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Berlin: Die Hingucker

Viele schauen über die Neonazis in Hohenschönhausen hinweg. Mario Gartner nicht. Er mobilisiert die Bürger

Von Thomas Loy

Mario Gartner sagt seinen Namen. Und er zeigt sein Gesicht. Das klingt banal, hat aber Methode. Mario Gartner will Bürger bewegen, ihre Meinung zu sagen, öffentlich, so dass andere Mut fassen, es auch zu tun. Klingt wieder banal, ist es aber nicht. Nicht in Hohenschönhausen. „Es ist schwierig, hier Leute zu finden, die sich engagieren", sagt Gartner, gelernter Kraftfahrer, 44 Jahre alt. Besonders schwierig ist es, Leute gegen den rechtsradikalen Mob zu mobilisieren. Die Tendenz ist eher wegzuschauen. Nazis? Noch nie gesehen.

Gartner hat mit einigen Bekannten die „Unabhängige Anlaufstelle für BürgerInnen (UAB)“ gegründet. Das war vor fünf Jahren, als NPD-Anhänger in großer Zahl durch Hohenschönhausen marschierten. Die UAB hat sich bewusst einen neutralen, fast biederen Namen gegeben, um den „Normalbürger“ nicht abzuschrecken. Den durchschnittlichen Hohenschönhausener, der sich nicht sonderlich für Politik interessiert und schon gar nicht ins Netzwerk linker, antifaschistischer Gruppierungen verstrickt werden möchte - den wollen sie erreichen. Die Bilanz ist bislang bescheiden. Acht bis zehn Leute machen mit, sagt Gartner. Immerhin. Zum Gründungsaufruf 1998 waren mehr als 100 gekommen, „alle geschickt von ihren Vereinen“. Beim Gründungsfest waren es noch 20, weniger als die rechten Jugendlichen, die mal den neuen Gegner beschnuppern wollten.

Gartner saß mal für die Bündnisgrünen in der BVV Lichtenberg. 2001 trat er wegen der rot-grünen Kriegspolitik aus und machte als „Bürger“ weiter. Die Rechten würden ihn kennen, sagt er. Einige wohnen sogar bei ihm um die Ecke. Angst hat er nicht. Manchmal hat er sogar das Gefühl, die Rechten hätten Angst vor ihm – eben weil er nicht auf ihr dumpfes Drohszenario reagiert. Sich mit den Rechten irgendwie zu arrangieren, gehört in Hohenschönhausen nämlich fast schon zum kollektiven Handlungsreflex. Es gibt so genannte „Angst-Räume“, sagt Gartner. No-go-Areas für Menschen, die anders aussehen oder sich auffällig kleiden.

Durch gezielte Befragungen hat die UAB eine Art Angst-Karte für Hohenschönhausen entworfen. Die kann im Internet unter www.kiezraeume.info eingesehen werden. Einer dieser Angst-Räume ist der Prerower Platz hinter dem Einkaufszentrum Linden-Center. Auf die Präsenz rechter Jugendlicher hat sich die Geschäftswelt bereits eingestellt: Es gibt zwei Läden, die Rechtsradikalen beliebte Kleiderlabel anbieten, eine Kneipe, die germanisches Brauchtum pflegt, und einen Kiosk mit rechten Gazetten.

Die UAB versucht dagegenzuhalten. Im September wurde für die Skater und Sprayer, die am Linden-Center quasi das linke Fähnchen hochzuhalten versuchen, ein Hiphop-Event veranstaltet. Höhepunkt war die Premiere des selbst gedrehten Videos „Episoden aus Hohenschönhausen“. Darin erzählen Einwanderer und linke Jugendliche von ihren (Gewalt)-Erfahrungen mit den Rechten. Die Neonazi-Cliquen empfanden das als Provokation und reagierten darauf mit noch mehr Gewalt. Ein 14-jähriger Punk wurde auf einem Hinterhof-Spielplatz zusammengeschlagen. Aus den umliegenden Plattenbauten kam nach Aussage von Gartner keine Hilfe. Man schaut eben weg. Dabei ist Hohenschönhausen eigentlich „links“ - mit einer klaren PDS-Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung.

Zumindest das Bezirksamt will nicht wegschauen. Es gibt eine Rechtsradikalismus-Beauftragte und einen „Lokalen Aktionsplan für Toleranz und Demokratie“. Da steht drin, was Schulen und Behörden machen können, um das Vordringen rechtsradikaler Ideologie einzudämmen. Darüber werde jetzt beraten und im nächsten Jahr werde was beschlossen, heißt es. Geplant ist auch ein alternatives Jugendzentrum für das Hochhausviertel. Gartner weiß allerdings, dass es solche Pläne schwer haben. Die UAB hatte mal vorgeschlagen, ein Wagendorf zwischen den Plattentürmen anzusiedeln. Da bildeten sich sofort Anti-Wagendorf-Koalitionen und verbreiteten Angst vor Drogen, lauter Musik und was sonst noch zu befürchten ist, wenn Bauwagenbewohner anrücken. Gegen die Rechten gab es keine derartigen Koalitionen.

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