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Berlin: Eberhard Diepgen im Gespräch: Der Regierende Bürgermeister hofft auf Bürgerinitiativen

Herr Diepgen, einige Prominente haben uns mit Bekenntnissen über ihre Jugend überrascht. Friedrich Merz zum Beispiel flog wegen Aufsässigkeit von der Schule, fing mit 14 das Biertrinken an, raste mit dem Motorrad durch seinen Heimatort und feierte, als Freunde eine Kneipe von Linken in Schutt und Asche legten.

Herr Diepgen, einige Prominente haben uns mit Bekenntnissen über ihre Jugend überrascht. Friedrich Merz zum Beispiel flog wegen Aufsässigkeit von der Schule, fing mit 14 das Biertrinken an, raste mit dem Motorrad durch seinen Heimatort und feierte, als Freunde eine Kneipe von Linken in Schutt und Asche legten. Welche Jugendsünden haben Sie uns bisher verschwiegen?

Philosophisch gesagt: Wir alle sind sündig.

War da nicht etwas mit einer schlagenden Verbindung?

Ich würde das nun wirklich nicht als Jugendsünde sehen. Ich war engagierter Studentenvertreter mit allem, was dazu gehörte.

Sind sie "68ern" an den Kragen gegangen?

Ich gehörte zu den Studenten, die versuchten, gegen die Besetzung der FU vorzugehen. Ich hatte nämlich das dringende Bedürfnis, mein Examen zu machen.

Joschka Fischer hat früher Polizisten verprügelt. Ist er damals zu weit gegangen, um heute als Außenminister glaubwürdig zu sein?

Fischer war in der militanten Szene. Das ist keine Neuigkeit. Niemand sollte heute so tun, als hätte er das nicht gewusst. Neu ist aber der Vorwurf, dass er sich strafrechtlich relevant verhalten haben könnte, ohne dass dieses verjährt wäre. Das muss aufgeklärt werden und die Fakten müssen auf den Tisch kommen. Der Anti-Amerikanismus von damals wird dem Außenminister hoffentlich heute in Amerika nicht mehr angelastet.

Am 24. Januar sind sie zehn Jahre im Amt. Machen sie zur Feier einen Rotkäppchensekt auf?

Das ist eine gute Idee! Es ist jedenfalls Anlass, ein bisschen stolz zu sein über die Entwicklung von Berlin. Vergleichen sie das Berlin von heute mit dem von 1991: Es ist eine andere Stadt.

Sie haben gesagt, nach den Investitionen im Osten sei nun mal wieder der Westen dran. Kann man denn heute in Berlin noch von Ost und West sprechen?

In den letzten zehn Jahren galt: Aufbau Ost vor Ausbau West. Das muss jetzt der Vergangenheit angehören. Die Stadt ist zusammengewachsen. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme orientieren sie nicht mehr an der alten Grenze.

Aber es gibt noch mentale Unterschiede.

Wir haben drei verschiedene gesellschaftliche Gruppen. Da ist das neue Berlin, das international, kreativ und lebendig ist und solche Unterschiede nicht kennt. Aber es gibt sowohl im Osten wie auch im Westen Kreise, die den alten Zeiten nachtrauern und sich an die neuen Zeiten nicht gewöhnen können. Denen ist auch viel zugemutet worden. Das frühere Gegeneinander, dort die kommunistischen Eliten, hier der Kampf gegen den Kommunismus, das zieht man nicht einfach aus wie ein altes Hemd. Aber im Grunde sind wir schon sehr weit gekommen.

Insgesamt sind sie jetzt 16 Jahre Regierender Bürgermeister. Haben Sie noch Ziele?

Ja, natürlich! Es gibt eine ganze Reihe von Projekten, die ich unumkehrbar machen möchte. Das ist der Flughafen, die Bebauung des Schlossplatzes, die Fertigstellung der U-Bahnlinie 5 und die Entwicklung der Forschungs- und Hochschuleinrichtungen.

Die Universitäten befürchten, dass die Hochschulverträge nicht eingehalten werden. Pfeifen sie den Finanzsenator zurück?

Es ist die einheitliche Position des Senats, dass die Hochschulverträge ein wichtiges Element auch in den nächsten Jahren sind.

Also: Es bleibt dabei?

