Berlin: Den Bart lässt sich der 45-jährige Student und Unternehmensberater schon seit dem Sommer wachsen
In der guten, alten Zeit ging der Weihnachtsmann umher und vollbrachte ein Wunder nach dem anderen. Er gab armen Mädchen Gold für die Hochzeit, rettete Unschuldige vor dem Beil des Henkers, schützte Schiffsleute in Seenot.
In der guten, alten Zeit ging der Weihnachtsmann umher und vollbrachte ein Wunder nach dem anderen. Er gab armen Mädchen Gold für die Hochzeit, rettete Unschuldige vor dem Beil des Henkers, schützte Schiffsleute in Seenot. Ob das wahr ist oder nicht, lässt sich heute nicht mehr prüfen. Auf die Wahrheit kam es gar nicht an, wenn unsere Vorfahren abends bei einem gemütlichen Kaminfeuer saßen und den Erzählungen der Ältesten lauschten.
Heute glaubt - von wenigen Ausnahmen abgesehen - niemand mehr an den Weihnachtsmann. Das hindert Eltern nicht daran, für die Bescherung am Heiligen Abend einen zu mieten. Sie rufen beim Studentenwerk (832 40 17) an oder bei der Arbeitsvermittlung Tusma (312 40 04 und 313 40 58) und ordern einen Weihnachtsmann. Rund 500 von ihnen werden am 24. Dezember in Berlin im Einsatz sein.
Einer von ihnen ist der 45-jährige Psychologiestudent Hu-Ping Chen aus Kreuzberg. Hu-Ping trägt einen chinesischen Namen, ist aber in Kreuzberg geboren und aufgewachsen. Er besitzt einen deutschen Pass und versteht kein Wort Chinesisch, seine Eltern haben es ihm nie beigebracht. Bis heute wohnt und arbeitet er in Kreuzberg. 20 Stunden pro Woche hat er einen Job als Unternehmensberater für Umwelttechnologie bei der Firma LAWS Umwelttechnik in der Eisenbahnstraße. "Ich mache Betriebsanleitungen lesbar und zeige Unternehmen aus der Holzbranche, wie sie Energie sparen können", sagt Hu-Ping und streicht sich das lange, schwarze Haar aus der Stirn.
Weitere 20 Wochenstunden verbringt an der Uni. Während sich die Kommilitonen von der Technischen Universität künstliche, weiße Bärte vor die Nase hängen, setzt Hu-Ping Chen auf reine Natur: Im Sommer lässt er seinen Rasierapparat in der Schublade verschwinden. "Mit echtem Bart wirkt der Weihnachtsmann erst so richtig echt", sagt Hu-Ping und holt eine Dose mit Haarspray aus der Tasche. "Damit färbe ich Bart und Haare weiß", sagt er.
Der nette "Chinese" ist zwar schon 45 Jahre alt, aber im Hörsaal sitzt er neben Studenten aus dem fünften Semester. Und dann lässt er sich immer noch reichlich Zeit. "Studium bedeutet Weiterbildung für mich, nicht Jagd auf Scheine", sagt er. In den 80-er Jahren war er schon einmal weiter, als Student im Modefach "Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation" an der Hochschule der Künste. Das war in den Jahren von 1980 bis 1986. Er schmiss das Ganze vor der Abschlussprüfung hin. Sein Job war spannender als simulierte Präsentationen vor Seminargruppen. Immerhin sammelte er reichhaltige Erfahrungen. Schon in den 80-ern war er als Weihnachtsmann unterwegs.
Auch im Internet-Zeitalter haben Kinder Angst vor dem Weihnachtsmann. Hu-Ping begrüßt den kleinen Klienten mit dem Vornamen, den er aus der Vorbesprechung mit den Eltern kennt und lächelt dabei freundlich. "Es ist gut, mal in die Knie zu gehen und auf gleicher Höhe miteinander zu reden", sagt er. Hat er eine Rute? Hu-Ping besitzt natürliche Autorität und muss nicht den strengen Weihnachtsmann spielen. Er versteht das Weihnachtsfest als "Kampfpause für gestresste Familien". Es gibt freilich auch das Leben danach. Am Morgen des 25. Dezember legt er eine Schallplatte mit schöner Musik auf und tritt vor den Badezimmerspiegel. Eine Stunde später ist der Bart ab.
Michael Brunner