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Berlin: Durchblick im Untergrund

Wenn morgen der Tiergartentunnel öffnet, wird der Verkehr lückenlos überwacht. Ein Besuch in der Leitzentrale

Das Motiv: Autos, die durch Röhren fahren. Gefilmt von 218 Kameras, übertragen auf 26 Monitore, 24 Stunden nonstop. Keine grünen Randstreifen zum Ausruhen der Sehnerven, nur Abstufungen von Helligkeit. Könnte ein Videokunstprojekt sein. Titel: „Mobile Endlosschleifen“. Torsten Hempel, ein Mann mit rundem Bauch und fröhlichen Augen, ist hier der stellvertretende Leiter. Sein Projekt nennt sich „Tunnelleitzentrale“ oder „Tunnelmanagement“.

Wenn am Sonntag die ersten Autos durch den Tiergartentunnel rollen, werden ihre Fahrer nicht merken, dass sie mit dem Eintritt in die Unterwelt auch in eine Multimedia-Installation eintauchen. Hunderte von Detektoren und Sensoren säumen ihren Weg. Allein 118 der 218 Berliner Tunnelkameras stehen unter dem Tiergarten. Der TTS – das bedeutet Tunnel Tiergarten Spreebogen – ist verdrahtet wie ein gutes Nervensystem, dessen Stränge im Hirn zusammenlaufen, dem Tunnelhirn von Herrn Hempel.

Die Sensoren können „trübe Sicht“ melden, die Temperatur und den Kohlenmonoxid-Gehalt der Luft, die Entnahme eines Feuerlöschers oder das Aufdrehen eines Hydranten. Auch ein Geisterfahrer entgeht ihnen nicht. Das Besondere am Tiergartentunnel sind seine intelligenten Kameras. Zwei von ihnen haben im Tunnelhirn gerade Normabweichungen festgestellt und Alarm geschlagen. Eine „Person“ befindet sich auf der Tunnelrampe, im Tunnelinnern ist ein „Stillstand“ entdeckt worden. Die Person wird von einer Kamera als rauchender Wachschutzmann identifiziert, der Stillstand sind Autos, die auf der Fahrbahn parken. Sie gehören Handwerkern. Weil sie in den technischen Räumen des Tunnels etwas zu reparieren haben, mussten sie Türen öffnen. Da haben die Türsensoren sofort den Alarm „Einbruch“ ausgelöst.

Mit einem Mausklick kann Hempel Kameras bewegen, die Beleuchtung im Tunnel verändern, die riesigen Entlüfter in Gang setzen oder einen der 430 Lautsprecher im Tunnel einschalten. In seinem rechten Zeigefinger vereint sich eine ungeahnte Machtfülle. Was Diplomingenieur Hempel begeistert, ist aber die Technik selbst. Er könnte die Person, die eine seiner Kameras gerade im Focus hat, direkt ansprechen. Oder eine Warnmeldung absetzen, die alle Tunneldurchreisenden übers Radio erreicht. Wenn das Auto im Tunnel liegen bleibt, sollte der Fahrer aussteigen, das Warndreieck aufstellen und eine Notrufnische aufsuchen. So wünscht sich das die Leitzentrale. Die meisten bleiben jedoch im Auto sitzen und rufen die Polizei an. Übers Handy.

Das Tunnelhirn liegt im ersten Stock eines bunkerartigen Flachbaus auf einer Verkehrsinsel zwischen Autobahn, Einflugschneise und U-Bahn-Brücke, direkt am Flughafen Tegel. Wie ein verschämter Versuch, die Tristesse aufzulockern, steht im Eck neben der Eingangstür eine Yuccapalme. Je zwei Männer schieben im Kontrollraum Zwölf-Stunden-Schichten, arbeiten Störungsmeldungen ab, telefonieren mit Wartungsfirmen und versuchen, wach zu bleiben. Für den Notfall.

Acht Tunnel werden in der Leitzentrale fernüberwacht, die Tiergartenröhre ist mit 2,4 Kilometern am längsten. Wenn die Autobahn zum Flughafen Schönefeld fertig ist, kommen noch zwei Tunnel hinzu. Neun Kilometer Straße werden dann von insgesamt 25 Technikern betreut. Die Kosten für die Überwachung teilen sich Bund und Land. Da kommen jährlich mehrere Millionen Euro zusammen.

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