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Berlin: Das Doppelleben des Toni S.

Der als V-Mann enttarnte Neonazi steht ab Dienstag vor Gericht – und der Verfassungsschutz auf dem Prüfstand

Von Frank Jansen

Der Andrang ist enorm, obwohl die Vorwürfe gar nicht so spektakulär klingen. Presse, Funk und Fernsehen werden am Dienstag drängeln, wenn sich der Neonazi Toni S. im Saal B 129 des Kriminalgerichts Moabit wegen szeneüblicher Taten verantworten muss: Volksverhetzung, Verbreitung von Hass-CDs, Verwendung von Nazi-Symbolen, Verherrlichung rassistischer Gewalt. Doch der 27-Jährige ist auf bizarre Weise prominent geworden: Nach seiner Festnahme in der Nacht zum 21. Juli enttarnte er sich gegenüber der Berliner Polizei als V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes.

Die Berliner hatten allerdings schon bei ihren Ermittlungen das Doppelleben des Toni S. durchschaut – sagten aber Potsdam nichts. Der Eklat war gewaltig. Und wird im Prozess der Berliner Staatsschutzkammer deutlich zu vernehmen sein. Brandenburgs Innenministerium fühlt sich auch jetzt wieder brüskiert. Sein Sprecher Heiko Homburg bat für den Prozess vergeblich um eine Akkreditierung oder einen reservierten Platz.

Toni S. hat bei den Verhören harte Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz geäußert. Dieser solle ihm Rückendeckung garantiert, zur Einrichtung eines geheimen Lagers mit Szene-Waren animiert und vor Polizeiaktionen gewarnt haben. Angeblich fühlte sich der Spitzel sicher, als er im vergangenen Jahr in der Szene 2800 Exemplare der CD „Noten des Hasses“ feilbot. Auf der Scheibe, die der Berliner Neonazi Lars B. unter dem fiktiven Bandnamen „White Aryan Rebels“ komponierte, werden Michel Friedman, Rita Süssmuth, Alfred Biolek und weitere Prominente mit dem Tod bedroht – sowie zwei Berliner Polizisten. Vermutlich ein Grund für die Berliner Ermittler, keine Rücksicht auf Verfassungsschutz und V-Mann zu nehmen.

Die Potsdamer Behörde bestreitet die Vorwürfe des einstigen Spitzels und vermutet, dieser wolle sich rächen. Dennoch bleiben Fragen offen, die auch in dem Prozess eine Rolle spielen könnten: Hat der Nachrichtendienst gewusst, dass Toni S. fast die gesamte erste Auflage der „Noten des Hasses“ vertrieb und sich damit strafbar machte? Ließ der Brandenburger Verfassungsschutz die Berliner Behörden im Stich, als diese 2001 nach Texter, Produzenten und Vertreiber der CD suchten – und nicht weiterkamen? Und: Wurde die Cottbuser Staatsanwaltschaft vom Verfassungsschutz getäuscht, um den V-Mann zu schützen?

Der letzte Punkt gilt als „Affäre in der Affäre“. Im Herbst 2001 ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen Neonazis, die Anleitungen zum Bombenbau publizierten. Toni S. spitzelte. Damit er in der Szene glaubwürdig blieb, sollte auch bei ihm durchsucht werden. Der Verfassungsschutz wollte aber das Risiko vermeiden, die Cottbuser Beamten könnte auf dem Computer von S. Straftaten entdecken. Der V-Mann bekam einen „jungfräulichen“ PC – und sollte den alten nicht mehr nutzen. Er tat es doch. Der neue Computer passte auch nicht zum Drucker.

Die Durchsuchung fand allerdings erst im März 2002 statt. Dennoch stand an jenem Tag in der Wohnung von S. nur der weiterhin „jungfräuliche“ PC, den die Cottbuser Polizei sicherstellte. Als dann im Juli die Berliner Beamten überraschend bei dem V-Mann anrückten, fanden sie den alten PC. Nun hat auch die Cottbuser Staatsanwaltschaft einige Fragen an den Verfassungsschutz.

Im August gab es dann noch eine Affäre in der Affäre: Der sächsische Neonazi Mirko H., ein Co-Produzent der „Noten des Hasses“, wurde als V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz enttarnt. Der Staat kooperierte also mit zwei der drei Neonazis, die für die Aufrufe zum Mord verantwortlich sind.

Brandenburgs Verfassungsschutz betont, er habe über S. einen tiefen Einblick in das braune Musikbusiness bekommen. Ohne die nicht abgesprochene Razzia der Berliner Polizei wäre es möglich gewesen, internationale Szenestrukturen zu zerschlagen. Tatsächlich war es dem Verfassungsschutz gelungen, im Fall „Noten des Hasses“ Verbindungen in die Slowakei, nach Ungarn und sogar bis Thailand aufzuspüren. Außerdem sagt die Behörde, der V-Mann sei niemals zu Straftaten ermuntert worden. Toni S. wird im Prozess versuchen, die Richter vom Gegenteil zu überzeugen. Vor großer Kulisse.

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