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Das ehemalige Landeslabor.

© IMAGO/Funke Foto Services/IMAGO/

Architektur-Debatte um früheres Berliner Landeslabor: Es ist noch nicht zu spät

Schon wieder ein unverzeihlicher Abriss? Warum die Präsidentin der Berliner Architektenkammer dafür plädiert, das ehemalige Landeslabor, einen markanten 70er-Jahre-Bau, zu erhalten.

Theresa Keilhacker
Ein Gastbeitrag von Theresa Keilhacker

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Wenn die Züge, egal ob ICE oder S-Bahn, den Berliner Hauptbahnhof Richtung Westen verlassen, schiebt sich den aufmerksamen Reisenden ein Gebäude in den Blick, das sich neben den Gleisen im Ruhestand zu befinden scheint. Ein typischer 1970er-Bau, der aus einem langgestreckten dreigeschossigen Riegel sowie einem quer davor gerückten höheren Kopfbau besteht und dessen dunkelgrüner Betonfassade man das Alter deutlich ansieht. Was soll aus diesem Gebäude in bester Lage werden?

Geht es nach den Plänen des Berliner Senats, ein großer Haufen Bauschutt. Denn das Haus, das von 1979 bis 2019 als zentrales Landeslabor diente, soll für die Errichtung des sogenannten ULAP-Quartiers weichen, von dem bislang nicht viel mehr bekannt ist, als dass dazu auch ein 100 Meter hoher Büroturm für Polizei und Justiz gehören wird. Diesen Neubauplänen steht das 2019 aufgegebene, ehemalige Landeslabor im Weg.

Wurde die Weiterentwicklung überhaupt gründlich geprüft?

Doch wurde in den fünf Jahren seit dem Auszug des Laborbetriebs eine mögliche Weiterentwicklung dieses Gebäudes überhaupt gründlich geprüft? Zum Zeitpunkt seiner Errichtung nach den Entwürfen des Architekten Peter Brinkert zahlte das Haus mit seiner qualitativ hochwertigen Ausstattung und der intelligenten Verknüpfung von Labor- und Verwaltungstrakt auf den Ruf der öffentlichen Hand als kluge Bauherrschaft ein.

Architekt Brinkert, dem Berlin neben dem Landeslabor auch das Institut für Werkstoffkunde mit seiner sensationellen Fassade in Knallorange (Abriss 2015, unverzeihlich) und mehrere gebaute Beiträge zur IBA 1987 verdankt, hatte ein feines Gespür für Qualitäten. So gab es im Landeslabor großzügige, mit teurem Echtholz ausgekleidete Wartebereiche, eine Bibliothek, dazu Veranstaltungsräumlichkeiten und die einem Refektorium nachempfundene Mitarbeiterkantine mit Holzbänken und ausgemusterten Haltestangen aus alten S-Bahnzügen. Das ganze Interieur wurde laut Immobilien Management GmbH (BIM), die im Auftrag der Senatsbauverwaltung eine Schadstoffsanierung durchführt, entsorgt. Die Arbeiten sind fast abgeschlossen.

Schon vor über einem Jahr verwies Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt, befragt nach den Gründen für den beschlossenen Abriss des ehemaligen Landeslabors, zunächst auf das Missverhältnis zwischen dem Wert des Areals und der unwirtschaftlich niedrigen Bebauung – und erst dann auf die Schadstoffbelastung. Dieser Zeitung sagte sie im März 2023: „Man kann hier höher bauen, man kann die Fläche anders ausnutzen. Das ist ja auch ein Ziel.“

Ein Ziel könnte allerdings auch der Erhalt bzw. die Ertüchtigung des Gebäudes sein, aus Gründen des Klimaschutzes und der Ressourcenschonung. Das setzt freilich einen entsprechenden politischen Willen voraus. Und die Beschäftigung mit der Frage, wie ein flexibel nutzbarer Funktionsbau aus den 1970er-Jahren weiterentwickelt, aufgestockt und in ein neues Quartier integriert werden kann.

Berlin hat mal wieder eine Chance vertan

Dass sich viele Menschen in dieser Stadt für solche Anliegen interessieren, zeigte sich schon im Mai 2021 bei einem digitalen Info-Abend und einer Ideenwerkstatt vor Ort. Anwohnerinnen und Interessierte regten damals an, das Bauwerk in die weiteren Planungen einzubeziehen und dafür den Königsweg eines Planungswettbewerbs einzuschlagen. Über einen städtebaulich-freiraumplanerischen Wettbewerb sollte eine Konzeptstudie für einen auszulobenden Architekturwettbewerb vorgelegt werden.

Doch die Senatsverwaltung beschränkte sich darauf, in einer ersten Runde gerade einmal fünf Planungsteams zur Entwicklung stadtplanerischer Ideen und Entwürfe einzuladen, von denen in einer zweiten Phase nur noch drei Teams mit der Vertiefung ihrer jeweiligen Konzepte beauftragt wurden. Wieder einmal vertat Berlin – wohlgemerkt eine Stadt mit mehr als 10.000 in der Architektenkammer eingetragenen Mitgliedern der Fachrichtungen Stadtplanung, Architektur, Landschafts- und Innenarchitektur – die Chance, die Vielfalt kreativen und innovativen Potenzials, auch von Newcomern, zu nutzen.

Die Beschwörungen einer Bauwende klingen hohl

So armselig die von der öffentlichen Hand praktizierte Baukultur, so hohl klingen die Beschwörungen einer Bauwende angesichts der Abriss-und Neubaupläne. Denn ein im Juni veröffentlichtes Gutachten zur „Grauen Energie“ des ehemaligen Landeslabors kommt zu dem Ergebnis, dass der Abriss des Gebäudes mit 5190 Tonnen CO₂-Äquivalenten zu Buche schlägt. Zum Vergleich: Das entspräche einer Abholzung und Verbrennung von 961 Hektar Wald, ungefähr das Fünffache der Fläche des Tiergartens. 

Der bevorstehende Abriss des ehemaligen Landeslabors gehört in eine Reihe fataler Rückbau-Entscheidungen, die eines gemeinsam haben: Nach Jahren der strukturellen Vernachlässigung von Gebäuden verweisen die dafür Verantwortlichen auf den beklagenswerten Verfallszustand und die unwirtschaftlich hohen Sanierungskosten, um sodann den unvermeidlichen Abriss zu rechtfertigen. Im Falle des Sport- und Erholungszentrums (SEZ) an der Landsberger Allee, das erst für einen symbolischen Euro an einen Investor verscherbelt wurde, hat sich das Land Berlin die Immobilie sogar in einem langen, teuren Rechtsstreit zurückgeholt, um es dann zum Abriss freizugeben.

Vor diesem Hintergrund setzt sich die Architektenkammer Berlin für die Einführung einer Abrissgenehmigung auf Basis einer Lebenszyklusanalyse und -berechnung von Bestandsbauten ein, und dafür, Schadstoffgutachten verpflichtend an eine Machbarkeitsstudie pro Erhalt zu knüpfen.

Für das ehemalige Landeslabor ist es noch nicht zu spät. Anstatt das Gebäude abzureißen, könnte es neben den polizeilichen Nutzungen, die sich jetzt schon auf dem Gelände befinden, für eine Zwischennutzung als Ankerort für Geflüchtete ertüchtigt werden. Und mit dieser Umbau-Agenda zu einem Möglichkeitsraum für Zukünftiges werden.

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