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Tor zur Welt: Die U-Bahnstation Gneisenaustraße.

© Doris Spiekermann-Klaas.

Comiczeichner Bela Sobottke über sein Tor zur Welt: Wieso der U-Bahnhof Gneisenaustraße das kulturelle Zentrum Berlins ist

Underground-Entdeckungen im Comicladen „Grober Unfug“, Gänsehaut dank „Videodrom“ und „Splatting Image“: Eine persönliche Hommage an die Station meines Lebens.

Ende der Achtziger, ich war ungefähr zwölf Jahre alt, stieg ich hier zum ersten Mal aus. Ich hatte von einem Comicgeschäft in der Zossener Straße gehört: „Grober Unfug“, der Laden war nur einen Steinwurf entfernt vom U-Bahnhof Gneisenaustraße und wurde zu meinem Eldorado.

Meistens stöberte ich stundenlang in den amerikanischen Import-Comics und kaufte schließlich zwei bis drei undergroundige Hefte, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte.

Mit diesen im Rucksack stand ich dann auf dem Bahnsteig und wartete ungeduldig auf die U-Bahn, um meine unerhörten Schätze zu Hause genauestens begutachten zu können.

Für viele ist der U-Bahnhof Gneisenaustraße banal und durchschnittlich, für manche gar dreckig und ordinär. Aber für mich und meine kulturelle Sozialisation in den Neunzigern war er die wichtigste Station Berlins.

Etwas später, als ich das 18. Lebensjahr erreicht hatte, kam für mich ein weiterer Grund hinzu, hier auszusteigen: Das „Videodrom“, gelegen in der Mittenwalder Ecke Fürbringer Straße.

Comic-Dealer: Bert Henning und Margitta Fischer, die inzwischen im Ruhestand ist, 2014 im Comicladen „Grober Unfug“.
Comic-Dealer: Bert Henning und Margitta Fischer, die inzwischen im Ruhestand ist, 2014 im Comicladen „Grober Unfug“.

© Lars von Törne

Hier fand ich auf Leih-VHS all die großen Klassiker des Horrorfilms in ungeschnittener Originalversion, die mir das Fernsehen und normale Videotheken vorenthielten.

Mitte der Neunziger eröffnete das Videodrom zusätzlich einen Verkauf im Keller, sinnigerweise „Videodrom Basement“ genannt. Ich werde nie vergessen, wie ich die seltene blutrote US-Laserdisc von „Evil Dead 2: Dead by Dawn“ in meinen zittrigen Fingern hielt.

Das „Videodrom“ auf einem Foto von 2015.
Das „Videodrom“ auf einem Foto von 2015.

© Kitty Kleist-Heinrich

Den Preis von 80 Mark konnte ich mir eigentlich nicht leisten, aber ich hätte eher eine Bank überfallen, als dieses Kleinod wieder in die Kiste zu stellen.

[Dieser Beitrag von Comiczeichner Bela Sobottke wurde in der Rubrik „Die Station meines Lebens“ veröffentlicht, die jeden Sonnabend auf den Mehr-Berlin-Seiten des Tagesspiegel erscheint - in der Printausgabe und hier als E-Paper erhältlich.]

Im Umfeld vom „Videodrom“ entstand auch die „Splatting Image“, Berlins legendäre Underground-Zeitschrift für den unterschlagenen Film. „Splatting Image“ ist für mich bis heute die Messlatte, was das Schreiben von kritischen Texten angeht, sei es über Filme, Comics oder Bahnhöfe.

Sie erschien quartalsweise und war sowohl im Videodrom als auch im Comicladen um die Ecke erhältlich.

Viel hat sich seither verändert: „Splatting Image“ gibt es nur noch online, die Comic-Importabteilung ist in die „Grober Unfug“-Filiale im Ostteil der Stadt gezogen, das Videodrom Basement wurde zum Schuhgeschäft und das verkleinerte Videodrom ist ein paar Straßen weiter in die Friesenstraße gezogen. Aber es gibt beide Läden noch, sie trotzen tapfer dem Trend zu Streaming und Onlinekauf. Und damit ist und bleibt der U-Bahnhof Gneisenaustraße das kulturelle Zentrum Berlins.

Bela Sobottke

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