Berlin: Die Grafikerin Ruth Mossner kann sich keinen besseren Wohnort als den Szene-Kiez vorstellen
Der Hut ist schwarz und hat einen echten Sowjetstern als Kokarde. Ruth Mossner dreht den Hut nachdenklich hin und her und beschließt, ihn jetzt doch nicht aufzusetzen.
Der Hut ist schwarz und hat einen echten Sowjetstern als Kokarde. Ruth Mossner dreht den Hut nachdenklich hin und her und beschließt, ihn jetzt doch nicht aufzusetzen. Aus der Küchenecke ertönt ein leises Niesen. Das ist der Kater Moritz, mit dem Frau Mossner seit langem die Wohnung teilt. Moritz hat sich erkältet, er rollt sich im wärmenden Lichtkegel einer Lampe zusammen und schließt mit einem herzerweichenden Seufzer die Augen.
Mit Ruth und Moritz wohnt Mossners Sohn Max in der dreistöckigen Atelierwohnung in der Dänenstraße in Prenzlauer Berg. Die Wohnung ist wie ein Haus, immer kommt irgendwo noch ein Zimmer. Max ist 15 Jahre alt. Seine Mutter hält ihn für einen kühlen Rechner und würde es gern sehen, wenn er später Banker wird. Denn Max hat nach Ansicht seiner Mutter mit Romantik rein gar nichts im Sinn. Bei Ruth Mossner ist das anders: Sie ist eine Zauberin, die ihr Geld mit dem Illustrieren von Büchern verdient. 60 Prosabände für Kinder und Erwachsene stehen im Regal. 50 Bücher wurden zu DDR-Zeiten gedruckt, zehn nach dem Mauerfall.
Ruth Mossner ist eine echte Berlinerin. "Ich könnte in keiner anderen Stadt leben", sagt die Künstlerin, die "damals" im Paulinenhaus in Charlottenburg geboren wurde. Dabei stört sie bis heute manches an Berlin: Der Krach, der Gestank, die "vulgären Menschen, deren Existenz bisweilen an Körper- und Seelenverletzung grenzt". Von 1969 bis 1974 studierte sie an der Kunsthochschule Weißensee. Den Weg von ihrer Wohnung in der Pappelallee in Prenzlauer Berg zur Hochschule im Nachbarbezirk Weißensee legte sie gern zu Fuß zurück. Warum lebt sie ausgerechnet im Szene-Bezirk Prenzlauer Berg? "Das hat mit der Familiengeschichte zu tun. Meine Eltern sind 1965 aus der Karl-Marx-Allee hierher gezogen, weil meine Mutter keine Lust mehr hatte, an den Feiertagen die DDR-Fahne aus dem Fenster zu hängen", sagt Frau Mossner. Prenzlauer Berg sei schon damals freier gewesen als der Rest der Republik. Aber nicht frei genug. 1967 verließen die Eltern die DDR in Richtung Bayern, weil es Vater Mossner in den engen Verhältnissen einfach nicht mehr aushielt. Ruth blieb in Berlin, studierte und entdeckte die Reize des Lebens. Als sie 19 Jahre alt war, verlobte sie sich mit dem Schriftsteller Benito Wogatzki, heiratete ihn aber nicht. 1982 hatte sie eine kurze, doch gleichwohl heftige Affäre mit Klaus Bölling, der zu dieser Zeit die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR leitete. Nach ein paar Wochen war Schluss. Bölling räumte sein Büro in der Hannoverschen Straße in Mitte, um als Regierungssprecher nach Bonn zurückzugehen. "Ich hatte immer berühmte Freunde, weil die Grips hatten. Bei anderen hätte ich mich nicht wohl gefühlt", sagt Ruth Mossner und zündet sich eine neue Zigarette an. "Ich lese jeden Tag die Zeitung, weil mich Politik interessiert", sagt sie. Auch die Kommunalpolitik? Kennt sie "ihren" Bezirksbürgermeister? "Ich glaube, der heißt Kraetzer, in der Zeitung schreiben sie, dass er so kulturinteressiert ist", sagt die Illustratorin, die dem Chef des Rathauses an der Fröbelstraße bislang aber nie begegnet ist. Die Bürgermeister von Pankow und Weißensee kennt sie nicht. Was ändert sich, wenn Pankow, Prenzlauer Berg und Weißensee ab 2001 von einem Rathaus aus verwaltet werden ? "Nicht viel, die sparen zwei Bürgermeister und ein paar Stadträte", sagt Frau Mossner energisch und zieht ihr schwarzes Gewand glatt. Trotzdem findet sie die Wahlen am kommenden Sonntag spannend. Natürlich will sie hingehen, keine Frage. Aber diesmal als Protestwählerin: Die Künstlerin ist "nämlich schwer genervt von der verdammten SPD". Darum will sie PDS wählen, "aus taktischen Gründen, damit die SPD wieder aufwacht".
Michael Brunner