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Die Keßlers genießen vor allem das eigene Grün vor ihrer Wohnung – und freuen sich über die Fuchsfamilie, die regelmäßig den Garten besucht.

© Thilo Rückeis

Architekturpreis 2016 - Berlins beste Bauten: Der Blick geht bis nach Brandenburg

Auch sozialer Wohnungsbau kann attraktiv sein. Das Neubauquartier "Mariengrün" der Degewo in Marienfelde zeigt wie.

„Ein Garten wäre doch auch mal etwas Schönes“, dachten Marcel Keßler und seine Lebensgefährtin Jana, als sie sich eine Musterwohnung in der Waldsassener Straße 51 ansahen. Eigentlich hatte sich die Familie für eine Wohnung im zweiten Stock beworben. Doch dann kam das Angebot für die Wohnung im Hochparterre. Die zehn Quadratmeter große Terrasse vor der Wohnküche ist seither Dreh- und Angelpunkt ihrer neuen Wohnung. „Wir nennen sie auch den Lieferanteneingang“, sagt Freundin Jana und lacht. Die Einkäufe bringt Marcel Keßler nämlich über die Terrasse in die direkt anschließende riesige Wohnküche. Bei gutem Wetter sitzt die Familie gerne draußen. Hier spielt Tochter Stella mit ihrer Freundin aus der Nachbarwohnung. Und dann ist da noch die Fuchsfamilie, die sich regelmäßig im Garten blicken lässt.

Die Patchworkfamilie war einer der ersten Mieter in dem Neubau des Degewo-Quartiers „Mariengrün“. Architekt Hans Bandel hatte die Großsiedlung in den 1970er Jahren entworfen. Noch vor einigen Jahren gab es hier Leerstand. Die Mieterzufriedenheit war nicht hoch; zu lange war in den 2 400 Wohnungen nicht mehr saniert worden. Doch in den letzten fünf Jahren hat die Degewo ihr Quartier modernisiert und Spielplätze, Gärten und Hochbeete angelegt und Raum für Wochenmärkte und Kiezfeste geschaffen.

Erst seit 2014 unterstützt der Senat wieder Mietwohnungsneubauten

Der Neubau in der Waldsassener Straße 51 wurde auf Freifläche gebaut. Nach nur elf Monaten Bauzeit war das Haus bezugsfertig. „Es war der erste kommunale Mietwohnungsneubau seit zehn Jahren“, sagt Degewo-Sprecher Lutz Ackermann. 5,7 Millionen Euro betrugen die Baukosten; eine Förderung des Landes für die 52 Wohnungen gab es nicht. Erst seit 2014 unterstützt der Senat wieder Mietwohnungsneubauten aus dem dafür eingerichteten Wohnungsneubaufonds. Umso glücklicher war der Architekt Christoph Rasche, als er sich an die Planung des neuen Mietshauses in Marienfelde machen durfte. Wenn er heute vor dem kompakten urbanen Bau steht, ist er zufrieden.

Preiswert muss nicht billig wirken. Marcel Keßler, seine Partnerin Jana und Tochter Stella sind sehr zufrieden mit ihrer bezahlbaren Wohnung.

© Thilo Rückeis

„Möbel reinstellen und wohlfühlen, das war unser Einzug“, sagt Marcel Keßler. Die Familie findet den Grundriss ihrer Wohnung schön und schätzt es besonders, dass wegen der Fußbodenheizung keine Heizkörper das Einrichten erschwerten. Dazu kommt eine eigene Speisekammer und ein separates Gäste-WC. „Das einzige Manko ist der fehlende Außenwasseranschluss“, sagt Keßler. Darum will sich die Degewo noch kümmern, schließlich wollen die Blumen im Garten bewässert werden. Ihr Budget musste die Familie allerdings etwas aufstocken. Zwar ist ihre Miete mit 8,60 Euro pro Quadratmeter für einen Neubau nicht hoch, doch bei fünf Zimmern mit insgesamt 112 Quadratmetern kommt einiges zusammen. Zwischen 7,00 und 9,50 Euro pro Quadratmeter kosten die Ein- bis Fünfraumwohnungen in der Waldsassener Straße.

