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Berlin: Die Kirche in Nachbars Garten

Ein Rentner aus Blankenburg baute sich ein eigenes Gotteshaus. Die Ausstattung ersteigerte er im Internet.

Berlin - Grabsteine und mehr als hundert Skulpturen stehen in Roland Jacobs Garten im Pankower Ortsteil Blankenburg. Doch nicht nur das: Der 73-Jährige hat hinter Farnen und Zierpflanzen auch eine Kirche gebaut. Zehn Jahre brauchte er, um sein 25 Quadratmeter großes, hölzernes Garten- in ein Gotteshaus umzubauen. Nun steht er vor seinem fertigen „Kirchlein zum guten Hirten“ und zeigt auf eine bronzene Skulptur, einen Hirten mit Stock und Hut, der der Kirche ihren Namen gegeben hat.

Jacob hat die Figur bei Ebay ersteigert, wie fast alle Gegenstände: Die zwölf restaurierten bunten Bleiglasfenster, die auch Maria und Josef zeigen, den aus einem Holzstück geschnitzten Christus mit nach oben gestreckten Armen, der über dem Altar hängt, die goldverzierte Kirchenbank. Auch das Glockenspiel, das an einem Baum hängt, hat er aus dem Internet. Morgens um neun erklingt „Die güldne Sonne“, mittags um eins „Großer Gott, wir loben dich“ und abends um sieben „Weißt du, wie viel Sternlein stehen“. Etwa 70 000 Euro hat Jacob nach eigenen Angaben in sein „Kirchlein“ gesteckt, über andere Bezeichnungen ärgert er sich: „Es ist keine Kapelle, das klingt nach Krankenhaus oder Friedhof“, sagt er. „Es ist auch keine Laube, hier stehen doch keine Gartenzwerge!“

Neben dem Kirchlein steht Jacobs Tischlerei. Beim Bauen von Möbeln und Häusern konnte der Pensionär schon abschalten, als er noch Chefarzt am Klinikum Buch war und täglich Krebskranke beim Sterben begleitete. Er hat eine Werkstatt für den Kräutergarten seiner Frau und einen Wintergarten für ihr gemeinsames Haus gebaut. Die Idee, eine eigene Kirche zu bauen, hatte Jacob 2002 bei einem Urlaub in Ecuador: „Dort hatte ein deutscher Aussteiger eine Hotelanlage gebaut, mit einer eigenen Kirche aus Tropenholz“, erzählt er. „Als ich da drinnen saß und die Affen zum Fenster reinguckten, war ich fasziniert und dachte: So eine Kirche baust du dir auch.“

1940 im sächsischen Vogtland geboren, wuchs Jacob in einer strenggläubigen Familie auf. Zu DDR-Zeiten engagierte er sich in der theologisch konservativen Landeskirchlichen Gemeinschaft, war Vorsitzender des sächsischen Landesjugendkonvents. Doch die „offizielle Kirche“ wurde ihm zunehmend fremd, „weil der Bischof bei uns auf die DDR-Regierung schimpfte“, dann aber mit seinem Mercedes zu Honecker gefahren sei und mit ihm Wein getrunken habe, erzählt er. In der Wendezeit ist er aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Er habe sich darüber geärgert, dass sich viele Pfarrer „plötzlich als Regimegegner aufspielten, obwohl sie vorher angepasst waren“. Als Selbstgerechtigkeit empfindet er das, und es stört ihn bis heute.

Viele evangelische Gemeinden würden eher Wert darauf legen, eine „geschlossene Gemeinschaft der Erlösten“ zu sein, als nach außen zu wirken, kritisiert er. Sein Kirchlein dagegen sei ökumenisch und auch offen für Konfessionslose, sagt Jacob. Mit ihnen möchte er über Philosophie und Glaubensfragen diskutieren: „Ich wollte hier einen Ort schaffen, wo sich Leute treffen können, die wie ich gewisse Probleme mit der Firma Kirche haben, die aber eine christliche Weltanschauung haben und eine innere Verbindung zur Kirche halten wollen.“ Mittlerweile kommen einmal pro Woche Besucher vorbei: „Das sind Freaks, die sich für Kirche und Kunst interessieren, nicht solche Lieschen-Müller-Typen.“

Ursprünglich hatte Jacob die Kirche nur für sich gebaut, „um hier zu sitzen und über Gott und die Welt nachzudenken“. Jeden Tag geht er nun an seinem Konfirmationsspruch vorbei, „Gott ist getreu“, der in großen Lettern über dem Eingang steht und ihm schon über viele Schicksalsschläge hinweggeholfen hat, und setzt sich auf seinen Lieblingsplatz am Altar. Er freut sich über das hereinfallende Tageslicht, das mal das Gesicht einer Fensterfigur, mal ihr rotes Gewand beleuchtet. „Draußen zwitschern die Vögel, aber wenn ich in das Kirchlein hereingehe und die Tür hinter mir zumache, spüre ich eine feierliche Ruhe“, sagt er. Dieses Innehalten habe dazu beigetragen, dass ihm bewusst geworden sei, dass ihm „die Gemeinschaft und das Abendmahl fehlt“, erzählt er. Vor einigen Wochen ist er deshalb wieder in die evangelische Kirche eingetreten. Mit der benachbarten Kirchengemeinde arbeitet er schon länger zusammen. Anfangs hätten sie ihn für einen Scientologen gehalten, sagt er. Jetzt organisieren sie zusammen Lesungen und Konzerte in seiner Kirche.

Martin Donath

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