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Manchmal kommt man nicht rein, manchmal kommt man nicht raus.

© Holger Hollemann/dpa

Berlin-Reinickendorf: Eingesperrt im eigenen Bad – gesucht wird die unbekannte Retterin

Eine Frau in Reinickendorf sperrt sich am Abend versehentlich im Bad ein. Ihr Mann ist verreist. Als sie schon verzweifelt, kommt unverhoffte Hilfe. Jetzt sucht sie die Passantin.

Der Sommer ist die Zeit der großen Hitze, der Ferien, und die Monate Juli und August sind durch die Schulferien jene Phase des Jahres, in der die Fülle an Veranstaltungen abnimmt und demzufolge auch die Zahl der Nachrichten etwas zurückgeht. Es ist damit auch die Zeit, in der man Geschichten erzählen und von Erlebnissen berichten kann, für die sonst nur wenig Platz ist. Hier ist so eine Geschichte.

Zugesandt hat sie mir eine Leserin des Tagesspiegel-Leute-Newsletters für Reinickendorf aus Waidmannslust, und das ist schon einige Zeit her. Sie selber hat sich das Pseudonym „Brigitte“ gegeben, aber sie hofft, durch die Veröffentlichung ihres Abenteuers hier im Newsletter jene unbekannte Passantin finden zu können, die ihr aus einer wirklich schwierigen Lage half, und sich bei ihr bedanken zu können. Und wenn das nicht klappt, ist es trotzdem eine schöne Lesegeschichte, bei deren Lektüre man denkt: Hoffentlich passiert mir das nicht – wie kann ich vorsorgen?

Falls sich die Unbekannte meldet: Ich bin gerne bereit, den Kontakt herzustellen, wenden Sie sich per E-Mail an mich. Habe ich Sie neugierig gemacht? Also dann: Hier ist die Geschichte, die jedem von uns hätte passieren können:

Und so beschreibt Brigitte selbst ihre Geschichte:

„Tschüss Brigitte, mach‘s gut bis nächsten Sonntag und pass auf dich auf.“ Ich stehe auf dem Bahnsteig und winke dem Zug nach. Mein Mann wird eine Woche Ski-Ferien in den Alpen machen. Und ich bleibe zuhause. Es kommt ganz selten vor, dass wir beide länger getrennt sind. Aber manchmal brauche ich so eine „Brigitte-Woche“ mit Zeit und Ruhe für eigene Unternehmungen. Jetzt freue ich mich sehr darauf.

Heute ist Sonntagabend, und ich schaue noch die Spätnachrichten. Danach will ich gemütlich ins Bett gehen und morgen früh ungestört ausschlafen. Bei uns im Haus gibt es nur ein Fernsehgerät, und das hat seinen Platz im Obergeschoss. Und weil dort auch ein kleines Gästebad ist, benutze ich vor dem Schlafengehen gleich noch dort die Toilette.

Warum habe ich bloß die Tür so fest zugeklappt? Wo ich doch ganz allein zuhause bin. Ich weiß es selber nicht. Aber nun ist es zu spät. Ich ging hinein ins Gästebad, gab der Tür einen Schubs, und sie fiel direkt hinter mir ins Schloss. Dabei hörte ich ein ganz ungewöhnliches Knacken. Ich bin alarmiert, will die Tür schnell wieder öffnen. Das geht aber nicht. Ich zerre und ziehe wütend an der Türklinke, doch sie hat keinen Kontakt mehr zum Schnapper. Und als ich dann die Klinke ganz nach oben drehe, bricht sie ab, und ich halte sie in meiner Hand.

Es steckt noch ein Schlüssel im Schloss. Aber den kann ich drehen, so viel ich will. Der Türschnapper lässt sich damit nicht bewegen. Spontan denke ich an eine Scheckkarte oder ein anderes schmales Werkzeug, mit dem ich den Schnapper vielleicht zurück drücken kann. Aber in unserem kleinen Gästebad findet sich leider nichts Brauchbares. Dann versuche ich, mit einer Zahnbürste in dem Klinkenloch zu bohren. Aber die Zahnbürste zerbricht schon nach kurzer Zeit. Mein Handy wäre jetzt hilfreich. Wenn es nicht unten auf dem Küchentisch liegen würde.

