggebend gewesen. Zuletzt habe es allerdings ein Urteil des Landgerichts zugunsten einer über 80-Jährigen gegeben, in dem die Richter die Härte ausdrücklich mit dem hohen Alter begründet hätten.

Auch die Zahl der Fälle von Kündigungen wegen Eigenbedarfs nehmen nach Angaben von Wild zu. Er vermutet, dass der Eigenbedarf häufig „nur vorgeschoben“ sei. Denn wegen der hohen Immobilienpreise sei der Druck groß, möglichst viel Miete für die neue Wohnung zu bekommen, damit sich der Kauf rechne. Für freie Wohnungen bekommen Vermieter im Berlin durchschnittlich 11 Euro Miete je Quadratmeter, ortsüblich beträgt die Miete im Bestand nur 6,39 Euro. Eine „gigantische Preisdifferenz“ gebe es beim Verkauf auch zwischen vermieteten und freien Wohnungen. Der Mangel an Wohnungen treibt die Preise seit Jahren in die Höhe.

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