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Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil gegen die Ku'damm-Raser bereits aufgehoben. Sie wurden erneut wegen Mordes schuldig gesprochen. Nun wird geprüft.

© Britta Pedersen/dpa

War es Mord?: Bundesgerichtshof prüft Lebenslänglich-Urteil für Berliner Ku'damm-Raser

Bei einem illegalen Autorennen fahren zwei Männer 2016 einen Rentner tot. Das Gericht verurteilt sie wegen Mordes. Es ist fraglich, ob das Urteil standhält.

Von Fatina Keilani

Die beiden jungen Männer, die in der Nacht zum 1. Februar 2016 auf dem Kurfürstendamm ein illegales Autorennen fuhren und dabei einen Rentner totfuhren, standen am Donnerstag erneut vor dem Bundesgerichtshof. Zwei verschiedene Kammern des Berliner Landgerichts hatten das Geschehen bereits als Mord bewertet, beide Male legten die Angeklagten Rechtmittel ein. Nun entscheidet final der Bundesgerichtshof. Am 18. Juni wird das Urteil verkündet.

Was damals passiert ist

Beide Männer, der eine damals knapp 27, der andere 24 Jahre alt, sind stolz auf ihre PS-starken Autos. Mit Gleichgesinnten messen sie ihre Kräfte, liefern sich bei spontanen „Stechen“ kurze Wettfahrten von Ampel zu Ampel. Sie kennen sich eher flüchtig, als sie auf dem nächtlichen Kurfürstendamm nebeneinander an einer Ampel halten.

Der Ältere lässt den Motor aufheulen, der Jüngere im stärkeren Auto nimmt die Herausforderung an. Zweimal lässt er den Kontrahenten zurück, aber der gibt nicht auf, jagt ohne Rücksicht auf Kreuzungen oder Ampeln den Ku'damm entlang. Der Andere zieht mit - „eine Art Katz- und Maus-Spiel“, wird es später im Urteil heißen.

An der Gedächtniskirche liegt der Jüngere wieder vorn. Mit Vollgas rasen beide die schnurgerade Strecke entlang, am Ende nahezu gleichauf. Ein Arzt im Ruhestand, der auf dem Heimweg von seiner Lebensgefährtin bei Grün die Straße kreuzen will, ist chancenlos.

Das Auto des Älteren trifft mit 160 bis 170 Stundenkilometern auf die Fahrerseite des Jeeps, schleudert ihn 25 Meter weit durch die Luft. Der Mann stirbt an der Unfallstelle. Die Raser krachen in ein Hochbeet. Der Jüngere hat eine Beifahrerin, sie wird verletzt.

Warum ein neuer Prozess nötig war

Im Februar 2017 verhängt das Berliner Landgericht gegen beide Raser die Höchststrafe: lebenslänglich wegen Mordes - das gab es noch nie. Aber nur ein Jahr später heben die obersten Strafrichter des BGH dieses Urteil vollständig auf. Sie verweisen zurück an das Landgericht. Der Prozess muss von vorn beginnen.

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Denn einem Mörder muss Vorsatz nachzuweisen sein: Er muss zumindest erkannt haben, dass durch sein Handeln jemand sterben könnte, und sich damit abgefunden haben. Das Landgericht hatte einen bedingten Vorsatz für den Moment festgestellt, als die Männer in die Kreuzung rasten. Da soll der Todesfahrer aber auch „absolut unfähig“ gewesen sein, „noch zu reagieren“. Das ergab für die BGH-Richter keinen Sinn.

Und hatten die Männer keine Angst, dass ihnen selbst Schlimmes zustößt? Das Landgericht hatte gemeint, dass sich Raser generell in ihren schweren Autos „stark und überlegen wie in einem Panzer oder in einer Burg“ fühlen - für die BGH-Richter viel zu pauschal.

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Drittens rammte nur der eine Fahrer das Auto. Der zweite wird als Mittäter verurteilt. Aber: „Dass die Angeklagten den Entschluss gefasst hätten, einen anderen durch gemeinschaftliches Verhalten zu töten, lässt sich dem Urteil an keiner Stelle entnehmen.“

Ist Rasen Mord? Wie die Rechtslage aussieht

Der BGH hat nicht gesagt, dass Raser keine Mörder sein können. „Maßgeblich sind jeweils die Umstände des Einzelfalls“, sagt die Vorsitzende Richterin Beate Sost-Scheible bei der Verkündung 2018.

Ihr Senat hat schon einmal die Verurteilung eines Mannes als Mörder bestätigt, der in Hamburg einen Taxi-Passagier totgerast hatte. Aber der Fall war komplett anders: Der Mann war auf der Flucht vor der Polizei mit bis zu 155 Stundenkilometern absichtlich auf der Gegenfahrbahn gefahren. Das Landgericht nahm zu Recht an, dass ihm das Leben Anderer und auch das eigene Leben völlig gleichgültig waren.

Im neuen Prozess gegen die Berliner Raser haben andere Strafrichter versucht, den BGH-Vorgaben gerecht zu werden. Ihr Urteil im März 2019: wieder Mord, wieder zweimal lebenslänglich. „Mit Fahrlässigkeit hatte das nichts mehr zu tun“, sagte der Vorsitzende Richter.

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Auf fahrlässige Tötung - also ohne Vorsatz - stehen maximal fünf Jahre Haft. Seit 2017 können Raser, die bei illegalen Rennen Menschen töten, bis zu zehn Jahre ins Gefängnis geschickt werden. Für den Berliner Fall kommt der neue Straftatbestand aber zu spät.

Wie es jetzt weitergeht

Das neue Urteil geht davon aus, dass es den bedingten Tötungsvorsatz schon auf der letzten Teilstrecke gab. Beide hätten das Rennen gewinnen wollen – „koste es, was es wolle“. Dabei hätten die Männer gewusst, dass Motorhaube und Airbag sie bei einem Zusammenprall mit einem querenden Auto vor schlimmen Verletzungen schützen würden.

Welches Auto den Jeep gerammt habe, sei letztlich reiner Zufall gewesen, meint das Landgericht. Und: Hätte der jüngere Fahrer das Rennen abgebrochen, wäre auch der andere vom Gas gegangen.

Die Berliner Richter sehen jetzt sogar gleich drei Mordmerkmale erfüllt: Das Opfer sei völlig arg- und wehrlos gewesen. Bei der enormen Geschwindigkeit und unüberschaubaren Situation seien die Autos zum gemeingefährlichen Mittel geworden.

Die Rücksichtslosigkeit und Selbstsucht der Männer spreche außerdem für niedrige Beweggründe: „Dieses Handeln ist nicht einmal ansatzweise menschlich verständlich, hochverwerflich und rechtfertigt daher die Stigmatisierung als Mord.“

Rechtskräftig wird dieses Urteil aber nur, wenn der BGH es bestätigt.

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