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Luxemburg

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Rosa Luxemburg: Die Leiche im Keller bleibt namenlos

Die Theorie, dass die tote Rosa Luxemburg in der Charité gefunden wurde, hat sich nicht erhärten lassen. Fand Michael Tsokos nun die Tote - oder macht er nur Werbung für sich selbst?

Berlin - Am Sonntag werden sich wieder Zehntausende auf den Weg nach Alt-Friedrichsfelde machen, um eine rote Nelke auf den Grabsteinen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht niederzulegen. Auch der Fund der angeblichen Leiche Luxemburgs im Keller der Charité vom Mai wird daran nichts ändern.

Ende Mai 2009 hatte der Leiter der Berliner Rechtsmedizin, Michael Tsokos, die Öffentlichkeit mit einer mumifizierten Wasserleiche ohne Kopf und ohne Hände und Füße überrascht, bei der es sich höchstwahrscheinlich um den Leichnam Rosa Luxemburgs handele: Im Juni 1919 sei eine andere Wasserleiche obduziert, fälschlicherweise als Luxemburg identifiziert und bestattet worden. Trotz vielfältiger Bemühungen ist es Tsokos in den vergangenen Monaten nicht gelungen, einen Beweis für seine Behauptung zu erbringen. Es fanden sich weder eine verwertbare DNA-Spur Luxemburgs noch Verwandte, die genetisch eng genug mit der Ermordeten verwandt sind. So wird die Leiche aus dem Keller demnächst als unbekannte Tote ihre letzte Ruhe finden.

Vehement war Tsokos gegen das Obduktionsprotokoll seiner Vorgänger, der Professoren Strassmann und Fraenckel, vorgegangen: „Eins ist klar: Damals ist eine Leiche genommen worden und mit der Identität Rosa Luxemburgs versehen worden“, sagte er der „Badischen Zeitung“; das Obduktionsprotokoll von 1919 stimme hinten und vorne nicht. Darin sei zunächst nur von einer „unbekannten weiblichen Leiche“ die Rede, nicht von Luxemburg. Ausdrücklich sei festgehalten, dass die Tote gleich lange Beine habe. Dies könne man als versteckte Nachricht der Obduzenten an die Nachwelt auffassen – oder als Versuch, die eigene Reputation zu retten. Auch fehle bei der obduzierten Leiche eine Verletzung der Schädeldecke, die aber vorhanden sein müsse, da Rosa Luxemburg kurz vor ihrer Ermordung vor dem Hotel Eden von einem Soldaten mit einem Gewehr niedergeschlagen wurde. Und obwohl sie durch einen Kopfschuss getötet wurde, hätten die Pathologen keinen Einschuss gefunden.

Schon das erste Gutachten der Professoren Strassmann und Fraenckel ging davon aus, dass sie den Leichnam Luxemburgs vor sich hatten – was sie nach Würdigung aller Umstände in einem zweiten, abschließenden Bericht bestätigten. Und schon im ersten Gutachten verschwiegen sie weder, dass die Getötete von einer Kugel getroffen wurde, noch fehlen dort Hinweise auf ihre Gehbehinderung.

Die Leiche war am Morgen des 31. Mai 1919 von dem Legationsrat der litauischen Botschaft, dem 42-jährigen Pranes Penkaitis entdeckt worden. Zwei Kinder machten ihn auf die mit Handschuhen bedeckten Hände aufmerksam. Diese Leiche wurde dann von dem Schleusenarbeiter Gottfried Knepel und dem Tischler Otto Fritsch aus dem Wasser gezogen und ins Leichenschauhaus der Charité in der Hannoverschen Straße gebracht. Dem Leichendiener Fritz Eberhardt wurde untersagt, ein Stück vom Stoff des blauen Samtkleides abzuschneiden, „wie es sonst bei unbekannten Leichen üblich ist“, berichtete der in seiner Aussage einige Tage später: „Etwas Zeug hatte ich schon vorher abgeschnitten, auch ein kleines goldenes Medaillon, das an einem schmalen Samtband der Leiche um den Hals hing, es ist das mir vorgezeigte Medaillon.“ Er bestätigte: „Die Leiche ist die mir heute vorgezeigte. Ich erkenne sie mit Bestimmtheit wieder. Ein Irrtum ist ausgeschlossen.“ Die erwähnten Handschuhe wurden von der Sekretärin und Freundin Luxemburgs, Mathilde Jacob, eindeutig identifiziert: Sie selbst hatte die rotbraunen GlacéHandschuhe gekauft und erkannte auch das Kleid und das Medaillon wieder.