Ich will es erst nicht wahrhaben. Aber dann wird mir immer klarer, dass ich in diesem engen Raum gefangen bin. Und mein Mann kommt erst in einer Woche zurück. Bis dahin wird mich niemand vermissen. Was soll ich jetzt bloß machen?

„Immerhin hast du Wasser und ein Klo“

„Brigitte, du musst jetzt einen kühlen Kopf bewahren“, sage ich mir, „und in Ruhe über einen Ausweg nachdenken“. Hilfe kann nur von außen kommen. Bis heute bin ich jeden Tag froh darüber gewesen, dass wir für unser Haus ein schönes Plätzchen in dieser ruhigen Wohnstraße gefunden haben. Doch jetzt ist das ein Nachteil. An diesem späten Sonntagabend wird kaum noch jemand hier vorbei gehen. Es ist schon nach 22.00 Uhr Halt, ich habe Glück! Dahinten kommt ein Mann mit seinem Hund die Straße entlang. So ein typischer Gassi-Geher.

Rasch knipse ich alle erreichbaren Lichter an, stelle mich ganz breit vor das kleine Fenster und winke mit beiden Armen. In der einen Hand halte ich die abgebrochene Klinke, in der anderen den Türschlüssel. Öffnen lässt sich das Fenster nicht. Wir haben überall Einbruchsicherungen, und der passende Schlüssel hängt draußen im Flur. Aber ich kann an die Scheibe klopfen. Der Mann schaut tatsächlich zu mir herauf. Ich gebe ihm ein Zeichen, dass er am Nachbarhaus klingeln soll. Ulrike nebenan hat einen Zweitschlüssel für unser Haus. Und dann wäre ich ganz schnell befreit. Aber Ulrike öffnet nicht, ist nicht daheim. Ich zeige auf das Haus schräg gegenüber, da soll er klingeln, doch der fremde Mann nimmt seinen Hund an die Leine, schüttelt den Kopf, geht weiter.

Ich bin verzweifelt. Es wird immer später. Nur in wenigen Häusern entlang unserer Straße brennt noch Licht. Dann sehe ich plötzlich im Haus direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite unseren Nachbarn Heinz und seine Freundin Ulla im Obergeschoss am hell erleuchteten Fenster stehen. Wieder beginne ich, wie wild zu winken. Tatsächlich, sie schauen eine ganze Weile interessiert zu mir herüber. Mit Heinz und Ulla haben wir nicht so viel Kontakt. Aber in meiner Notlage werden sie mir ganz bestimmt zu Hilfe kommen. Doch sie wenden sich ab, lassen die Rollläden herunter und löschen alle Lichter im Haus.

Eine Weile trommele ich noch mit aller Kraft gegen die dicke Trennmauer zum Nachbarhaus und rufe „Ulrike, Ulrike, bist du da?“, in der Hoffnung, dass Ulrike nach Hause gekommen ist, und mich vielleicht hört. Es erfolgt aber keine Reaktion. Jetzt muss ich überlegen, wie ich es schaffen kann, die ganze Nacht in dem engen, kleinen Raum zu verbringen. „Bleib ruhig Brigitte“, sage ich laut zu mir, „so schlecht ist deine Lage gar nicht. Immerhin hast du Wasser und ein Klo. Und die Heizung funktioniert einwandfrei. Badezimmermatte und ein kleines Handtuch gibt es auch. Spätestens morgen früh, wenn die Kinder zur Schule gehen, wirst du entdeckt und befreit.“ Ach nein, ab morgen sind ja Winterferien. Schulkinder werden hier die ganze Woche nicht vorbeikommen.

Inzwischen geht es schon auf Mitternacht zu. Jetzt wird es mir zu eng in diesem Raum. Wie lange reicht die Luft? Ich beginne hektisch zu atmen, habe plötzlich Angst, zu ersticken. Ab und zu atme ich direkt am Schlüsselloch, von dort kommt frische Luft herein. Dann stelle ich mich wieder ans Fenster und schaue hinaus in die dunkle Nacht. Nun hat es auch noch zu schneien begonnen.

Über Beate und Tina zu Gregor zu Ulrike zu Brigitte?

Auf einmal sehe ich von weitem eine Passantin die Straße herunterkommen. Sie geht in Richtung S-Bahn-Station, hat es offensichtlich sehr eilig. Trotzdem beginne ich nochmal an die Fensterscheibe zu klopfen und mit dem Schlüssel und der Türklinke ganz wild zu fuchteln. Tatsächlich, die Frau schaut trotz der dichten Schneeflocken nach oben und hält inne. Auf mein Zeichen hin klingelt sie erst nochmal bei Ulrike nebenan. Aber da öffnet immer noch niemand. Dann deute ich auf das einzige Haus schräg gegenüber in der Straße, in dem jetzt noch Licht brennt. Ich habe großes Glück.

