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Müllsammelaktion am Schöneberger Gasometer mit Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler und Jugendstadtrat Oliver Schworck.

© Thilo Rückeis

Freiwilligen-Aktion in Berlin: Einfach mal mit anpacken - so lief der erste Tag bei "Gemeinsame Sache"

Es waren bewegte Stunden bei der Aktion "Gemeinsame Sache", an allen Ecken, rund um die Uhr - mit Geschichten voll Stolz, Neugier und Spaß.

Ich verschwinde mal rasch im Gebüsch!“ Christine Fidancan ruft’s in die Runde, kämpft sich ins Strauchwerk, Holzzange in der rechten Hand, Müllsack in der Linken. Schwupp, eine verschmierte Butterbrottüte greift sie vom Boden auf. Zack, zwei Konservenbüchsen landen im Sack. Sieht nach Arbeit aus, ist aber für die 53-jährige Verwaltungsangestellte heute ein ehrenamtlicher Job auf dem Spielplatz im Schöneberger Cheruskerpark.

Ein Kehr- und Müllsammeleinsatz, organisiert vom benachbarten Regenbogenfamilienzentrum. Christine Fidancan packt Freitagvormittag, 10.15 Uhr, mit an. Und das, sagt sie, sei doch sinnvoll und „mal was anderes“ als im Büro sitzen. „Es macht mir einen Riesenspaß“.

Eine Frage der Lebenseinstellung

Zwei Stunden später schrubbt Computerspezialist Ivan Sobolew, 33, die rot-weißen, schlammverspritzten Fliesen der Einfahrt zur „Fabrik Osloer Straße“ in Wedding – ein Zentrum für soziale und kulturelle Arbeit. Er ackert mit Schwamm und Schaber, als müsste er eine hauswirtschaftliche Bestnote erringen. Aber warum tut er sich das in seiner Freizeit an? Für ihn ist das eine Frage zu seiner Lebenseinstellung, „zu meinen Werten“, wie er sagt. Er will sich „mal auf etwas Neues einlassen“, ohne Erwartung, will nicht ständig nach der Maxime handeln: „Was bekomme ich dafür?“
Zwei Momentaufnahmen eines bewegten Berliner Tages. Christine Fidancan und Ivan Sobolew brachten sich am ersten von zwei Berliner Freiwilligentagen unter dem Motto „Gemeinsame Sache“ mit ein. Mehr als hundert Organisationen beteiligten sich an dieser Anfangsrunde der Initiative des Tagesspiegels und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes mit ebenso vielen Aktionen. Es war erneut eine Demonstration aktiven Bürgersinns, schließlich hat das Projekt „Gemeinsame Sache“ Tradition. Die Freiwilligentage werden 2018 schon zum siebten Mal jeweils Anfang September organisiert.

Am Samstag geht's weiter. Jeder ist willkommen

Sie sollen Berlinern Mut machen, sich freiwillig um ihre Kieze, um die Schönheit Berlins und das soziale Hilfsnetz zu kümmern. Wer das erstmals ausprobieren und Erfahrungen sammeln will, hat dazu am heutigen Sonnabend nochmal jede Menge Gelegenheiten. Es geht mit zahlreichen Einsatzmöglichkeiten weiter, insgesamt sind es an beiden Tagen rund 240. Jeder ist willkommen.
Gemeinsame Sache – das heißt auch, sich den öffentlichen Raum zurückzuholen, der irgendwann und irgendwie einmal verloren gegangen ist. Dabei geht es für den pensionierten Maschinenbauer und Elektroniker „Manu“, 70, alle sollen ihn nur mit Vornamen nennen, auch um die Wiederentdeckung des Gemeinwesens und Gemeinsinns. Manu, Alt 68er, verbeulte Trainingshose, kräftiger Typ, streicht sich über den weißgrauen Zottelbart und erklärt, was er im „Repair-Café“ der Fabrik Osloer Straße unternimmt, damit besonders ältere Menschen nicht vereinsamen und die „umweltschädliche Wegwerfmentalität“ eingedämmt wird.

"Kommt her, wir machen was zusammen. Wir können ja was!"