Es bleibt dabei, und es gibt Kriterien: 85 000 ausfinanzierte Studienplätze, und zwar nicht nur in den so genannten billigen Fächern, sondern selbstverständlich auch in den Naturwissenschaften, den technischen Fächern und der Medizin. Und meine Ziele darüber hinaus: Eine klare Leistungsorientierung, Internationalität der Hochschulen und Schulen. Das sind Grundbedingungen für die zukunftsorientierte Entwicklung der Stadt.

Zum Flughafen: Sehen sie den denn in Gefahr?

Nein, das nicht. Aber der Planfeststellungsbeschluss muss rechtskräftig werden, und die Privatisierung der Flughafen-Holding sollte noch dieses Jahr über die Bühne gehen.

Wie hoch ist die Gefahr einer Verzögerung?

Wir tun alles, um dies zu vermeiden. Und ich rechne auch nicht mit Schwierigkeiten durch das Genehmigungsverfahren der EU.

Ergeben sich nicht Probleme für das Planfeststellungsverfahren, wenn Sie Tempelhof und Tegel länger offen halten wollen?

Klare Festlegung: Tegel wird mit Inbetriebnahme des Flughafens Berlin-Brandenburg International geschlossen, also nach den Planungen Ende 2007. Tempelhof muss aber darüber hinaus offen bleiben für begrenzte Flugbewegungen: für Privatmaschinen und den Business-Verkehr. Das ist keine Behinderung des Planfeststellungsverfahrens.

Warum gerade Tempelhof, wo dieser Flughafen doch mitten in der Stadt liegt?

Nach allen Erfahrungen anderer Großstädte braucht man einen innerstädtischen Flughafen für den Geschäftsverkehr, aber keinen wie Tegel mit über zehn Millionen Passagieren. Tegel wäre auch planungsrechtlich eine massive Konkurrenz zu Schönefeld. Rechtlich ist die Offenhaltung Tegels unmöglich.

Also: Sie wollen Tegel nach der Eröffnung des Großflughafens Schönefeld schließen, aber Tempelhof auf Dauer für kleine Privat- und Business-Flüge offen halten?

Das ist mein Konzept. Darum wird in der Koalition gerungen. In allen Fragen der Verkehrspolitik muss ich in der Koalition damit leben, dass sich Erfahrungen der Modernisierung und internationalen Entwicklung mit einer gewissen Zeitverzögerung durchsetzen. Dazu gehört auch die Erfahrung, dass wir es im Flugverkehr mit gigantischen Steigerungen zu tun haben.

Es gibt aber den Beschluss, Tegel und Tempelhof zu schließen.

In diesem Konsensbeschluss steht ausdrücklich: Schließung der Verkehrsflughäfen. Verkehrsflughafen bedeutet nationalen und internationalen Linienverkehr. Ich hoffe, dass diese Definition endlich zur Kenntnis genommen wird.

Sie haben uns eben ein Beispiel Ihrer Dickköpfigkeit oder auch ihrer Salamitaktik gegeben...

Das stimmt...

Herr Diepgen, wir sind im Preußen-Jahr. Haben Sie etwas von den alten Preußen gelernt?

Ich bleibe mal bei Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen. Die Bereitschaft zum Dienen und die Bereitschaft, beharrlich Ziele zu verfolgen, haben selbstverständlich etwas mit Preußentum zu tun.

Können Sie auch Fehler und Niederlagen zugeben?

Das kann man, und gegebenenfalls muss man es. Dumm ist nur, wer Fehler wiederholt und nicht, wer Fehler korrigiert.

Welche geben Sie zu?

In der Politik ist es sehr gefährlich, ohne Anlass auf Fehler und Niederlagen einzugehen. Dennoch: Es war ein Misserfolg, dass die Fusion 1996 an der Volksabstimmung gescheitert ist. Aber sie ist an der Bevölkerung in Brandenburg gescheitert. Daraus ziehe ich Schlussfolgerungen: Der neue Anlauf darf nicht von oben, er muss von unten kommen.

Wie stellen Sie sich das vor?

