zum Hauptinhalt
Zweiglein für Zweiglein. Von oben nach unten abgelöst, wirken die verbleibenden Trauben gleich viel appetitlicher.

© imago images/Westend61

Darf man Trauben aus der Mitte picken?: Die Empörung ist mir unverständlich

Unsere Autorin erklärt, wie man mit komplizierten Situationen so umgeht, dass es keine Verstimmungen gibt. Diesmal: Wie man anderen den Appetit erhält.

Stand:

Roland, hungrig, fragt: Am Küchentisch wurde ich unlängst darauf hingewiesen, dass ich die Weintrauben, die auf dem Küchentisch stehen und von allen gegessen werden, unkorrekt abtrenne. Es wurde bemängelt, dass ich die Weintrauben einzeln abtrenne, anstatt einen gesamten Stiel zu nehmen. Das erscheint mir unverhältnismäßig pedantisch. Um solch eine Neurose sollte sich die empörte Person selbst kümmern, anstatt ihr Umfeld zu behelligen. Bin ich im Recht?

Elisabeth Binder antwortet: Bitte tun Sie nichts Ekliges

Diese Frage können Sie sich leicht selbst beantworten, wenn Sie mal zwei Traubenstränge auf dem Küchentisch nebeneinanderlegen. Aus dem einen pflücken Sie die einzelnen Träubchen willkürlich heraus. Bei dem anderen trennen Sie von oben nach unten immer kleine Zweiglein mit mehreren Trauben dran ab.

Am Ende betrachten Sie beide Exemplare und entscheiden, welches appetitlicher aussieht und einladender für diejenigen, die nach Ihnen kommen und essen wollen.

Gerupfter Igel

Sehr wahrscheinlich werden Sie nicht zu dem Schluss kommen, dass der erste Strang, der jetzt wie ein gerupfter Igel daliegt mit lauter kleinen nackten Zweiglein, appetitlicher ist , sondern der zweite, der unten noch voller Beeren ist und oben ein kahles Stück Stängel zeigt. Das hat weniger etwas mit Pedanterie zu tun als mit Ästhetik.

Auch in einer Wohngemeinschaft mit vertrauten Freunden oder in einer Familie, sollte man Rücksicht nehmen auf das optische Empfinden der anderen.

Es liegt doch nahe, dass ein Strang in dem offensichtlich schon jemand rumgefingert hat, weniger einladend wirkt als einer, der auf den ersten Blick noch intakt wirkt. Das gilt natürlich für alle Lebensmittel, die man miteinander teilt. Man gräbt ja auch keine Löcher mitten in die Butter, sondern versucht, sich vom Rand her zu bedienen.

Gerade in vertrauten Runden ist Disziplin besonders wichtig, weil man ja eh sehr nah zusammen ist. Man möchte also alles vermeiden, was abstoßend oder eklig wirken könnte, weil ein solcher Effekt sich leicht in die Erinnerung einbrennt und das Zusammenleben schwieriger macht.

Es ist hier also nicht mal eine Frage, ob Sie konkret im Recht sind, was nicht der Fall ist, sondern eine Sache der Haltung gegenüber den Mitbewohnern. Der hier geäußerte Wunsch hätte Ihnen unbedingt Befehl sein sollen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })