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„Mit der Geburt kamen die Muttergefühle“: Seit acht Jahren mit den Kindern zu Hause – wie ein Vollzeit-Vater den Alltag meistert
Jonas Lietz und seine Partnerin haben das ungewöhnlichste aller Familienmodelle gewählt: Sie ist in Vollzeit erwerbstätig, er gar nicht. Seine Aufgaben: die vier Kinder und der Haushalt.
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Da ist er Hunderte Kilometer gefahren und hat seine Frau – ausnahmsweise – mit den vier Kindern allein gelassen und nun das: Wieder einmal sitzen fast nur Mütter um ihn herum, so wie sonst täglich auf dem Spielplatz. „Ich bin seit acht Jahren Vollzeitpapa und sehne mich nach anderen Vätern“, sagt Jonas Lietz in die Runde. Eigentlich hätte es gute Chancen dafür gegeben, hier und jetzt mehr Männer zu treffen als sonst auf dem Spielplatz, schließlich sitzt Lietz an einem Dienstagvormittag in einem Workshop mit dem Titel „Väter neu entdecken – mehr Augenhöhe im bedürfnisorientierten Elternsein“. Und doch gibt es außer ihm und Workshopleiter Carsten Vonnoh nur zwei weitere Männer in der Runde im „Palais am See“ in Berlin-Tegel. Dazu ein Dutzend Frauen.
Es ist ein strahlend schöner Tag, draußen glitzert der Tegeler See in der Sonne, drinnen ist es eher dunkel. Hier findet der „Fachtag zur gewaltfreien Kindheit“ statt, der vor allem für pädagogisches Personal, aber auch für Eltern gedacht ist. Den ganzen Tag stehen Workshops auf dem Programm, meist geht es um Bindung und den richtigen Umgang mit Kindern. Gekommen sind – wieder einmal – hauptsächlich Frauen.
Der Väter-Workshop hat den wohl ungünstigsten Platz zugeteilt bekommen, direkt neben der Garderobe. Während Leute ihre Jacken abgeben, spricht der Elterncoach und Autor des Väter-Ratgebers „Up to Dad“, Carsten Vonnoh, davon, dass viele Väter von heute selbst mit gewaltvollen Vätern aufgewachsen seien. „Wir haben als Jungs gelernt, dass unsere Gefühle keinen Platz haben.“ Das führe dazu, dass viele Männer Probleme hätten, ihre Rolle in der Familie zu finden, wenn sie ein Kind bekämen. „Sie werden dann zurückgeworfen in die Verletztheit der Kindheit.“ Auch ihm sei das so gegangen nach der Geburt seiner Tochter. „Das war innerlich ein Riesenkampf, ich hatte den Impuls abzuhauen, aber ich bin drangeblieben.“
So hatte er sein Leben eigentlich nicht geplant
Bei Jonas Lietz war das anders. Das erzählt er nach dem Workshop auf einer Bank am See, mit Blick auf Männer, die mit E-Foiling-Surfbrettern übers Wasser sausen. Er trägt die Haare im Manbun mit herausgewachsenem Undercut.

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Essen machen, Pflaster kleben, trösten, basteln, spielen, über Gefühle sprechen, wieder Essen machen. Und das alles für vier Kinder zwischen zwei und acht Jahren, davon ein Zwillingspärchen: So sieht Jonas Lietz’ Alltag aus. Einer Arbeit, die bezahlt wird, geht er zurzeit nicht nach. Zu tun hat er aber genug. Dass die Kinder einmal seine Hauptaufgabe sein würden, hatte er eigentlich nie geplant. Bevor sein erstes Kind auf die Welt kam, habe er noch gedacht, es werde zeitnah in die Krippe gehen. „Mit der Geburt kamen aber die ganzen Muttergefühle“, sagt er, er habe viel geweint. Muttergefühle, bei ihm? Nicht Vatergefühle? Ja, ganz genau, bestätigt er.
Seine Frau schickte ihm witzige Reels und Posts über bedürfnisorientierte Elternschaft, über den Umgang mit den Gefühlen der Kinder und den eigenen. Er las Bücher von Jesper Juul. Eine Betreuung durch Fremde, in einer Krippe mit schlechtem Personalschlüssel, das kam auf einmal für beide nicht mehr infrage. Wer auf den Gedanken kam, dass er zu Hause bleiben sollte, weiß er heute nicht mehr genau.
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Die Kinder in die Krippe zu geben, „wäre aber auch in finanzieller Hinsicht totaler Schwachsinn gewesen“, sagt er. Denn ein Krippenplatz in Niedersachsen koste etwa 900 Euro, etwas weniger, als er in Teilzeit als Krankenpfleger verdienen würde. Außerdem habe sein Chef ihm damals signalisiert, dass er nicht mit familienfreundlichen Arbeitszeiten rechnen könne. Auch Nachtschichten hätte er weiter übernehmen müssen. Dass seine Frau weiter Vollzeit arbeiten würde, sei eigentlich gesetzt gewesen: „Sie verdient als Ärztin das Doppelte.“

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Die beiden haben damit das für Deutschland ungewöhnlichste aller Familienmodelle gewählt. Nur in wenigen Fällen führe die Geburt des ersten Kindes zu Veränderungen im Erwerbsverhalten der Väter, heißt es im Väter-Report 2023 des Familienministeriums. In etwa drei Viertel der Familien arbeitet der Vater in Vollzeit, die Mutter in Teilzeit. In nur zwei Prozent aller Familien, in denen beide Elternteile einer Erwerbsarbeit nachgehen, ist der Vater in Teilzeit und die Mutter in Vollzeit. Beim Alleinverdienermodell, bei dem nur ein Elternteil arbeitet, ist dies in aller Regel der Vater. Dieses Modell leben 26 Prozent der Familien in Deutschland.
Die Ausnahme unter den Vätern in Bezug auf Carearbeit
Sieht man sich nur die größeren Familien mit mindestens drei Kindern an, wird es noch traditioneller: Nur knapp 39 Prozent dieser Mütter gehen laut Statistischem Bundesamt einer Erwerbsarbeit nach, aber rund 82 Prozent dieser Väter. Nur 18 Prozent der Väter von solchen größeren Familien sind also zu Hause wie Jonas Lietz. Wie viele von ihnen einen so großen Teil der Carearbeit wie er übernehmen, während die Mutter in Vollzeit arbeitet, lässt sich nicht herausfinden. Insgesamt waren 2022 rund 20 Prozent aller Mütter in Vollzeit tätig.
Es ist sau-anstrengend.
Jonas Lietz, Vollzeitvater, über den Alltag mit vier Kindern
Dass Jonas Lietz in Bezug auf die Carearbeit wirklich eine Ausnahme unter den Vätern darstellt, lässt sich aus folgender Passage des Väterreports entnehmen: „Da sich an der ungleichen Aufteilung der Kinderbetreuung jedoch nur wenig ändert, übernehmen Mütter bei zunehmender Erwerbstätigkeit zusätzlich den größeren Anteil der Kinderbetreuung, was zu einer Doppelbelastung führt. So berichten etwa 73 Prozent der in Vollzeit oder längerer Teilzeit berufstätigen Mütter über häufigen Stress, im Vergleich zu 55 Prozent der Männer. Mehr als die Hälfte übernehmen mehr als die Hälfte der Betreuungsaufgaben und wünschen sich mehr Beteiligung des Partners.“

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Jonas Lietz ist zufrieden mit der Aufteilung und seinem Alltag. Und doch sagt er: „Es ist sau-anstrengend.“ Die beiden jüngeren Kinder gehen nicht in die Kita, die beiden älteren in eine ziemlich weit entfernte Schule. Jeden Tag ist er lange mit dem Auto mit allen vier Kindern unterwegs. „Das schlimmste sind die Brotdosen morgens.“ Auch Basteln mit den Kindern gehört für ihn dazu: „Nicht gern, aber ich tu’s.“
Puppenkleider anziehen dagegen findet er gar nicht so schlimm, wie er früher dachte „Unsere älteren Kinder ließen Puppen kalt, das vierte Kind spielt nun gerade unglaublich gern damit und ich muss dauernd mitmachen. Das musste ich erst mal lernen, und das war jetzt das i-Tüpfelchen, das mir als Vater noch gefehlt hat.“
Sich mit der eigenen Kindheit auseinandersetzen
Gegen Nachmittag werde es ihm manchmal etwas viel, sagt Lietz. Seine Frau schaffe es allerdings meist, ihre Schichten so zu legen, dass sie nachmittags relativ früh nach Hause kommt. „Dann übergebe ich ihr die Kinder direkt und gehe meist zum Sport.“ Das zahlt sich aus: Der Stoff seines rosa Hemdes mit dem Kaffeefleck neben der Knopfleiste spannt ein bisschen über den ausgeprägten Oberarmmuskeln. „Wenn ich keine Auszeit bekomme, merke ich, dass ich irgendwann nicht mehr so friedlich mit den Kindern umgehen kann, wie ich das will.“
Lietz mag seinen Alltag, doch es gibt auch Raum für Verbesserung: „Ich vermisse die Wertschätzung von anderen Menschen als meiner Frau. Und andere Eltern, die so denken wie ich.“ Er meint damit Mütter und Väter, denen eine friedvolle Elternschaft wichtig ist, die ihre Kinder nicht unter Druck setzen, sie nicht bestrafen. Er hat sogar ein Coaching zum Thema besucht und eine Therapie gemacht, um die Baustellen aus der eigenen, alles andere als friedvollen Kindheit aufzuarbeiten.
Sich mit der eigenen Kindheit auseinandersetzen, das ist etwas, das viele Väter nötig haben. Ratgeber-Autor und Coach Carsten Vonnoh hatte im Workshop ebenfalls davon gesprochen: „Es muss aber nicht unbedingt Therapie sein.“ Eine Aufgabe für die Teilnehmenden war es heute, vier Fragen über die Beziehung zum eigenen Vater zu beantworten: Wie habe ich ihn erlebt? Was übernehme ich von ihm? Was mache ich anders? Und: Wofür kann ich ihm dankbar sein?
Er selbst habe große Angst vor seinem Vater gehabt, sagt Vonnoh. Deshalb sei einer der schönsten Momente in seinem Vater-Dasein der gewesen, als sein Kind zu ihm sagte: „Papa, ich hab’ keine Angst vor dir!“ Am Ende des Workshops appelliert er an die Kita-Erzieherinnen in der Runde: Man müsse den Vätern einen roten Teppich auslegen, damit sie sich mehr beteiligen und Verantwortung übernehmen.
Jonas Lietz hat keinen roten Teppich gebraucht.
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