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Da führt kein Weg dran vorbei. Heute ist man schnell "per du" - selbst wenn man es gar nicht will.

© Karl-Josef Hildenbrand/p-a/dpa

Umgangsformen: Du kannst mich siezen!

Ein Ritual der Heuchelei: Kollegen, Kunden, User – heutzutage wird jeder geduzt. Die Leute, die sprachlich Nähe suchen, wollen in Wahrheit aber etwas ganz anderes.

Es muss vor gut zehn Jahren gewesen sein, irgendwann nach der Eröffnung des Berliner Hauptbahnhofs. Mit eingezogen war auch die Filiale eines amerikanischen Kaffeerösters. Ich war der einzige Kunde.

„Wie heißt du?“ „Wie bitte?“ „Wie du heißt!“

Ich war damals fast 40. Es war das erste Mal, dass ich nach meinem Namen gefragt wurde, um ihn auf einen Becher zu schreiben. Seitdem habe ich den Laden gemieden. Vor kurzem war ich wieder da. Es hatte sich nichts geändert. Ich stelle mir vor, wie es ist, wenn ich fast 60 oder fast 70 bin. Oder fast 80 und fast tot. „Wie heißt du?“ Eine Frage, wie ich sie früher von Spiel- und Fußballplätzen kannte oder im Kreis von Freunden, die Freunde mitgebracht hatten. Der Mann mit dem Kaffeebecher war nicht mein Freund. Es war ein neues Ritual. Das Becherduzen.

Selbst die Zahnbürste erklärt, „wie Du mich benutzen sollst“

Ich werde eigentlich ganz gern geduzt, aber es kommt darauf an, von wem und in welchem Zusammenhang. Neulich kaufte ich eine elektrische Zahnbürste. Wenn man mit ihr zwei Minuten geputzt hat, blinkt auf dem Display das Wort „YEAAAH“. Dazu gab es ein Begleitheft. Meine Zahnbürste stellt sich darin persönlich vor und erklärt ausführlich, „wie Du mich benutzen sollst“. Ich habe verstanden. Das Bürstenduzen.

Die Zeiten ändern sich. Ich weiß es, schon vom Onlineshoppingduzen. Man bestellt irgendwas oder meldet sich irgendwo an, dann kommt „HALLO JOST“ zurück. Wir gratulieren dir. Toll, du hast es geschafft. Danke, dass du dich für uns entschieden hast. Bist du zufrieden? Klick’ das hier an oder füll’ jenes aus. Liebe Grüße!

Ja doch, es ist schön, wie sich Gesellschaft verändert. Dank auch dir, Globalisierung. Die pronominale Anredeform, das Siezen, Duzen, Erzen und Ihrzen ist ein Ausdruck davon. Es hätte längst einfacher sein können, hätte sich das Bürgertum nicht Reste des Höfischen erhalten wollen. Denn so war es mal: Ein wenig Unterscheidung und Abgrenzung, traditionell nur aufgehoben durch den „Duzcomment“ in Burschenschaften und das Genossen-Du von Arbeiterschaft und Linksparteien. Im Zweifel wurde gesiezt, sogar bis zur Anbahnung von Intimkontakten.

Früher lag die Schallgrenze für das Duzen bei 30 Jahren

Es gab solche Dinge wie das feine Hamburger Sie („Peter, seien Sie so nett und schließen bitte das Fenster“) und das derbe Münchner Du („Frau Müller, komm‘ mal her“). Besonders individuell das Berliner Er („Hatter denn oochn jültjen Fahrausweis?“) und der sympathische Krankenpflegerplural („Wie geht’s uns denn heute?“). Ist okay, dass es vorbei geht. Ein bisschen viel Distinktion. Dann gab es eine Schallgrenze für das Duzen, die bei ungefähr 30 Jahren lag. Darüber hinaus wurde gesiezt. Darunter war man jung.

Und jetzt? Gleichaltrige fangen schnell mit dem Duzen an, egal wie alt sie sind. Jetzt können aber auch zwei bis drei Jahrzehnte mal eben überschritten werden. Ich nehme an, es ist das Netzwerkduzen. Menschen mit ein paar hundert Freunden machen keine Unterschiede mehr. Und könnte nicht praktisch jeder ein Freund sein? So wird die Anrede notorisch ins echte Leben übertragen. Beruf und Privates fließen ohnehin ineinander. Kollegen, Freundinnen, Follower und User: Ich duze Euch, wie Ihr mich duzt. Oder ich sieze zurück. Mir egal.

Bald kommt das Hotlineduzen: null Service, aber das sehr persönlich

Etwas anderes aber ist das Bürsten- und Becherduzen. Es ist ein Zweckduzen, wie das Shoppingduzen im Internet. Die Leute, die da sprachlich meine Nähe suchen, wollen in Wahrheit nur mein Geld. Angefangen hatte es in den 70er Jahre mit Ikea. Damals war es originell. Skandinavisch war exotisch. Heute sind nur Heuchler am Werk. Bald kommt das automatisierte Hotlineduzen. Null Service, aber das sehr persönlich.

Das Du ist zur Unkultur des Kapitalismus verkommen. In Dialoge mit Zahnbürsten gezwungen zu werden oder den Kaffeekauf mit einer Personalkontrolle zu verbinden, verdirbt das klassische Gemeinschafts-Du. Leider erkennt die SPD ihre Chance nicht. Wenn sich die Genossen ab sofort siezen und gegen das Konsumismus-Du verbünden würden – die Partei wäre politisch erneuert.

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