„Für ein Recht auf Reparatur!“ steht am Eingang des Repair-Cafés. Hier machen Manu und weitere freiwillige Helfer jeden zweiten und vierten Donnerstag im Monat so gut wie alles wieder gratis funktionsfähig, was kaputt ist – von der Kaffeemaschine über den Fön bis zum Fahrrad. Heute zeigt er Interessenten, die vielleicht künftig mitreparieren wollen, ein paar technische Tricks. Es sind meist Techniker in Rente. „Kommt her Leute, wir machen was zusammen, wir können ja was!“ motiviert er sie. „Ihr glaubt gar nicht, wie glücklich euer Kiez-Nachbar strahlt, wenn dessen Radio wieder klingt – und er kein Neues kaufen muss.“

Immobilienkauffrau Sandra baut Vertikalbeete

Im Hof der Fabrik an der Osloer Straße kreischen Sägen, summen Elektroschrauber. Immobilienkauffrau Sandra Gondolatsch, 24, und Bürokaufmann Christian Oehmicke, 30, verwandeln Holzpaletten, in die sie mit Brettchen kleine Blumenkästen einbauen, zu Vertikalbeeten. Nebenan werden diese bepflanzt – von einem ehrenamtlichen Gärtnerteam.

Beide wohnen um die Ecke und sind beim kommunalen Wohnungsunternehmen Gesobau beschäftigt, das seine Mitarbeiter mit Infos und Hilfestellungen zu sozialen und ökologischen Einsätzen motiviert. Weshalb sie hier dabei sind? „Klar, unser Kiez, unsere Nachbarschaft sind doch umso lebenswerter, je mehr wir uns dafür einsetzen.“

"Unglaublich, wo man sich überall engagieren kann"

Und die ehrenamtlichen Einsatzmöglichkeiten in Berlin sind ebenso vielfältig wie die Menschen in der Stadt. „Unglaublich, wo man sich überall engagieren kann“, sagt Julia Walerian, 29. Mit ihrer 27-jährigen Kollegin Viktoria Hachmeister ist sie im Haus der Flüchtlingsinitiative „Moabit hilft“ auf dem Areal des früheren Krankenhauses Moabit an der Turmstraße angerückt.

Alte Klamotten habe sie an, eine Maleraktion ist angesagt. Das Haus soll so bunt werden wie die Menschen, die dort Hilfe bekommen und tätig sind. Julia und Viktoria arbeiten als Grafikerin und PR-Beraterin für eine Werbeagentur. Sie haben sich die Liste mit den vielen Initiativen durchgesehen. Nun breiten sie Planen aus, pinseln den Vorraum quietschgrün. „Megacool“ finden sie die Aktion. Es soll nicht ihre einzige bleiben. „Wir wollen nachhaltig weiterhelfen.“

Rund 800 Zigarettenstummel haben zwei Schülerinnen gesammelt

Das haben sich auch die Schülerinnen Svenja Becker und Laura Schmid-Kapfenburg vom Coppi-Gymnasium in Karlshorst vorgenommen. Sie schreiben als Abiturientinnen ihre Bio- Facharbeit über Plastikmüll in den Meeren „und wie diese Verschmutzung schon in unserer Stadt beginnt“, sagt Svenja. Da lag es nahe, zum Spreekanal nach Mitte zu fahren, dorthin, wo die Aktionsgruppe „Flussbad“ an der Friedrichsgracht Freiwillige zur Putzaktion einlud.

Die Initiative betreibt am Ufer ein Gartencafé und setzt sich dafür ein, dass der Kanal teils zum Ökogewäseer und zum Schwimmbad ausgebaut wird. Svenja und Laura sammelten am Ufer rund 800 Zigarettenstummel, Plastikgeschirr, Tüten, zwei Säcke voll. „Natürlich könnte das auch die BSR gut machen“, sagen sie.

Aber es sei doch toll, dass auch Bürger losziehen und nicht nur alles vom Staat erwartet werde. Veränderung müsse auch von unten kommen, durch eigene Einsicht und Verantwortungsgefühl. In ihrer Generation setze sich diese Einsicht mehr und mehr durch. Deshalb sind sie optimistisch, das auch ihr nächstes Vorhaben klappt. „Unseren ganzen Biokurs wollen wir dazu bringen, mal bei der nächsten Aktion mitzumachen“.

Alle Berichte zur Gemeinsamen Sache finden Sie auf unserer Themenseite: www.tagesspiegel.de/gemeinsamesache

MITMACHEN! - am Samstag geht's weiterAm Samstag gehen die Aktionstage „Gemeinsame Sache“ in die zweite Runde. Ein breites Angebot steht zur Auswahl. Alle Aktionen: www.gemeinsamesache.berlin

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