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Berlin: Eine Insel mit drei Schlangen

Nofretete sahen am Sonnabend Tausende – bei Nummer 525 gab es einen Stau. Besucher standen auch vor der Nationalgalerie und dem Pergamonmuseum an

In dem ehrwürdigen Gebäude schräg gegenüber dem Dom schwirrt es wie in einem Bienenhaus – schon zwei Stunden nach der Öffnung um zehn Uhr hat die Aufsicht am Eingang gestern mehr als tausendmal den Knopf der Zähluhr gedrückt. „An so einen Besucheransturm kann ich mich nicht erinnern“, sagt der Mann und lässt den nächsten Schub ins neue Reich der alten Ägypter. Nofretetes Schönheit zieht die Massen an: Am ersten Tag der Neu-Präsentation des Ägyptischen Museums im Schinkel-Bau am Lustgarten kamen die Besucher in Scharen über die 21 Stufen der Freitreppe durch die Säulenhalle ins Alte Museum. Und auch der Andrang vor der Alten Nationalgalerie und am Pergamonmuseum zeigt, welchen Schatz das Weltkulturerbe Museumsinsel für Berlin darstellt.

Man muss einige Zeit mitbringen. Im Parterre rechts, neben der Kasse, erweist sich die Garderobe, an der Taschen und Rucksäcke abzugeben sind, als zu eng und zu klein. Hier steht die erste Schlange. Die nächste bildet sich im Obergeschoss vor dem Eingang zum Ägyptischen Museum, wo man sich übrigens auch sein Billett kaufen kann. Die Aufsicht ist umsichtig und freundlich, die Besucher sind gespannt: Sie sehen zunächst nur die zwei Meter hohe, goldschimmernde Beterstatue eines Königs aus Memphis um 1840 v. Chr. Dann aber folgen sie den Spuren einer eindrucksvollen Hochkultur – und stehen unvermittelt vor der ins Licht getauchten prominenten Schönheit Nofretete, die über das Volk hinweg in weite Ferne blickt, aber dort nichts vom grünen Lustgarten sehen könnte, sondern nur den linken Teil des Staatsratsgebäudes. An Nofretetes durchsichtigem Gefängnis, dieser Panzerglas-Vitrine, werden Andacht und stille Bewunderung von touristischer Fotografierwut förmlich weggeknipst. „Bitte ohne Blitz“, sagt die Frau vom Sicherheitsdienst, aber kaum einer versteht die Worte: Altes Weltkulturerbe wird flugs mit dem Foto-Handy in den Weltraum und von dort zu den Onkels in Übersee gebeamt. Die Königin wirkt inmitten des Volks aus dem Jahre 2005 zart, klein und zerbrechlich, und wer ihr lange genug ins Antlitz blickt, erlebt Unerklärliches: Hat sie einem gerade zugezwinkert? Seltsamer Schein.

In der Fachsprache des Aufsichtspersonals haben alle ausgestellten Stücke nur mehr Nummern, „Stau vor der 525“, sagt die Frau ins Sprechfunkgerät. Und meint Nofretete. „Berlin kann sich über so eine fantastische Museumslandschaft glücklich schätzen“, sagt ein Besucher aus Bochum und macht sich auf den Weg zum Pergamonmuseum. Dort erwartet ihn die zweite Museumsinsel-Schlange, und die dritte steht bei Goya um die Ecke.

Eine Familie aus Osnabrück möchte unbedingt bald wiederkommen, und ein Frankfurter will „alle Nofretete-Nachbildungen vergessen, wenn man das Original gesehen hat“. Und ein Berliner sagt: „Ich bin begeistert – und gehe jetzt zu Goya. Der ist bald wieder weg, aber Nofretete bleibtfür immer“.

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