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Berlin: Eine Empfehlung zum Nachdenken

Die CDU in Steglitz-Zehlendorf will am 8. Mai auch deutscher Opfer gedenken. Nun regt sich in der eigenen Partei der Widerstand

Es geht um angemessenes Gedenken, um den 8. Mai und einen umstrittenen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Steglitz-Zehlendorf. Und womöglich um eine Kurskorrektur. „Ich werde meiner Partei empfehlen, schnellstens auch auf Landesebene über dieses Thema zu sprechen, am besten auch mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin“, sagte Karl-Georg Wellmann dem Tagesspiegel. Der Unions-Abgeordnete – Stadtentwicklungsfachmann, Wahlbezirk Steglitz-Zehlendorf – ist der erste CDU-Politiker auf Landesebene, der den Beschluss der BVV zum 8. Mai öffentlich in Frage stellt. Zudem sagte er, er schließe nicht aus, „dass wir mit den Kollegen im Bezirk noch einmal sprechen.“

Der besagte Beschluss sieht vor, dass der Bezirk den 60. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Naziregime nicht nur als Tag der Befreiung begehen soll, sondern auch im Gedenken an die deutschen Opfer. Das hat die Mehrheit aus CDU und FDP in der BVV vor wenigen Tagen gegen die Stimmen von SPD, Grünen und PDS durchgesetzt.

In den vergangenen Tagen hatten unter anderem die Russische Botschaft in Berlin und die Jüdische Gemeinde den Beschluss als Geschichtsverfälschung interpretiert und kritisiert. Dagegen hatte der CDU-Landesvorsitzende Joachim Zeller erklärt, diese Angelegenheit sei ausschließlich Sache des Bezirks. Er sehe keinen Anlass, die Parteifreunde ins Gebet zu nehmen, wie es die politischen Gegner gefordert hatten. Auch gestern sagte Zeller: „SPD und Grüne instrumentalisieren auf eine sehr schmutzige Weise den Beschluss eines Bezirksgremiums.“

Wellmann dagegen sagte: „Man sollte die inhaltliche Kritik sehr ernst nehmen, die es in den vergangenen Tagen an diesem Beschluss gab.“ Man dürfe nicht den Eindruck erwecken, dass man Opfer gegenrechnet und die historischen Kausalitäten durcheinander bringe. Dieser Eindruck sei durch den BVV-Beschluss aber offenkundig erweckt worden. Gleichzeitig verteidigte Wellmann seine Parteifreunde gegen die NPD-Vergleiche, die die Fraktionschefs von SPD und Grünen im Abgeordnetenhaus, Michael Müller und Volker Ratzmann, angestellt hatten.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Albert Meyer, sprach von einer „sehr unglücklichen Entscheidung der BVV“. Als besonders irritierend empfinde er sie vor dem Hintergrund der Israelreise von Bundespräsident Horst Köhler. In zwei Briefen, die dem Tagesspiegel vorliegen, forderte Meyer den BVV-Vorsitzenden Klaus Eichstädt auf, den Beschluss „zurückzunehmen, in dem die Ermordung von Millionen NS-Opfern“ mit den „deutschen Opfern bei der Niederringung des NS-Staates gleichgesetzt“ werde. Eine Antwort, so Meyer, habe er bisher nicht bekommen.

CDU-Landeschef Zeller wiederholte gestern, er halte den Bezirksbeschluss für „überinterpretiert“. Darin steht, der Bezirk würdige am 8. Mai dieses Jahres den 60. Jahrestag der Kapitulation. Und: „Der 8. Mai steht neben der Befreiung vom totalitaristischen Naziregime auch für den Schrecken und das Leid der Bevölkerung, die die Rote Armee von Ostpreußen bis nach Berlin zu verantworten haben.“ Auch derer wolle man gedenken.

Die SPD bemüht im Zusammenhang mit dem Gedenktagsstreit Parallelen zur Auseinandersetzung um die „Spiegelwand“ am Hermann-Ehlers-Platz. Im Mai 1994 lehnten die Bezirksverordneten von Union, FDP – damals noch mit den Republikanern – gegen die Stimmen von SPD und Grünen, ein Mahnmal für deportierte Berliner Juden ab. Die „Spiegelwand“ kam dann doch, weil der damalige Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) sich dafür einsetzte. Und weil der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) seinen Parteifreund, den bis heute amtierenden Bezirksbürgermeister Herbert Weber, zur Ordnung rief.

Marc Neller

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