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Süßes Geheimnis. Dieses Foto aus einer Bäckerei auf Bornholm schickte uns Tagesspiegel-Leser Oliver von Dobrowolski. Wir fragten prompt in unserem Spandau-Newsletter nach dem Ursprung – und bekamen unglaublich viel Post, Mails, Fotos (sogar von Dänen)…
© Oliver von Dobrowolski

Berliner Backwarenkunde: Das Spandauer Røtsel

Bei den Dänen trägt Plundergebäck den Namen von Berlins westlichstem Bezirk. Angeblich erinnert seine Form an die Zitadelle, aber überzeugt das? Eine Spurensuche.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich unter Berlinern als Zugereister auszuweisen und so ein wenig zu blamieren. Das funktioniert schon prima, wenn man durch den Gebrauch vermeintlicher Berliner Spitznamen eine Vertrautheit mit hiesigem Sprachgebrauch zu suggerieren versucht und beispielsweise den Fernsehturm immer nur Telespargel nennt. Ein Fettnäpfchen anderer Art steht beim Bäcker bereit: Wecken statt Schrippen bestellt? Ganz schlecht. Und auf keinen Fall ist es ratsam, einen Berliner zu verlangen, Kannibalismus wird in Berlin nicht gern gesehen. Man ordere hier also tunlichst einen Pfannkuchen, wahlweise mit Mus oder Marmelade.

Anderen Orts ist der verpönte Name dagegen völlig in Ordnung, „Un Berlina, por favor“ versteht man sogar in Costa Rica, und auch auf dänischen Kuchentheken ist der Berliner ein gewohnter Anblick.

Dort übrigens oft direkt neben einer anderen süßen Leckerei, die als „Spandauer“ verkauft wird. Den Bewohnern der Havelstadt wird ja gern nachgesagt, dass sie beim Ansteuern eines Ziels östlich der Bezirksgrenze stets verkünden, sie führen nach Berlin. Dies scheint sogar im dänischen Zuckerbäckerwesen seinen Niederschlag gefunden zu haben, aber warum?

Diese Frage stellte der Tagesspiegel in seinem Spandau-Newsletter, nachdem die Redaktion via Twitter ein Urlaubsgruß von Bornholm mit dem Foto eines „Spandauers“ erreicht hatte.

[Den Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel gibt es kostenlos und in voller Länge unter leute.tagesspiegel.de]

Die Resonanz war enorm, die Frage hatte die Spandauer in ihr süßes Herz getroffen – Anlass genug, der Frage einmal selbst nachzuspüren. Dabei wirken die als „Spandauer“ angebotenen Backwaren hiesigen Augen vertraut, nur würde jeder, sähe er sie in einer Spandauer oder Berliner Konditorei, ganz einfach ein Stück Plunder verlangen: der spezielle Kuchenteig ringförmig oder auch quadratisch geformt, mit Konfitüre, Pudding oder anderen Beiwerk als lukullischer Höhepunkt in der Mitte, zu dem man sich durch den Teig wie durch einen süßen Wall durchbeißen muss.

Eigentlich ist der "Spandauer" ein "Kopenhagener"

Kurioserweise ist der von den Dänen „Spandauer“ genannte Kuchen eine Variante der hier auch als Kopenhagener Gebäck angebotenen Süßspeise, die wiederum den Dänen als „Wienerbrød“ vertraut ist – angeblich der Widerschein eines Arbeitskonflikts im dänischen Bäckereigewerbe Mitte des 19. Jahrhunderts, als dänische Bäckermeister Wiener Bäckergesellen als Streikbrecher ins Land geholt und deren Spezialitäten kopiert haben sollen. Doch gibt es auch andere Erklärungen, alternative Fakten, wenn man so will, nach denen etwa ein Kopenhagener Bäcker nach Wien reiste, um das dortige Kuchenwesen zu studieren, und neben drei österreichischen Gesellen gleich deren Backtraditionen importierte. Zu erwähnen ist auch die US-Version des „Danish“, die auf einen nach New York gereisten dänischen Bäcker zurückgehen soll, der dann... Aber das führt jetzt zu weit, zu klären war ja, warum die Dänen Kopenhagener Plunder Spandauer nennen.

Es gibt dazu gerade unter den Bewohnern Spandaus vielerlei Erklärungen, die uns erreicht haben. Nur sind diese, vorsichtig formuliert, nicht gerade deckungsgleich und nicht immer überzeugend. Die Havelstadt scheint jedenfalls schon lange als Namensstifter für das Dänengebäck zu dienen, so wird unter anderem von einem 45 Jahre zurückliegenden Erstkontakt mit einem „Spandauer“ berichtet: Diesen habe, so Tagesspiegel-Leser Wolfgang Schomburg, seine dänische Schwiegermutter gebacken – man nenne das leckere Zuckerzeug auch „Wienerbrød med creme“.

