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Berlin: Durchgeknallt – das heißt so viel wie irre

„Zeit“-Chefredakteur Naumann muss 9000 Euro wegen Beleidigung eines Staatsanwalts zahlen

Das braune Haar der Richterin schwingt von rechts nach links und wieder zurück, als verfolge sie in ihrem Saal 571 ein ganz besonders rasantes Tennismatch.

„Sie haben einen Anfängerfehler begangen!“, höhnt der Staatsanwalt auf seiner Seite. „Sie reden immer von Tatsachen. Sie haben sich doch bloß in der Kantine erkundigt!“, kontert der Verteidiger. Der Staatsanwalt: „In der Kantine? Sie vergreifen sich im Ton!“ Der Verteidiger: „Das ist doch Klippschulwissen!“

Beleidigung? Schmähkritik? Ach was, die Herren Anwälte diskutieren im Amtsgericht Tiergarten lediglich hart an der Sache. Zwischen ihnen sitzt „Zeit“-Herausgeber Michael Naumann auf der Anklagebank, mal lächelt er milde, mal schüttelt er leicht den Kopf. Am 22. Juni 2003 konnte man den Ex-Kulturstaatsminister temperamentvoller erleben, als es in einer Live-Talkshow hieß „Friedman – die Öffentlichkeit und die Moral“. Damals sprach der „Zeit“-Chefredakteur ins Mikro, was er von Berlins Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge hält: Ein „durchgeknallter Staatsanwalt“, schimpfte Naumann. Mit außerordentlich schlechtem Ruf. Verantwortlich für die Pannen bei den Ermittlungen gegen den ehemaligen TV-Moderator und damaligen Vize-Präsidenten des Zentralrats der Juden.

Der Amtsrichterin dürften in ihrem Saal schon viele geharnischte Beleidigungen zu Ohren gekommen sein, das „Durchgeknallt“ des Ex-Ministers aber beschäftigt sie jetzt bereits den zweiten Tag. Zum Auftakt vergangene Woche hat Naumann noch versichert, dass er dem „General“ nicht zu nahe treten wollte, dass sich sein Monolog nicht auf „Karges privaten Geisteszustand“, sondern auf „seine Arbeit als Behördenleiter“ bezog. „Aber ich halte den Begriff durchgeknallt für umgangssprachlich absolut normal“, sagte Naumann. Die Richterin widersprach nur wenig später: „Das heißt doch im Sprachgebrauch so viel wie irre…“

Am Nachmittag des zweiten Tages ist dann alles gesagt, was Zeugen, Verteidiger und Ankläger über den Begriff „durchgeknallt“, dessen Herkunft, Grund und Wirkung zu sagen haben. Das letzte Wort gebührt, wie in jedem Prozess, dem Angeklagten. Naumann drückt das Kreuz durch und verkündet: „Was sich in der Sprache einbürgert, bestimmt nicht der Staatsanwalt.“

Stimmt, es ist die Richterin, die heute das Sagen hat: Sie verurteilt Naumann zu einer Geldstrafe von 9000 Euro, weil er Hansjürgen Karge in der Talkshow ganz bewusst „persönlich herabgesetzt“ habe. Michael Naumann will das nicht akzeptieren, also wird es bald heißen: Durchgeknallt, die zweite Instanz.

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