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Mensch, Maschine. Berlins Autohändler müssen sich durch den Abgasskandal auf heftige Wertverluste bei Autos einstellen, die mit Dieselmotor ausgestattet sind.

© iStock/Getty Images

Dieselskandal: Ein ruinöses Geschäft

Während sich die Pkw-Konzerne wieder über Rekordgewinne freuen, belastet Berlins Autohändler noch immer der Dieselskandal: Viele von ihnen stehen vor der Insolvenz. Auch der Senat erschwert den Händlern das Geschäft.

Krise? Welche Krise? Die deutsche Automobilindustrie hat ihren Dieselskandal nicht nur überstanden, es geht ihr sogar besser als je zuvor. So meldete Volkswagen im Februar ein Rekordergebnis. Der Nettogewinn habe sich 2017 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. 11,4 Milliarden Euro blieben in den Kassen der Wolfsburger hängen. Auch Daimler hatte gute Nachrichten in eigener Sache zu verkünden: Im zurückliegenden Geschäftsjahr gelang dem Konzern ein Rekordabsatz und ein Rekordgewinn von 14,4 Milliarden Euro. Im März präsentierte schließlich BMW der Öffentlichkeit ein grandioses Ergebnis: 8,7 Milliarden Euro Überschuss, das sind 26 Prozent mehr als 2016. Die Branche, so wirkt es, ist vom Erfolg verwöhnt, es gibt Rekorde, wohin man blickt.

Alles glänzend in der deutschen Schlüsselindustrie? Wo ist denn jetzt die Dieselkrise? War die Aufregung um massenhaften Betrug mit unzulässigen Abschalteinrichtungen in der Abgasreinigung von Selbstzündern etwa nur ein Medienhype? Nein. Denn die Kfz-Branche ist tief gespalten. Man muss seinen Blick von den Herstellern weg und zu den Autohändlern richten, um die Auswirkungen des Dieselskandals zu sehen. Während die Daimlers, BMWs und VWs auf glanzvoll inszenierten Pressekonferenzen und Hauptversammlungen ihre Rekordzahlen verkünden und sich feiern, kämpfen viele Berliner Autohändler ums Überleben.

Die meisten für sich selbst und ohne Unterstützung von professionellen PR-Agenturen und Pressestellen. Recherchen unter ihnen führen geradewegs in ein depressives Milieu. Denn dort werden die Folgen des massenhaften Betrugs ausgebadet. Und betroffen sind nicht nur Händler deutscher Hersteller, sondern alle. Seit im Herbst 2015 bekannt wurde, dass VW illegale Abschalteinrichtungen in seinen Dieselfahrzeugen verbaute, ist die ganze Technologie in Verruf geraten. Spätestens seit Ende Februar das Bundesverwaltungsgericht Fahrverbote in Städten als zulässig erachtete, sind die Selbstzünder Problemautos. Kunden sind verunsichert, Hersteller wie Toyota und Volvo haben bereits angekündigt, den Dieselmotor aus dem Programm zu nehmen.

Zeche Zahlen die Käufer

Da Autos, die wegen ihrer Emissionen permanent von Fahrverboten bedroht sind, für ihre Besitzer auch einen permanenten Nervenkitzel bedeuten, stürzt ihr Wert ab. Die Zeche zahlen neben den Autokäufern, die kräftige Wertverluste einstecken mussten, die Händler. Einer von ihnen, aus Berlin, der nicht genannt werden will, erklärt das Problem: „Wir verleasen ein Fahrzeug über mehrere Jahre an einen Kunden, der in der Zeit monatlich seine Raten bezahlt. Am Ende der Leasingperiode stellt er uns den Wagen wieder auf den Hof und wir sind verpflichtet, das Auto zurückzukaufen.“

Knackpunkt: Der Rückkaufpreis ist Bestandteil der Leasingvereinbarung. Die Händler müssen also derzeit und in Zukunft reihenweise ältere Diesel zu aus heutiger Sicht absurd überhöhten Preisen zurückkaufen, die vor „Dieselgate“ verabredet wurden. Zwar beteiligen sich auch die Hersteller an der sogenannten Wertkorrektur, doch meist nur zu einem geringen Teil. „Wir erwarten bald Hunderte Autos, für die wir Preise bezahlen müssen, die weit über ihrem Marktwert liegen“, sagt der Händler, der aus Angst, eines Tages wegen Insolvenzverschleppung strafrechtliche Probleme zu bekommen, darauf besteht, anonym zu bleiben.

