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Berlin: Endstation Stutthof

Der Schauspieler Wolfgang Völz erinnert sich, wie die Nazis die polnische Minderheit in seiner Heimatstadt Danzig ermordeten

Die Szene in der Gedenkstätte Stutthof bei Danzig weckt Assoziationen ans Leiden und Sterben im KZ. Das Mikrofon knattert, jeder Störton hört sich hier an wie ein Schuss. Irgendwo bellt wütend ein Hund. Und auf der Wiese vor dem Mahnmal zieht die feuchte Kälte des Novembertages in die Glieder. Der alte Herr, der vor dem Mikrofon sitzt und seine Geschichte erzählt, hat als Stutthof- Häftling überlebt, sein Vater nicht, sein Schwager nicht. Der 84-jährige Leon Ledzion spricht Danziger Deutsch. Genauso wie Wolfgang Völz (73), der unter seinen 230 Zuhörern der SPD-Reisegruppe aus Berlin ist.

Zwei Danziger, zwei Schicksale. Völz gehörte nicht wie Ledzion zu der von den Nazis systematisch liquidierten polnischen Minderheit. Er hatte es gut als Deutscher. Aber von den Verbrechen kann er viel aus der Erinnerung erzählen. „Jeder hat es gewusst“, sagt Völz. Auch er sah Häftlingstransporte in offenen Waggons Richtung Stutthof rollen. „Sie haben nach Brot geschrien, niemand hat geholfen. Die Deutschen waren ja auch zu 98 Prozent Nazis.“

SPD-Chef Peter Strieder, seine Stellvertreterin Annette Fugmann-Heesing, Parlamentspräsident Walter Momper und der Bundestagsabgeordnete Klaus Uwe Benneter legen am Mahnmal in Stutthof einen Kranz für die Opfer nieder, später auch einen an der Westerplatte in Danzig, wo am 1. September 1939 die ersten Schüsse des Zweiten Weltkrieges fielen. Noch am selben Tag wurde Vater Ledzion von den Nazis verhaftet und anderntags nach Stutthof gebracht. Er war deutscher Offizier im ersten Weltkrieg, das heißt „preußischer Untertan, wie wir sagten“.

Wolfgang Völz war ein behüteter deutscher Junge in Danzig. Die Mutter hatte einen Milchladen, er spielte Theater: „Ich war ein Kinderstar.“ Selbst nach dem Einmarsch der Russen hatte er es „als Bäckerbursche warm und genug zu essen“. 1947 siedelte er mit der Mutter „problemlos“ aus. Seit 1972 besucht er jedes Jahr die vier polnischen Schulkameraden, die irgendwie überlebt haben. Und er freut sich, wie wunderbar die Polen das alte Danzig wieder aufgebaut haben. Heimatgefühle hat er immer noch, aber leben will er dort nicht. So willkommen sind die Deutschen nicht: „Die würden mir den Müll vor die Tür kippen.“

„Nie wieder Hass und Totalitarismus“, sagt die polnische Wojewodschaftsvertreterin bei der Kranzniederlegung am Mahnmal in Stutthof. Ihre und Strieders Ansprache gegen das Vergessen enden mit der Verheißung der friedlichen EU-Partnerschaft. Das Mahnmal trägt die Inschrift: „Unser Schicksal sei Euch eine Warnung und keine Legende.“ Hinter Glas sind Menschenknochen zu besichtigen.

Schuhe türmen sich in einem Raum der Gedenkstätte zu Bergen, verwitternde Schuhe klagen an. Von 110 000 Häftlingen in Stutthof wurden 65 000 an Ort und Stelle zu Tode gebracht, unter ihnen 28000 Juden – verhungert, erschossen, vergast.

Historiker Momper nutzt die Reise zu Geschichtsstunden für die Mitfahrer über die großen historischen Linien der leidvollen preußisch-deutsch-polnischen Geschichte. Beim Abendessen in Danzig mit Vertretern der jungen polnischen Sozialdemokratie und der Jüdischen Gemeinde kommt man über Höflichkeiten nicht hinaus. Die polnischen Gäste bekunden immer wieder ihren Dank für die deutsche Unterstützung des EU-Beitritts.

Zur Sprache kommt auch, dass vor dem Krieg in Danzig etwa 10 000 bis 11 000 Juden lebten, in Zoppot 4000. Heute zählt die Jüdische Gemeinde zusammen 71 zumeist betagte Mitglieder. „Viele bekennen sich nicht, sie haben Furcht“, sagt ein alter Herr. Er überlebte in Erdlöchern versteckt in den Wäldern in Ostpolen. In Danzig fand er eine neue Heimat. Den Besuch in Stutthof macht er nicht mit. „Ich kann das nicht“, sagt er; auch er hat Eltern und Geschwister in Konzentrationslagern verloren.

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