Berlin: Der ganz große Gelbe kommt jetzt aus Berlin
BVG montiert den modernsten und zwei Meter längeren Doppeldecker in Lichtenberg. 180 Exemplare sollen bis Ende 2007 rollen
Bei der feierlichen Stadtrundfahrt am nächsten Donnerstag werden die Fahrgäste die Augen offen halten und die Ohren spitzen. Aber nicht nur wegen Sehenswürdigkeiten und Erklärungen, sondern wegen des Busses: Sitzen alle Haltestangen perfekt? Vibrieren auch keine Verkleidungen? Sind die Bohrlöcher fürs Treppengeländer sauber entgratet? Darauf werden die Passagiere achten, denn der Bus ist ihr Werk: Der erste von 180 neuen Doppeldeckern, die die BVG-Leute bis Ende 2007 selbst montieren. Langfristig soll die ganze Flotte der 400 Doppeldecker aus den Baujahren 1990 bis 1996 ersetzt werden. Die 20 Neuen, die schon in der Stadt erprobt werden (17 fahren als 100er und drei als 148er), wurden noch in Bayern endmontiert. Jetzt fährt die BVG die Busse nicht mehr nur, sondern baut sie auch selbst. So beschäftigt sie insgesamt 30 Mitarbeiter, die sonst nicht mehr gebraucht würden. Gestern wurde der erste Eigenbau vom Tüv begutachtet. Am Donnerstag soll er seine Schöpfer durch die Stadt fahren. „Bei so einer Premiere soll natürlich alles zu 110 Prozent stimmen“, sagen die Verantwortlichen.
Seit Mitte Dezember werden jede Woche zwei Rohlinge vom Hersteller Neoman aus dem sächsischen Plauen auf den Betriebshof Lichtenberg in der Siegfriedstraße gefahren. Außen sehen sie schon aus wie Berliner Doppeldecker, innen aber sind sie kahl wie Ausbauhäuser. Knapp 5000 Teile bauen die BVG-Leute ein, 1000 davon sind „Schüttgut“, also Schrauben, Schellen & Co. Die Kisten mit den Kleinteilen liegen in großen Metallregalen in der nur mäßig beleuchteten Werkhalle, in der es nach Öl und neuem Plastik riecht. Zwischen den Bussen stehen Paletten voller Sitze, Verkleidungsplatten und gelber Haltestangen – 250 Meter pro Bus, und fast jede ist anders gebogen. Das ist teilweise konstruktionsbedingt, aber gelegentlich liegt es auch daran, dass Busse nicht vom Fließband rollen, sondern in Handarbeit entstehen. Mehr als 2000 Arbeitsstunden stecken in jedem Exemplar, 500 davon werden in Lichtenberg geleistet. Die großen Teile werden durch eine noch fehlende Scheibe ins Oberdeck gefädelt, damit die Monteure nicht jeden Sitz die Wendeltreppe hoch tragen müssen. Schlosser, Tischler, Elektriker und Fahrzeugmechaniker wurden in Bayern geschult, damit sie das Schüttgut in Berlin so verbauen können, dass daraus im Alltagsbetrieb kein Klappergut wird. „Mindestens zwölf Jahre sollen die Busse halten – bei 70 000 bis 75 000 Kilometern Fahrleistung im Jahr“, sagt Abteilungsleiter Andreas Balling. Die Doppeldecker sind eine Sonderanfertigung für Berlin. Mit 13,73 Metern sind sie knapp zwei Meter länger als die alten, aber die Höhe von 4,06 Metern musste unverändert bleiben, weil sie sonst zu hoch für viele Brücken wären.
Neu sind auch Klimaanlage, Videoüberwachung und eine Kamera über der vorderen Tür, die dem Fahrer den Bereich neben dem Bus zeigt, sobald er rechts blinkt. Beim Abbiegen kann das für Radler und Fußgänger lebensrettend sein. Die rußgefilterten 310-PS-Motoren erfüllen die aktuelle Abgasnorm, und an Haltestellen senkt sich der ganze Bus um drei Zentimeter ab. Sogar einen Sitz für Kleinwüchsige und eine Liegefläche für Blindenhunde schreibt die EU vor. Bald werden die BVG-Leute wissen, ob sie alles richtig gemacht haben.
Die 1300 BVG-Busse sind auf sechs Betriebshöfen stationiert. In der Lichtenberger Siegfriedstraße werden Unfallwagen repariert und neue Busse gebaut – bisher aber nur Sightseeing- Busse und Sonderanfertigungen. Ein Teil der Werkstatt wurde im Dezember zur Fabrik samt Materiallager umgebaut: Kleinteile werden in Regalen aufbewahrt, die großen werden per Lkw für jeden Bus einzeln geliefert. obs