Hat wirklich ein preußischer Kanonier den ersten „Berliner“ geschaffen?
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© Kitty Kleist-Heinrich

Eine andere aus Spandauer Leserkreisen vorgebrachte Erläuterung stellt eine mutmaßliche Beziehung zwischen dem Gebäck und dem Deutsch-dänischen Krieg von 1864, und hier besonders der Erstürmung der Düppeler Schanzen durch preußische Infanterie her. Bei dieser Bataille spielte eine gewisser Carl Klinke eine nicht zuletzt durch Theodor Fontanes Gedicht „Der Tag von Düppel“ ins Legendenhafte überhöhte Rolle, als er bei stockendem Angriff mit dem Ruf „Ich heiße Klinke, ich öffne das Tor!“ die Palisaden und sich selbst in die Luft gesprengt haben soll – ein Heldentod, den Militärhistoriker heute stark bezweifeln.

Wie auch immer: Der Mann stammte zwar nicht aus Spandau, sein Bataillon aber schon, und wegen der historischen Bedeutung der Schlacht an den Düppeler Schanzen hätten die Dänen nun ein Stück Kuchen... Nein, sehr überzeugend ist das nicht. Wer will schon bei jedem Bissen, und sei er noch so süß, an nationale Katastrophen erinnert werden. Und hat man je von einer französischen Spezialität namens „Waterlooer“ gehört?

Die Spandauer Zitadelle als Backform?

Befragen wir also die Dänen selbst, und hier, in Ermangelung eines leibhaftigen dänischen Backwarenhistorikers, das Wörterbuch „Den Danske Ordbog“, eine Art Duden für Dänen. Demnach ist ein Spandauer „ein rundes Stück Wienerbrød mit einem Klecks Creme oder Marmelade in der Mitte“, erwähnt bereits im Mitteilungsblatt der Konditorgilde von 1938. Auch in der dänischen Version von Wikipedia ist die Rede von einem „luftigen Stück Wienerbrød mit einer Creme aus Marzipanmasse, Margarine und Zucker oder Marmelade, verfeinert mit Zuckerglasur und gewöhnlich zum Frühstück oder Nachmittagskaffee genossen“. Überraschend ist die Erläuterung des Namens. Er beziehe sich auf einen Bezirk von Berlin, in dem es von 1876 bis 1987 ein berühmt-berüchtigtes Gefängnis gegeben habe. Aus dem Teig seien gleichsam Wälle geformt worden, hintern denen die Creme eingeschlossen ist. Der Text bleibt da im Bildlichen kryptisch, wird auch im Wikipedia-Kommentar als unvollständig und ergänzungsbedürftig kritisiert.

Das scheint aber nicht das Hauptproblem zu sein, denn es liegt ja recht nahe, beim Verfasser dieser Erklärung eine Verwechslung des alten Spandauer Kriegsverbrechergefängnisses mit der Zitadelle zu vermuten. Ersteres wurde nach dem Freitod von Rudolf Heß tatsächlich 1987 abgerissen, während die Creme oder sonst was umschließenden Wälle eher auf den alten Festungsbau hinweisen.

Aber was auch immer nun stimmt: Wie kommen die Dänen nur auf so was?

Erinnerte der erste Amerikaner an die alten Helme der GI’s?
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© imago stock&people

Vielleicht ist der Name „Spandauer“ für ein simples Stück Plundergebäck aber auch ganz anders entstanden. Denn das ist bei solchen scheinbar nach Herkunftsorten benannten Esswaren häufig so, dass es dafür mehrere Erklärungen oder auch pure Verwirrung gibt: Ist das Wiener Würstchen nicht doch eher ein Frankfurter, importiert von einem im 19. Jahrhundert vom Main an die Donau gewechselten Metzger? Bezieht sich der Name Hamburger nun auf Hamburg an der Elbe oder die gleichnamige Stadt bei Buffalo im US-Bundesstaat New York? Von dort stammten die Betreiber eines Imbissstandes, in dem, Dichtung oder Wahrheit, der Ur-Hamburger kreiert worden sein soll. Und hat der Amerikaner seinen Namen wirklich dadurch bekommen, weil seine Form an die Helme amerikanischer GI’s im Ersten Weltkrieg erinnerte?

Schließlich der Berliner, angeblich erfunden von einem Kanonier Friedrichs des Großen, der sich als kriegsuntauglich erwies, Feldbäcker wurde und ersatzweise Pfannkuchen in der Form von Kanonenkugeln herstellte. War also der Spandauer, dessen Form irgendwie an die Zitadelle erinnert, vielleicht nur eine Antwort auf den Berliner? Als kecke Versicherung, dass man hinter den Wällen der alten Festung noch jedem Bombardement mit Berliner Kanonenkugeln widerstehen würde?

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