Beim Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) bestätigt man die düstere Geschichte des Berliner Autoverkäufers. Und er ist nicht allein. ZDK-Sprecher Ulrich Köster: „Das ist ein Riesenproblem. Den Händlern droht eine Pleitewelle.“ Kurz nach dem Fahrverbotsurteil der Verwaltungsrichter in Leipzig befragte der ZDK über 1800 Autohändler. Gut 34 Prozent von ihnen gehen davon aus, dass sie Leasingrückläufer mit der Abgasnorm Euro 5 nur mit einem Preisabschlag von 30 bis 50 Prozent weiterverkaufen können. Etwas weniger rechnen mit einer Abwertung von zehn bis 30 Prozent. Über zehn Prozent der Befragten halten die Fahrzeuge für völlig unverkäuflich. Düster auch die Prognose bei Euro 6-Wagen: 37 Prozent der Verkäufer halten auch diese modernen Diesel für kaum noch verkaufbar.

Appell an die Politik

Um die Pleitewelle zu verhindern, appelliert der Verband an die Politik: „Wir brauchen dringend eine Nachrüstverordnung für ältere Diesel mit bereits erfolgreich erprobten Hardware-Systemen“, sagt ZDK-Vizepräsident Thomas Peckruhn. Auch die Hersteller und Importeure sieht er „moralisch in der Pflicht, sich an der Finanzierung der Hardware-Nachrüstung zu beteiligen“. Ziel der Übung: ein Ende der Debatte um Fahrverbote, die auch von Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) nicht ausgeschlossen werden. Peckruhn: „Solange das Diesel-Thema weiter rumort und Fahrverbote nicht klipp und klar verhindert werden, wird sich die Situation im Handel nicht verbessern, sondern weiter verschlechtern.“

Doch die Autohersteller ducken sich weg. Wenn man etwa bei Daimler nachfragt, wie dort die Situation der Händler bewertet wird und ob man ihnen beim Restwert-Risiko entgegenkommen und Hardware-Nachrüstungen finanzieren wird, bekommt man keine Antwort, sondern Eigenlob wegen der guten Geschäftsergebnisse: „Von den sehr guten Zahlen profitieren natürlich auch unsere Händler, und das wirkt sich nicht zuletzt positiv auf die Stimmung im Mercedes-Benz-Handel aus.“ Darüber hinaus – „bitte haben Sie Verständnis dafür“ – wolle man sich nicht weiter äußern.

BMW verweist auf sein „Diesel-Rücknahmeversprechen“. Das geht so: Sollte während des Leasings im Umkreis von 100 Kilometern um Arbeits- oder Wohnort von Kunden ein Fahrverbot verhängt werden, könnten diese „in einen vergleichbaren Anschlussvertrag über ein anderes Fahrzeug der BMW Group eintreten“. Zu Restwertrisiken schweigen die Bayern sich aus. Und der Aufwand für Hardware-Nachrüstungen stehe „in keinem vertretbaren Verhältnis“ zum Nutzen, antwortet eine Sprecherin. BMW favorisiere deshalb Softwarelösungen. Auch VW hält eine Hardware-Nachrüstung für „nicht sinnvoll umsetzbar“. Wegen der Entwicklung und der Tests stünden solche Lösungen auch viel zu spät zur Verfügung. Was die Händler angeht, gibt sich der Konzern umgänglich: So könnten die Händler entscheiden, ob sie selbst das Restwertrisiko übernehmen wollen oder ob das die hauseigene Bank tun soll.

Senat erschwert das Geschäft

Doch wer Autos in Berlin verkauft, hat nicht nur mit den Herstellern zu kämpfen, sondern auch mit der hiesigen Verwaltung.

Bereits im Spätsommer 2017 beschwerten sich mehrere Autohändler beim Senat über die Bearbeitungszeiten bei der Kfz-Zulassung: „In der schlimmsten Phase dauerte es bis zu vier Wochen“, sagt Philipp von Sahr, Niederlassungschef beim BMW-Verbund Ost. Zunächst habe der Hilferuf gefruchtet und die Bearbeitungszeit sei zum Jahreswechsel auf eine Woche gesunken, doch jetzt seien die Zustände wieder fast so wie damals: „Wir sind schon wieder bei drei Wochen“, sagt Sahr. Das streitet der Senat ab, räumt aber durchaus ein, bereits wieder nachgelassen zu haben. Eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Inneres sagt auf Nachfrage, dass die Bearbeitungszeit momentan wegen der Osterferien bei zehn Tagen liege. Angeblich sei man Ende 2017 bei durchschnittlich zwei Tagen gewesen. „Das dauerhaft zu halten, ist unser Ziel.“

Dieser Artikel erschien in der wöchentlichen Sonderseite "Berliner Wirtschaft". Folgen Sie uns auf Twitter für Updates: @BRLNRwirtschaft

Jan-Philipp Hein

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