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Am 26. September stimmen die Berliner auch über die Enteignungsinitiative ab. Kann sie günstigeres Wohnen ermöglichen?

© Christophe Gateau/dpa

Enteignungen in Berlin: „Soziale Wohnungspolitik gibt’s nicht umsonst“

Kann sich Berlin die Enteignung großer Wohnungsunternehmen überhaupt leisten? Ja – dafür muss neu gedacht werden. Ein Gastbeitrag.

Für eine soziale Wohnversorgung in Berlin fehlen etwa 350.000 Wohnungen mit günstigen Mietpreisen unter sechs Euro pro Quadratmeter. Hinzu kommen weitere circa 90.000 Haushalte von Transferleistungsempfängern, bei denen die tatsächliche Miete die vom Staat gezahlten Kosten der Unterkunft überschreitet.

Gescheiterter Mietendeckel, zögerlicher Wohnungsneubau und finanzielle Begrenzungen für An- und Vorkauf durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen: Die bisherigen Instrumente der rot-rot-grünen Wohnungspolitik verfehlten die Herausforderungen einer sozialen Wohnungspolitik.

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hingegen will Bestände großer Unternehmen mit geschätzt 240.000 Wohnungen sozialisieren. Mit dann über 550.000 öffentlichen Wohnungen wären etwa ein Drittel aller Mietwohnungen unter öffentlicher Kontrolle und könnten für die soziale Wohnversorgung genutzt werden. Auch deshalb erhielt das Anliegen der Initiative in den vergangenen Monaten großen öffentlichen Zuspruch.

Ungeklärt bleiben im Abstimmungstext jedoch eine Reihe von Fragen: Wie hoch muss die Entschädigung ausfallen? Wie stark wird eine Enteignung den Berliner Haushalt belasten? Mit welchen Kosten der Refinanzierung ist langfristig zu rechnen? Wie wirkt sich eine Enteignung auf die Mietkosten aus? Wird es nach einer Enteignung genügend Ressourcen für den Neubau geben?

Sozialisierung nach vier Grundsätzen

Aus unserer Sicht sollte sich eine Sozialisierung an den folgenden vier Grundsätzen orientieren:

1. Eine nachträgliche Belohnung der Spekulation auf höhere Mieten sollte durch eine Entschädigung deutlich unterhalb des Marktwertes ausgeschlossen werden.

2. Eine verfassungskonforme Umsetzung der Sozialisierung nach Artikel 15 des Grundgesetzes schließt eine Anerkennung von wirtschaftlichen Interessen ein, die in der Höhe der Entschädigungssumme berücksichtigt werden müssen.

3. Sozialisierung – also die Überführung in Gemeineigentum – ist kein Selbstzweck, sondern soll eine dauerhaft soziale Mietentwicklung ermöglichen. Eine Entschädigung, die nur durch Mietsteigerungen refinanziert werden kann, verfehlt das wohnungspolitische Ziel.

4. Sozialisierung darf kein dauerhaftes Zuschussgeschäft werden und steht in Zeiten begrenzter Haushaltsmittel immer auch in Konkurrenz zu anderen wohnungspolitischen Strategien und sozialpolitischen Ausgaben.

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Zu Entschädigungen für eine Sozialisierung nach Artikel 15 des Grundgesetzes gibt es noch keine Urteile. Wir gehen davon aus, dass wie im Artikel 14 die Entschädigung „unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen“ ist. Das Interesse der Allgemeinheit an dauerhaft leistbarem Wohnraum ist daher zwingend in die Abwägung einzubeziehen.

Andrej Holm, Ex-Staatssekretär der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
Andrej Holm, Ex-Staatssekretär der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

© Matthias Hyde/HU

Wir haben vier Modelle geprüft, wie eine Entschädigungshöhe begründet werden kann: die Kredite auf den zu sozialisierenden Beständen (23 Milliarden Euro), die Investitionen der Unternehmen für Kauf und Modernisierung der Bestände (16 Milliarden Euro), eine Ertragswertberechnung auf Grundlage der Mieten der landeseigenen Unternehmen (17 Milliarden Euro) und eine Ertragswertberechnung auf der Grundlage leistbarer Mieten für einkommensschwache Haushalte (14,5 Milliarden Euro). In allen Varianten kommen wir zu einem Ergebnis, das deutlich unter der amtlichen Kostenschätzung von 29 bis 39 Milliarden Euro liegt.

Entscheidend Neubaufähigkeit der öffentlichen Wohnungswirtschaft

Bis zu einer Entschädigungshöhe von etwa 17 Milliarden Euro ist eine Refinanzierung (ohne Mieterhöhungen und zusätzliche Finanzierungsmittel) aus den laufenden Mieteinnahmen möglich. Für höhere Summen müssten über einen längeren Zeitraum jährlich zusätzliche öffentliche Mittel aufgebracht werden. Eine Entschädigung deutlich unter dem aktuellen Marktwert ist rechtlich nicht nur möglich, sondern auch geboten, weil sonst das Sozialisierungsziel – die Bereitstellung dauerhaft leistbarer Wohnungen – nicht realisiert werden kann.

Es heißt: Die Sozialisierung baut keine neuen Wohnungen. Das ist zutreffend. Es stimmt aber auch, dass durch den Neubau profitorientierter Anbieter keine leistbaren Wohnungen entstehen. Entscheidend ist hier die Neubaufähigkeit der öffentlichen Wohnungswirtschaft.

Der freie Bildungsreferenten Sebastian Gerhardt.
Der freie Bildungsreferenten Sebastian Gerhardt.

© Matthias Coers

[Der Ex-Staatssekretär der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Andrej Holm, hat mit dem freien Bildungsreferenten Sebastian Gerhardt in einer Arbeitsgruppe über die wohnungs- und haushaltspolitischen Dimensionen der Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" diskutiert]

Leider verfehlen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften bisher die notwendige Fertigstellung von 7000 Wohnungen pro Jahr deutlich – die Eigenbauleistung der landeseigenen Wohnungswirtschaft liegt bei gerade einmal 2500 Wohnungen pro Jahr.

Öffentlicher Wohnungsbau kann durch den Aufbau entsprechender Kapazitäten im seriellen Wohnungsbau die Baukosten deutlich senken – ohne Abstriche an der Wohnqualität. Doch ein Neuaufbau von Baukapazitäten wird nur erfolgen, wenn ein langfristiges öffentliches Wohnungsbauprogramm die Auslastung sicherstellt. Je nach angestrebter Bauleistung müssen pro Jahr etwa 250 Millionen Euro (bei 7000 Wohnungen pro Jahr) bis 350 Millionen Euro (bei 10.000 Wohnungen pro Jahr) aufgebracht werden.

Aus den Gewinnen der Landeseigenen eine solche Summe nicht zu finanzieren, sie gingen von 352 Millionen Euro im Jahr 2015 auf 259 Millionen Euro im Jahr 2019 zurück. Mit Buchungstricks wie der Umstellung der Bilanzierung auf marktnahe Bewertung (IFRS) kann die reale wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Landeseigenen nicht erhöht werden.

Um die Ziele des Stadtentwicklungsplans Wohnen 2030 zu erreichen, sind die die Unternehmen künftig auf zusätzliche öffentliche Zuführungen angewiesen, wenn ihre Verschuldungsquote und Finanzierungslast nicht weiter steigen soll. Eine soziale Wohnungspolitik ist nicht zum Nulltarif zu haben – nicht bei der Sozialisierung und nicht beim Neubau.

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