Die Passantin versteht gleich, was ich meine, geht hinüber und klingelt am Gartentor von Tina und ihrem Mann. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt Tina heraus, eingehüllt in einen dicken Mantel. Die hilfreiche fremde Passantin winkt mir nochmal kurz zu, dann entschwindet sie zur Bahnstation.

Nun kommt alles auf Tina an. Sie berät sich mit ihrem Mann, der ebenfalls nach draußen gekommen ist. Und Beate, Tinas Nachbarin, ist jetzt auch da. Eine Weile habe ich versucht, die hilfreichen Nachbarn zum Klingeln bei anderen Häusern in der Nähe zu bewegen. Denn ich weiß, dass Gregor vom Nachbarhaus einen Schlüssel zu Ulrikes Haus hat. Dann könnte man auf diesem Weg an unseren Zweitschlüssel in der Küchenschublade bei Ulrike gelangen. Vielleicht haben auch Peter und Gabi vom übernächsten Haus einen Zweitschlüssel, leider nicht. Aber sie stehen plötzlich dick eingemummelt auch auf der Straße und winken aufmunternd zu mir herauf. Nur frei komme ich durch diese allgemeine Anteilnahme leider nicht.

„Ohne Hilfe wären Sie da nie rausgekommen“

Endlich entschließt sich Tina, einen Schlüsseldienst zu rufen, und schreit es mir zu. Dankbar habe ich genickt und meinen Daumen in die Höhe gereckt. Tina nimmt ihr Handy und telefoniert. Dann ruft sie mir nach oben: „in 40 Minuten ist Hilfe da“. Alle winken mir nett zu und verschwinden dann in ihren Häusern. Vierzig Minuten sind eine schrecklich lange Zeit zum Warten, besonders in der Nacht. Zweifel plagen mich. Kommt jetzt wirklich jemand? Habe ich alles richtig verstanden?

Aber nach Ablauf der Wartezeit steht Beate wieder auf der Straße. Sie wartet, um den Schlüsseldienst abzufangen und einzuweisen. Kurz darauf fährt ein großer gelber Notdienst-Wagen vor. Ich sehe, wie die Situation erklärt wird, und dann höre ich eine Bohrmaschine. In knapp fünf Minuten ist der Haustürzylinder aufgebohrt. Eilige Schritte kommen die Treppe herauf. Endlich öffnet sich diese verdammte Badezimmertür. Es ist Beate, die die Treppe hoch gewetzt ist. Ich bin frei! Mit Kennermiene beäugt der Mann vom Schlüsseldienst die abgebrochene Türklinke und das Klinkenloch: „Klarer Fall, ohne Hilfe wären Sie da nie raus gekommen.“

Am nächsten Tag gehe ich zu meinen Nachbarn und bedanke mich bei allen, die mir in der Nacht geholfen haben. Tina erzählt mir, dass sie schon ganz früh morgens von Heinz angesprochen worden ist. Er wollte wissen, was denn in der Nacht los war, ob ich krank sei. Die Rollos hatte er absichtlich heruntergelassen. Denn mit einer womöglich betrunkenen Frau oder einem Ehestreit wollte er nichts zu tun haben.

Der unbekannten Passantin, die mir spätabends noch so nett geholfen hat, würde ich auch gerne Dank sagen. Leider hat sie weder Namen noch Telefonnummer hinterlassen. Aber Heinz und Ulla, die wohl nur an Ehestreit oder Suff denken können, sollen mir in der nächsten Zeit bloß aus dem Weg gehen!

Von David, Beates Mann, bekam ich am nächsten Abend bei meinem spontanen Retter-Umtrunk ein „Bathroom Survival Kit“: Eine Butterbrotdose mit Türklinke, Trillerpfeife am Lederband und Blatt Papier auf dem in großen Lettern „HILFE“ steht. Es geht doch nichts über nette und hilfsbereite Nachbarn! Mein Mann hat mittlerweile alle Türklinkenstäbe, die mit 8 cm viel zu kurz waren, gegen doppelt so lange ausgetauscht.

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