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Berlin: „Das war kein Finger“

Ein 34-Jähriger steckte sein Geschlechtsteil durch den Briefschlitz und verschickte anonyme Briefe

Der Mann hat zu viele Gerichtsfilme gesehen. Auf einen Verteidiger verzichtet Olaf K., das Plädoyer hält er lieber selbst, statt eines Talars trägt er Jeans und Daunenjacke: „Ja, wie fang’ ick am besten an? Das mit Frau M. tut mir leid“, sagt Olaf K. Dann spricht der Angeklagte über seine unbescholtene Vergangenheit, sein Teilgeständnis, die Unschuldsvermutung – und kommt formvollendet zum Schluss: „Wat soll ick da beantragen? Ne janz niedrige Bewährung!“

Saal 320, Amtsgericht Moabit. Die Vergehen, für die der 34-Jährige Spandauer eine milde Strafe fordert, sind von der delikaten Art. In der Anklageschrift ist von obszönen Briefen die Rede, perversen Fantasien, abartigen Sexualwünschen. Und dann sind da auch noch zwei „exhibitionistische Handlungen“ aufgelistet. „Am 7. und 28. Mai steckte der Angeklagte sein Geschlechtsteil durch den Briefschlitz, als seine Nachbarin auf dem Hausflur an seiner Wohnung vorbeilief“, sagt die Staatsanwältin.

Olaf K. hält seine Verteidigungs-Strategie offenbar für bestechend logisch. So eine Aktion wäre doch viel zu risikoreich, argumentiert er. Mit all den Kanten und Ecken, „da kann man sich schwer bei verletzen“. Er habe sich deshalb den Zeigefinger mit rotem Kugelschreiber bemalt und ihn „als Überraschung“ durch den Briefschlitz gesteckt. Jetzt schüttelt Carola M. den Kopf. „Also, den Unterschied erkenne ich“, sagt die Zeugin.

Verteidiger Olaf K. ist in seinem Fach ein Quereinsteiger. Hauptschulabschluss, Hilfsarbeiter, seit sieben Jahren arbeitslos. Tagsüber kümmert sich Olaf K. um seine Großeltern, abends schreibt er. Brutale Kurzgeschichten oder anonyme Briefe. „Nach dem ersten Brief ist mir richtig übel gewesen“, sagt Carola M., 35 Jahre alt, Verkäuferin. Im April 2001 bat „der Sie Anbetende“ noch um getragene Strumpfhosen, Wattestäbchen oder Tampons als Fetisch. Später wurden der Ton und die Phantasien aggressiver, es ging nicht nur um Sex, sondern auch um den Tod. „Sie sind bei vollem Bewusstsein, wenn ich Ihr Fleisch von den Zehen nage.“ Carola M. ist inzwischen völlig verängstigt, leidet unter Schlafstörungen und Depressionen, würde am liebsten ausziehen. Zum Müll geht sie selten unbeobachtet. „Er guckt immer, in welche Tonne ich die Tüten werfe.“

Auch Friseurin Ramona S. bekam anonyme Post: das gleiche Briefpapier, dieselbe Schrift, die gleichen Fantasien. Als Carola M. auf dem Hausflur zum zweiten Mal aus dem Briefkasten etwas entgegenbaumelte, griff sie zum Feuerzeug. „Ich hab’s aber nur ein Mal schnipsen lassen“, sagt sie.

So kam Olaf K. bis heute mit heiler Haut davon. Als Verteidiger setzt er bei den meisten Punkten auf Widerspruch. „Das hab’ ick nich’ gemacht“, beteuert er immer wieder – vergeblich. Die Richterin verurteilt ihn zu sechs Monaten Gefängnis – auf Bewährung. Sie erlischt, wenn er seinen Bewährungshelfer versetzt. Wenn er nicht zur Therapie geht. Oder noch einmal einem seiner Opfer zu nahe tritt. Olaf K. akzeptiert das Urteil noch im Saal. „Hilft ja nüscht“, sagt er.

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