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Nach dem Angriff am Holocaust-Denkmal in Berlin war am Morgen danach der Bereich immer noch abgesperrt.

© dpa/Paul Zinken

Update

„Ich spürte einen Schnitt am Hals“: Opfer der Messerattacke am Holocaust-Mahnmal leidet unter Flashbacks

Der 31-jährige Spanier, der am Holocaust-Mahnmal Opfer einer mutmaßlich antisemitischen Messerattacke wurde, sagte am Mittwoch vor Gericht aus. Die psychischen Folgen für den Mann sind erheblich.

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Die Angst nahm wieder zu, als er vom Prozesstermin erfuhr. Angst vor der Reise rund neun Monate nach seinem ersten Berlin-Besuch, den er nur knapp überlebte. Der Täter, der ihn am Holocaust-Mahnmal mit einem Messer attackiert hatte, habe ihn von hinten umfasst. „Es dauerte nicht einmal eine Sekunde bis zum Angriff, ich spürte einen Schnitt am Hals“, schilderte der Spanier Iker M. nun als Zeuge vor dem Kammergericht. Das Leben des 31-Jährigen geriet aus den Fugen – bis heute.

Angeklagt ist ein junger Syrer. Die Bundesanwaltschaft geht von einer radikal-islamistisch und antisemitisch motivierten Tat aus. Wassim Al M. habe am 21. Februar in Leipzig eine Unterkunft für Geflüchtete verlassen, um in Berlin im Namen des „Islamischen Staats“ (IS) einen Angriff zu begehen. Sein Ziel sei es gewesen, das Leben eines ihm unbekannten Tatopfers, nach Möglichkeit jüdischer Glaubenszugehörigkeit, auszulöschen. Die Anklage lautet unter anderem auf versuchten Mord.

Iker M. war am Tag zuvor in der Hauptstadt angekommen, um seine Freundin zu besuchen. „Wir waren dann zu dritt unterwegs“, sagte er am vierten Prozesstag. Ein entspannter Ausflug – erst waren sie in Museen, dann im Café. Es war bereits dunkel, als sie an der Gedenkstätte nahe dem Brandenburger Tor ankamen.

Wie aus dem Nichts dann der Angriff. „Ich hatte keine Zeit zu reagieren“, so der 31-Jährige. Der Täter habe zu einem zweiten Schnitt angesetzt. „Ich konnte mit einem Finger abwehren“, übersetzte eine Dolmetscherin die Schilderung des Zeugen. Die Klinge traf die rechte Wange.

Er rief irgendwas mit Allah.

Iker M., Opfer des Attentäters vom Holocaust-Mahnmal

Der Tourist erlitt eine 14 Zentimeter lange Wunde am Hals, etwa sechs Zentimeter lang der Schnitt in Gesicht. Er hörte den Täter noch – „er rief irgendwas mit Allah“. Dann rannte der Spanier in Richtung Ausgang, den er aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte – „ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe“. Menschen schrien, zwei Männer halfen und drückten die Wunde am Hals abwechselnd ab. Im Krankenhaus erfolgte eine Notoperation.

Einige Tage später konnte der Ernährungswissenschaftler zurück ins Baskenland reisen. „Der Anfang war ganz schwierig, ich hatte Angst vor allem“, schilderte der Spanier. Nach und nach heilten Wunden, an einigen Stellen gebe es noch immer Probleme mit den Narben, auch Schmerzen. Ein „normales Lächeln“ habe er nicht mehr.

Der 19-Jährige Täter ist unter anderem wegen versuchten Mordes angeklagt. (Archivbild)

© Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Und immer wieder leide er unter Flashbacks – „eine Art Albtraum im Wachzustand“, so der 31-Jährige. Er höre den Schrei einer Frau wie damals im Stelenfeld. „Ein Schüttelfrost, der Puls steigt.“ Die psychischen Folgen sind erheblich, eine posttraumatische Belastungsstörung wurde diagnostiziert. „Bis heute kann ich nicht aushalten, dass jemand von hinten kommt und mich anfasst.“ Er könne kaum bei Dunkelheit rausgehen, er sei wieder zu seinen Eltern gezogen.

Iker M. arbeitete bis kurz vor dem Angriff in Berlin mit Spitzensportlern. Doch eine Rückkehr in ein Berufsleben sei ihm noch nicht möglich gewesen, sagte er. Finanzielle Hilfe bekomme er von seinen Eltern. Als Opfer eines terroristischen Anschlags in Deutschland habe er bislang 5000 Euro bekommen. Ein Verfahren für weitere Unterstützung läuft nach Angaben seines Anwalts noch. Nach knapp drei Stunden verließ Iker M. den Saal abgeschirmt und über einen Nebeneingang.

Al M. saß mit gesenktem Kopf auf der Anklagebank. Er hatte sich zweieinhalb Stunden nach der Tat gestellt – die Hände blutverschmiert. Vor Gericht schweigt er bislang. Nach der Aussage des Opfers ließ er über seinen Verteidiger „sein ehrliches Bedauern über die Geschehnisse“ mitteilen. Er hoffe, „dass Sie aus den schrecklichen Erlebnissen wieder zum normalen Leben zurückfinden“.

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