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Andreas Hein, Ranger bei der Naturwacht Brandenburg, steht mit Schutzbekleidung im deutsch-polnischen Grenzfluss Westoder, nahe dem Abzweig vom Hauptfluss Oder und holt mit einem Kescher tote Fische aus dem Wasser.

© picture alliance/dpa / Patrick Pleul / dpa

„Der Fluss braucht nicht nur Genesungswünsche“: Deutsch-Polnisches Abkommen zum Oder-Ausbau muss neu verhandelt werden

Michael Kellner und Hannah Neumann (Grüne) fordern, schädliche Einflüsse auf den Fluss zu minimieren. Das Ökosystem müsse sich jetzt erholen. Ein Gastbeitrag.

Von
  • Michael Kellner
  • Hannah Neumann

Die Oder hat durch das Fischsterben diesen Sommer einen immensen Schaden erlitten. Zur Aufklärung der Umweltkatastrophe wurde eine deutsch-polnische Expertengruppe einberufen. Diese sollte am Freitag eigentlich ihre gemeinsamen Ergebnisse präsentieren.

Uneinigkeiten haben dazu geführt, dass es nun zwei einzelne Berichte gibt. Doch allen Streitigkeiten über die Ursachen der Umweltkatastrophe zum Trotz braucht es nun vor allem eins: Konkrete Schritte, damit so etwas nicht noch einmal passiert.

Wäre die Oder eine Patientin in einem Krankenhaus, man würde ihr jetzt viel Ruhe verschreiben. Denn die Oder hat Schweres durchgemacht. Diesen August haben Menschen über 300 Tonnen toter Fische, Schnecken und Muscheln aus der Oder gefischt, oftmals ehrenamtlich.

Sie standen stundenlang im Schlick, mussten Geruch und Anblick der Kadaver ertragen. Verendete Tiere fehlen nun in der Nahrungskette, das natürliche Reinigungssystem ist aus dem Gleichgewicht, weil zu viele Muscheln gestorben sind. Das Ökosystem Oder ist für Jahre geschädigt.

Diese Katastrophe war menschengemacht

Die Gründe für die Umweltzerstörung sind vielfältig. Der Fluss ist ohnehin schon wegen hoher chemikalischer Einleitungen strapaziert. Diesen Sommer kamen große Mengen stark salzhaltigen Wassers hinzu. Dadurch konnte sich eine Brackwasseralge explosionsartig vermehren.

Ihre Blüte wiederum hat ein Gift ausgeschüttet, das für Fische, Muscheln und Schnecken tödlich ist. Hitze, Aufstauung und ein geringer Durchfluss haben die Folgen dieses Umweltverbrechens noch verstärkt. Klar ist also: Diese Katastrophe war menschengemacht. Das heißt, Menschen müssen jetzt auch handeln, damit so etwas nicht noch einmal vorkommt.

Der Verlauf der Oder von Polen nach Deutschland.
Der Verlauf der Oder von Polen nach Deutschland.

© AFP / Nadine Ehrenberg/AFP

Was heißt das konkret? Erstens, weniger Chemie im Fluss. Industrielle Einleitungsquoten in die Oder müssen drastisch gesenkt werden. Die Einhaltung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie sollte endlich oberste Priorität haben. Diese verbietet Maßnahmen, die den ökologischen Zustand von Fließgewässern verschlechtern.

Wir brauchen ein gemeinsames grenzüberschreitendes Monitoring für Verunreinigungen, inklusive Warnsystem, wenn problematische Verschmutzungen festgestellt werden. Nur so können wir rechtzeitig einschreiten, bevor der Fluss kippt und wieder Fische sterben. Zweitens, Zeit zur Regeneration. Zusätzlichen Stress kann die Oder jetzt am allerwenigsten gebrauchen.

Oder-Ausbau macht weder ökonomisch noch ökologisch Sinn

Doch solchen Stress verursachen die Ausbaumaßnahmen auf der polnischen Seite der Grenzoder. Sie gehen auf ein Abkommen zum Hochwasserschutz zurück, das 2015 zwischen der CDU/CSU-geführten Bundesregierung und Polen geschlossen wurde. Für Hochwasserschutzmaßnahmen erhält Polen Fördermittel von der Weltbank, dem EU-Kohäsionsfonds und der Entwicklungsbank des Europarats.

Doch was als Instandhaltungsmaßnahmen bereits existierender Buhnen zur Ermöglichung von Eisbrechereinsätzen angekündigt war, entpuppt sich gerade als großflächiger Ausbau und massiver Eingriff in das Ökosystem. Der Ausbau macht heute weder ökonomisch noch ökologisch Sinn; die Oder ist im Sommer kaum noch schiffbar und die Katastrophe hat das Ökosystem enorm geschädigt.

Aus der Oder wird kein Rhein und auch die PiS-Regierung kann es nicht regnen lassen.

Michael Kellner und Hannah Neumann (Grüne)

Hinzu kommt, dass der Ausbau nach einer von der grünen Europafraktion veranlassten juristischen Prüfung nicht mit diversen europäischen Umwelt-Richtlinien vereinbar ist. Aktuelle Pläne der polnischen Regierung gehen sogar noch weiter; sie zielen darauf ab, neue Staustufen in der Oder zu bauen.

So soll aus einem der letzten freifließenden Flüsse Europas eine Wasserautobahn werden. Projektförderung mit europäischen Geldern gegen europäische Regeln? Die Europäische Kommission sollte dringend überprüfen, wohin die Fördermittel fließen.

Die Oder ächzt und leidet still weiter vor sich hin. Die Vertiefung der Oder wäre verheerend, nicht nur für Deutschlands einzigen Auennationalpark „Unteres Odertal“ im Osten Brandenburgs. Angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise mit extremen Niedrigwassern und Hitzeperioden ist ein weiterer Ausbau der Oder für die Schifffahrt nicht mehr zeitgemäß. Aus der Oder wird kein Rhein und auch die PiS-Regierung kann es zukünftig nicht regnen lassen.

Unser Ziel muss es jetzt sein, dass sich das Ökosystem des Flusses nach der Umweltkatastrophe erholen kann und schädliche Einflüsse minimiert werden. Schuldzuweisungen helfen dabei nicht. Wir müssen stattdessen die Gespräche mit der polnischen Seite fortführen – über die Ursachen des Fischsterbens und über Fragen der weiteren Nutzung und des Ausbaus.

Dazu gehört, das Deutsch-Polnische Abkommen von 2015 zum Oder-Ausbau neu zu verhandeln. Unter den Bedingungen der Klimakrise muss sich die Schifffahrt den Flüssen anpassen und nicht umgekehrt. Die Oder braucht nicht nur Genesungswünsche, wenn sie wieder gesund werden soll. Sie braucht auch die richtige Behandlung. Dafür tragen wir gemeinsam Verantwortung.

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