Die Degewo arbeitet schon am nächsten Quartier

Im eigenen Planungsbüro der Degewo „bauWerk“ arbeitet Christoph Rasche schon am nächsten Neubau. Gleich um die Ecke, im Tirschenreuther Ring 8, sollen 82 Mietwohnungen entstehen. Sie werden vollständig aus Fördermitteln des Landes finanziert, die Mieten sollen bei 6,50 Euro pro Quadratmeter liegen. „Wir haben in der Waldsassener Straße gelernt, wie es sogar noch günstiger gehen kann“, sagt Rasche. Seit Januar baut die Degewo, und schon im Juni 2017 sollen die ersten Mieter einziehen können.

Warum hier so schnell gebaut werden kann, ist für Jacqueline Brüschke, Leiterin des Degewo-Planungsbüros, klar. Vermieter und Planer kommen bei dem kommunalen Wohnungsunternehmen aus einer Hand. „Wir mussten keine Planerauswahl treffen und hatten sofort unsere Ansprechpartner.“ Architekt Christoph Rasche ist schließlich schon seit zwanzig Jahren im Unternehmen und kennt die Standards der Degewo gut: Bei Fenstern, Armaturen oder Badewannen weiß er, was günstig, nachhaltig und von guter Qualität ist. Für die Mieter ist diese Erfahrung von Vorteil. Denn kurze Bauzeiten bedeuten geringere Baukosten, und das schlägt sich in niedrigen Mieten nieder.

Der Neubau der Degewo an der Waldsassener Straße war nach zehn Jahren Stillstand der erste kommunale Wohnungsbau in Berlin.

© Thilo Rückeis

„Man achtet im Viertel aufeinander und grüßt sich“, sagt Marcel Keßler. Mit einigen Nachbarn sind Freundschaften entstanden, gemeinsam besuchen sie gerne eine Eisdiele um die Ecke – Tochter Stella liebt das Spaghetti-Eis. Sogar für die Bewohner der angrenzenden Einfamilienhäuser sei der Neubau ein Gewinn gewesen: „Sie freuen sich, dass der Straßenlärm durch den Neubau abgeschirmt wird“, sagt Keßler. Obwohl sie am Stadtrand wohnen, ist der Arbeitsweg nach Charlottenburg für den Projektleiter immer noch kürzer als vom vorherigen Wohnsitz Alt-Glienicke aus. Und die Beamtin ist mit den Buslinien vor der Tür schnell am Arbeitsplatz in Kreuzberg.

Einige der Mieter sind aus der Nachbarschaft, manche aber auch aus Schöneberg, Friedrichshain oder Grunewald nach Marienfelde gezogen. Wer in den oberen Geschossen der Waldsassener Straße 51 lebt, kann schließlich schon über die Brandenburger Felder blicken; der Mauerweg lädt zum Spaziergang ein. „In Berlins Mitte ist es schon sehr eng“, sagt Lutz Ackermann. Deswegen findet er es wichtig, dass man die Stadt der Zukunft auch außerhalb des viel beschworenen S-Bahn-Rings gestaltet – ohne sozial abgeschottete Vorstädte zu schaffen. Allerdings hätte man bei der Degewo erwartet, dass die Nachfrage bei den Ein- und Zweizimmerwohnungen höher sei, schließlich gehe der Trend zur Singlewohnung. Die Interessenten waren jedoch meist junge Familien oder Paare, die drei Zimmer oder mehr suchen.

Bis 2026 will die Degewo um 22 000 Wohnungen wachsen. Dafür möchte das Wohnungsunternehmen vor allem seine vorhandenen Grundstücke nutzen und nur ausnahmsweise dazukaufen. „Denn hohe Grundstückskosten bedeuten höhere Mieten“, sagt Jacqueline Brüschke.

Weitere Kandidaten für den Architekturpreis Berlin 2016 finden Sie hier.

STIMMEN SIE AB!

Der Architekturpreis Berlin 2016 prämiert Bauten, die kürzlich in Berlin fertiggestellt wurden. Der Preis ist deshalb eine Leistungsschau des guten Bauens. In Kooperation mit dem Verein „Architekturpreis Berlin“ präsentiert der Tagesspiegel in einer Serie zahlreiche Bewerbungen. Wir zeigen, welche architektonische Vielfalt möglich ist und was Bauherren mit Anspruch leisten können.

Sie sind gefragt – bei der Vergabe des Publikumspreises. Unter www.tagesspiegel.de/Architekturpreis können Sie sich in der interaktiven Landkarte bei jedem Projekt einklicken und dann alle Bewerbungen mit weiteren Informationen und Fotos anschauen. Abstimmen können Sie bis 16. Mai. Eine Anmeldung ist nur für die Stimmabgabe nötig.

Jana Scholz

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