Bürgerinitiativen, Initiativen unmittelbar aus den kommunalen Bereichen müssen den Weg vorbereiten. Wir müssen bereits im Vorfeld so viele gemeinsame Institutionen wie möglich bilden. In meiner Verantwortung für die Justiz versuche ich das mit dem Aufbau von gemeinsamen Gerichten und der Zusammenarbeit in der Ausbildung.

Berlin und Brandenburg haben sich in den letzten Jahren deutlich auseinander entwickelt. Wäre es nicht ehrlicher zu sagen, das wird nichts mehr?

Ich halte ein gemeinsames Land aus Gründen der Regionalplanung, der Mobilität und Lebensqualität für richtig. Es gibt Initiativen, die es auch aus historischen Gründen mit viel Elan und Emotion wollen. Das muss man nutzen und zur richtigen Zeit die politischen und administrativen Entscheidungen treffen. Deshalb das Jahr 2009 als mögliches Datum der Fusion. Zwei, drei Jahre vorher müsste die Volksabstimmung sein.

Sie wollen also abwarten?

Die Frage ist doch, ob wir als Regierungen wieder von oben eine neue Kampagne beginnen oder aus der Volksabstimmung gelernt haben. Ich sage: Von oben wäre falsch. Die gesellschaftliche Situation in Berlin und Brandenburg, im Spannungsfeld zwischen Stadt und Land, zwischen Ost und West ist noch nicht Erfolg versprechend. Und wie der Teufel das Weihwasser scheue ich eine Wiederholung der Debatte: Wer zahlt wessen Schulden! Ein gemeinsames Land hat nicht primär unter fiskalischen Gesichtspunkten seine Vorteile, sondern wegen der Lebensqualität, der Mobilität und planerischen Sicherheit. Es wäre doch viel leichter für das Nervenkostüm und den Arbeitseinsatz, den Flughafen Berlin-Brandenburg zu bauen, wenn es eine gemeinsame Landesregierung gäbe, die allein, möglichst auch noch ohne den Bund, die Entscheidung treffen könnte.

Die Aufgaben des Regierenden Bürgermeisters sind nicht mehr dieselben wie zu Mauerzeiten. Haben Sie Ihre Rolle hinter dem Bundeskanzler gefunden?

Ja, aber nicht hinter dem Kanzler, weil es eine andere Rolle ist. Es ist die Rolle eines Ministerpräsidenten und des Oberbürgermeisters der wichtigsten Stadt in Deutschland. Der Unterschied zu Mauerzeiten liegt in zwei Punkten. Es gibt keine außenpolitische Verantwortung des Regierenden Bürgermeisters mehr. Erster Gastgeber in Berlin ist nun die Bundesregierung. Der zweite Punkt ist: Meine stadtpolitischen Aufgaben haben sich erheblich erweitert.

Haben die Berliner ihre neue Rolle auch schon verinnerlicht?

Die Berlinerinnen und Berliner haben sich über die Diskussionen, ob der Regierende Bürgermeister oder der Bundeskanzler einen Staatsgast durch das Brandenburger Tor begleitet, immer nur amüsiert, zu Recht. Sie sind viel zu selbstbewusst, als dass sie diese Debatte als Belastung empfunden hätten.

Im November werden Sie 60 und Bundesratspräsident, ein Höhepunkt Ihrer Karriere. Was wollen Sie danach noch erreichen?

Höhepunkte meines politischen Lebens waren, dass ich Bürgermeister der wiedervereinigten Stadt wurde, und der Abzug der russischen Streitkräfte aus Berlin und die damit verbundene Beendigung der Besatzungs- und Nachkriegszeit. Über zusätzliche Funktionen mache ich mir momentan keine Gedanken. Ich will die Stadt voranbringen. In einigen Feldern muss man sie vor alten Dogmatikern schützen.

Könnten Sie sich Ihren Abschied vom Amt nach der Mitte dieser Wahlperiode leisten, ohne die Koalition aufs Spiel zu setzen?

Wir haben eine Regierung bis 2004 gebildet. Ich sehe keinen Anlass zu irgendwelchen Änderungen.

Wollen Sie zur nächsten Wahl noch einmal antreten? Es gibt doch bestimmt eine Bürgerinitiative, die sie darum bittet.

Gracian, und er war ein kluger Mann, sagt: Alles muss man zu seiner Zeit tun.

Herr Diepgen[einige Prominente haben uns mit Beke]

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