Die im ersten Gutachten angeblich fehlenden Schussverletzungen sind dort von den Obduzenten genau festgehalten worden: Es ist von einer sieben Millimeter breiten, undeutlichen rundlichen Öffnung „zwischen linkem Auge und Ohr, diesem etwas näher“ die Rede. Von dieser Öffnung verlaufe ein Kanal durch die gebrochene Schädelgrundfläche. Dann heißt es: „Dieser Schädelbruch ist höchstwahrscheinlich die Folge eines Schusses, der vor dem linken Ohr eingetreten und am rechten Unterkiefer ausgetreten ist, den Schädel also ziemlich quer und etwas nach unten durchsetzt hat.“ Der Mörder hatte auf dem linken Trittbrett eines offenen Wagens gestanden und Luxemburg von dort in den Kopf geschossen. Unbegründet ist auch die Behauptung, ihre Leiche müsse eine zertrümmerte Schädeldecke haben: Der Soldat, der sie auf den Kopf und gegen den Unterkiefer schlug, hatte eine Stunde zuvor mit dem gleichen Gewehr auch Karl Liebknecht niedergeschlagen – ohne dessen Schädel zu zertrümmern.

Nicht nachvollziehbar ist auch, dass die Beine Luxemburgs verschieden lang gewesen sein müssen: Kann es nicht auch andere Gründe für eine Gehbehinderung geben? Strassmann und Fraenckel hatten eine Verbiegung der Wirbelsäule „im Brustteil etwas nach links und hinten, im Bauchteil etwas nach rechts und vorn“ sowie eine „ausgeschweifte linke Hüfte“ festgestellt. Dies reicht zur Erklärung einer Gehbehinderung aus – damit trifft nicht zu, dass in dem Gutachten vom Juni 1919 „ganz klar protokolliert“ sei, dass die untersuchte Leiche „keinen Hüftschaden hat“, wie Tsokos behauptet.

Die Obduzenten hielten sogar fest, dass das blaue Kleid der Toten während der Monate, die sie im Landwehrkanal trieb, auf den Leichnam abgefärbt habe.

Das Fehlen von Kopf, Händen und Füßen der 2008 gefundenen Leiche erklärt Tsokos mit einem Hinweis auf die Legende, die Leiche Luxemburgs sei mit Drahtschlingen gefesselt und mit Gewichten beschwert im Landwehrkanal versenkt worden. Tatsächlich wurde die Erschossene in aller Eile über ein Gebüsch in den Kanal geworfen. Tsokos argumentiert, man könne auf den Obduktionsfotos keine Fesselungsspuren erkennen – so sei bewiesen, dass es nicht Luxemburg sein könne. Das ist absurd: Die tote Revolutionärin ist schlicht nicht gefesselt worden.

Tsokos zeigt sich angesichts der Kritik verschiedener Historiker inzwischen „genervt“: Er ist weiter sicher, irgendwann den DNA-Beweis erbringen zu können. Die Luxemburg-Forscher Klaus Gietinger und Annelies Laschitza bestreiten seine Thesen. An diesem Donnerstag stellen sie um 11 Uhr bei der Luxemburg-Stiftung am Franz-Mehring-Platz in Berlin ihr Buch „Rosa Luxemburgs Tod“ zu dem Fall vor. Tsokos will auch kommen. Gietinger sagte zum Tagesspiegel: „Tsokos hat Vermutungen, wir haben die Fakten.“

Für die Annahme, dass es sich bei der Leiche aus dem Keller der Charité um Rosa Luxemburg handeln könnte, spricht nichts. Die Verwirrung um das Phänomen ihrer „wahren Leiche“ war beträchtlich: Huldigten Millionen der falschen Toten? Die Frage ist müßig. Das Grab Rosa Luxemburgs ist leer, seit es 1935 von den Nazis zerstört wurde.Uwe Soukup

Uwe Soukup

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