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In der Berliner U-Bahn sieht man Fahrgäste mit Messer nicht so gern (Symbolbild).

© Paul Zinken/dpa

Glosse: Das ist Berlin

Ein bewaffneter Mann in der U5 und ratlose Polizisten: In Berlin läuft so manches anders. Eine Betrachtung.

Vieles, was wir in Berlin so machen, gilt draußen in der Welt als relativ verrückt. Das ist bekannt, und auf dieser Basis hat sich zwischen Berlin und der Welt eine Art friedliche Koexistenz herausgebildet. „Oh really, dear, you´re from Börlinn!“ sagen die Menschen draußen, machen aber für alle Fälle die Schubladen zu und versichern sich ihrer sexuellen Identität.

Der Berliner selbst: gelassen, aber wachsam. So wie jener etwa 35 Jahre alte Mann kürzlich nachts in der U5, aus dessen Rucksack ein Messergriff ragte, der auf eine solide 30-Zentimeter-Klinge schließen ließ. Ein Irrer kurz vor dem Ausrasten? Ein Koch auf dem Heimweg vom berühmten Hönower Nachtzwiebelschneiden? Unser Zeuge fuhr eine Station mit und fragte vor dem Aussteigen, ob das denn da tatsächlich ein großes Messer sei („ja klar“), und ob er denn wisse, dass das verboten sei und anderen Angst mache? Man müsse sich, sagte der Messermann daraufhin gelassen, halt verteidigen können.

„Da könn wa nüscht machen.“

Gegen wen jetzt? Der Zeuge beschloss, das Erlebnis nicht unter Spree-Folklore abzubuchen, sondern sofort den Sicherheitsbehörden zuzutragen, was allerdings nicht so richtig ernstgenommen wurde. „Der is eh schon am Alex und weg“, sagte der Polizist vom Notruf, „da könn wa nüscht machen.“ Ja, aber ob man nicht die mobile Polizeiwache dort alarmieren könne? „ Ach, der ist längst weg.“ Nein, der läuft da sicher gerade lang! „Und wat solln wa da jetz machen?“

Ja, was soll die Polizei da machen? Sie hat sich für berlintypische Gelassenheit entscheiden und damit, soweit sich das aus der Nachrichtenlage schließen lässt, Glück gehabt. Denn nach dem betreffenden Vorfall wurde in Berlin niemand von einem irren Messermörder attackiert, und auch der hypothetische Verteidigungsfall ist offenbar nicht eingetreten. Andererseits ist es natürlich ein wenig bedenklich, dass Bürger, die doch von höchsten Stellen zur Wachsamkeit aufgerufen sind, wie Spinner behandelt werden, wenn sie sich daran halten.

Ein riesiger Ermessensspielraum tut sich auf

Nun mag es in der Tat sein, dass diesem Fall die Dramatik fehlte. Der Mann trug weder Fusselbart noch Kleidung vom Fundamentalistenausstatter, er redete klares Hochdeutsch und sagte nichts, was nur entfernt an „allahu akbar!“ erinnerte. Ganz sicher hätte der polizeiliche Lagedienst auch anders reagiert, wenn er statt des Messers einen schweren Koffer mit rückwärts laufender roter Digitalanzeige herumgeschleppt hätte. Ein riesiger Ermessensspielraum tut sich auf, der in Berlin naturgemäß größer ist als in Aurich oder Baiersbronn.

Aber dennoch ist es ungut, wenn die Entscheidung, ob ein langes Messer harmlos ist oder nicht, mit Was-sollen-wir-denn-da-machen an den Bürger zurücküberwiesen wird. „Vielen Dank, wir kümmern uns sofort drum!“ – das hätte zumindest motivierender und freundlicher geklungen. Und noch besser wäre es, wenn überhaupt keine Paranoiker in der Gegend herumliefen, die glauben, sich mit einem langen Messer gegen irgendwas schützen zu müssen. Aber, hey, das ist Berlin.

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